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Beschreibung
vor 3 Monaten
Henry James gilt international als einer der erzähl- und
psychologisch raffiniertesten englischsprachigen Autoren des
späten 19. Jahrhunderts. Deutsche Verlage jedoch geben
Novellensammlungen heraus, die Titel wie „Gespenstergeschichten“
tragen – was die Erzählungen banaler wirken lässt als sie sind.
James ist kein Unterhaltungsschriftsteller! Woanders ist die Rede
davon, dass James Klatschgeschichten auf hohem Niveau geschrieben
hätte. Und ja, dieser Autor verwendet ab und an solche
Geschichten, doch es geht ihm im Grunde um etwas ganz anderes: um
die Psychologie des zwischenmenschlichen Geschehens und die des
Erzählens.
In seiner Literatur kann es dann auch mal sein, dass ein Erzähler
erst einmal eben nicht erzählt, was geschehen ist zwischen zwei
Menschen/Figuren, sondern davon, unter welchen Umständen er sich
selbst für die Vermeidung der „Enthüllung“ der Beziehung der
beiden entschied. Zunächst ist in „Der Weg der Pflicht“ also gar
nichts zu erfahren über die ganze Sache, um die sich eigentlich
alles drehen sollte. Ob die Geschichte, für die sich zwei
neugierige Damen so sehr interessieren, gut angeht und ausgeht,
ob die beiden Figuren zusammenkommen, ob das überhaupt möglich
war ... Das erfahren die Leser und Hörerinnen, wenn überhaupt,
erst in späteren Kapiteln.
Heute veröffentlichen wir das erste Kapitel der ganzen
Geschichte, einen hochgradig selbstreflexiven Text, der für sich
steht. Es ist ein Werk rund ums Zögern, um die Vermeidung – und
die Gründe für das Zögern und das Vermeiden des Erzählens. Ein
Text, der sich selbst zu begleiten scheint, der seine Entstehung
zu erklären versucht, aber eben doch nicht so ganz. Ein Spiel mit
dem Leser und der Hörerin. So war das in der Blütezeit der
modernen Literatur: Nicht immer, aber sehr häufig dreht sie sich
auch um sich selbst und ihre Wirkung auf das Publikum. Und hier,
in James’ beeindruckendem Text, finden wir ein überragendes
Beispiel für jene Werke am Ende des 19. Jahrhunderts, die den Weg
bahnten für die Jahrzehnte später einsetzende neue
Literatur-Ästhetik, deren berühmteste Vertreter Marcel Proust,
James Joyce und Franz Kafka sind. Deren Vorläufer Henry James
schrieb „Der Weg der Pflicht“ im Jahr 1884. Ingrid Rein
übersetzte das Werk hervorragend ins Deutsche. Es liest Markus
von Hagen.
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