Jehona Kicaj über Sprachlosigkeit
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Beschreibung
vor 1 Woche
Dieses Mal ist Jehona Kicaj bei Dear Reader zu Gast. Die 1991 in
Kosovo geborene Autorin ist in Göttingen aufgewachsen und hat
Philosophie, Germanistik und Neue Deutsche Literaturwissenschaft
studiert. Neben wissenschaftlichen Publikationen hat sie den
Re:sonar Verlag mitgegründet und in diesem Jahr ihren Debütroman
„ë” im Wallstein Verlag veröffentlicht. Eine der Fragen, die Jehona
Kicaj auch während ihres literaturwissenschaftlichen Studiums
interessiert hat, ist, wie sich Sprachlosigkeit mit den Mitteln der
Sprache darstellen lässt. Bis heute kommen immer wieder neue
Gräueltaten ans Licht. Was sich, während der Kriege auf dem Gebiet
des ehemaligen Jugoslawiens ereignet hat, was sich Menschen
gegenseitig antun können. Dass die Schrecken eines jeden Krieges
nicht enden, sobald die Waffen ruhen und dass ihm Grausamkeiten und
Erbarmungslosigkeit vorangehen, ahnen wir – auch diejenigen, die
keinen Krieg erlebt haben. Wir haben davon gehört, haben uns davon
erzählen lassen. Auch Jehona Kicaj hat den Kosovokrieg Ende der
90er Jahre des 20. Jahrhunderts nicht unmittelbar erlebt. Ihre
Eltern waren ein paar Jahre zuvor nach Deutschland geflohen. In
„ë“, der dieses Jahr auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises
stand, nähert sich Jehona Kicaj diesem Krieg, mit einem doppelten
Blick. Er ist nah und fern, distanziert und getroffen. In einer
Sprache, die reduziert und genau ist, umkreist sie die Leerstellen,
ihre eigenen fragmentarischen Erinnerungen, das Schweigen und die
Sprachlosigkeit, die dieser Krieg – wie so viele andere auch – bei
den Menschen im Kosovo und in der Diaspora ausgelöst hat.
Mitgebracht hat Jehona Kicaj „Die Marquise von O…“ von Heinrich von
Kleist, der 1808 erschienen ist. Kleist hat hier mit dem längsten
Bindestrich der Literaturgeschichte ein Zeichen als Geste für das
Unsagbare benutzt. In dieser Novelle und in vielen seiner Texte
erklärt er die Figuren nicht durch den Erzähler und psychologisiert
ihre Handlungen nicht, sondern zeigt mit kleinen, oft unbewussten
Gesten und körperlichen Zeichen, was die Figuren umtreibt. Es ist
der Körper, der spricht, wenn die verbale Sprache ausbleibt. „Der
Platz“ von Annie Ernaux, der zweite Text über den Jehona Kicaj und
ich sprechen, bleibt „ganz nah an den gehörten Wörtern und Sätzen“.
Mit diesem hypergenauen Blick auf die „Worte, Gesten, Vorlieben“
ihres Vaters, den sie in diesem Buch zu fassen versucht, hat Ernaux
einen schmalen Text geschrieben, der viele andere autofiktionale
Texte der letzten Jahre geprägt hat. Ernaux gelingt es in dem
ursprünglich schon 1986 veröffentlichten kurzen Text, einen
nüchternen und schonungslosen Blick auf sich selbst und die nach
und nach entstehende Klassendistanz zu werfen – ohne Pathos und
ohne Kunstanspruch. Wir haben ihn in der Übersetzung von Sonja
Finck, die im Suhrkamp Verlag erschienen ist, gelesen. Und Jehona
Kicaj hat aufs Schönste beim erneuten Lesen rekapituliert, wie der
sachliche Ton und die fragmentarische Schreibweise ihren eigenen
Text beeinflusst hat. „Die Marquise von O…“ von Heinrich von
Kleist, Reclam.1986 (1808). „Der Platz“ von Annie Ernaux. Aus dem
Französischen von Sonja Finck. Suhrkamp 2019 (1986).
Kosovo geborene Autorin ist in Göttingen aufgewachsen und hat
Philosophie, Germanistik und Neue Deutsche Literaturwissenschaft
studiert. Neben wissenschaftlichen Publikationen hat sie den
Re:sonar Verlag mitgegründet und in diesem Jahr ihren Debütroman
„ë” im Wallstein Verlag veröffentlicht. Eine der Fragen, die Jehona
Kicaj auch während ihres literaturwissenschaftlichen Studiums
interessiert hat, ist, wie sich Sprachlosigkeit mit den Mitteln der
Sprache darstellen lässt. Bis heute kommen immer wieder neue
Gräueltaten ans Licht. Was sich, während der Kriege auf dem Gebiet
des ehemaligen Jugoslawiens ereignet hat, was sich Menschen
gegenseitig antun können. Dass die Schrecken eines jeden Krieges
nicht enden, sobald die Waffen ruhen und dass ihm Grausamkeiten und
Erbarmungslosigkeit vorangehen, ahnen wir – auch diejenigen, die
keinen Krieg erlebt haben. Wir haben davon gehört, haben uns davon
erzählen lassen. Auch Jehona Kicaj hat den Kosovokrieg Ende der
90er Jahre des 20. Jahrhunderts nicht unmittelbar erlebt. Ihre
Eltern waren ein paar Jahre zuvor nach Deutschland geflohen. In
„ë“, der dieses Jahr auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises
stand, nähert sich Jehona Kicaj diesem Krieg, mit einem doppelten
Blick. Er ist nah und fern, distanziert und getroffen. In einer
Sprache, die reduziert und genau ist, umkreist sie die Leerstellen,
ihre eigenen fragmentarischen Erinnerungen, das Schweigen und die
Sprachlosigkeit, die dieser Krieg – wie so viele andere auch – bei
den Menschen im Kosovo und in der Diaspora ausgelöst hat.
Mitgebracht hat Jehona Kicaj „Die Marquise von O…“ von Heinrich von
Kleist, der 1808 erschienen ist. Kleist hat hier mit dem längsten
Bindestrich der Literaturgeschichte ein Zeichen als Geste für das
Unsagbare benutzt. In dieser Novelle und in vielen seiner Texte
erklärt er die Figuren nicht durch den Erzähler und psychologisiert
ihre Handlungen nicht, sondern zeigt mit kleinen, oft unbewussten
Gesten und körperlichen Zeichen, was die Figuren umtreibt. Es ist
der Körper, der spricht, wenn die verbale Sprache ausbleibt. „Der
Platz“ von Annie Ernaux, der zweite Text über den Jehona Kicaj und
ich sprechen, bleibt „ganz nah an den gehörten Wörtern und Sätzen“.
Mit diesem hypergenauen Blick auf die „Worte, Gesten, Vorlieben“
ihres Vaters, den sie in diesem Buch zu fassen versucht, hat Ernaux
einen schmalen Text geschrieben, der viele andere autofiktionale
Texte der letzten Jahre geprägt hat. Ernaux gelingt es in dem
ursprünglich schon 1986 veröffentlichten kurzen Text, einen
nüchternen und schonungslosen Blick auf sich selbst und die nach
und nach entstehende Klassendistanz zu werfen – ohne Pathos und
ohne Kunstanspruch. Wir haben ihn in der Übersetzung von Sonja
Finck, die im Suhrkamp Verlag erschienen ist, gelesen. Und Jehona
Kicaj hat aufs Schönste beim erneuten Lesen rekapituliert, wie der
sachliche Ton und die fragmentarische Schreibweise ihren eigenen
Text beeinflusst hat. „Die Marquise von O…“ von Heinrich von
Kleist, Reclam.1986 (1808). „Der Platz“ von Annie Ernaux. Aus dem
Französischen von Sonja Finck. Suhrkamp 2019 (1986).
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