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Beschreibung
vor 1 Monat
Ach, Kafka! Was ist das denn schon wieder für ein Meisterstück!?
Arbeiterliteratur der anderen Art? Ging es in jener der 1960er-
und 70er-Jahre stets um die harte Realität der werktätigen
Bevölkerung, machst du das alles natürlich ganz anders. Obwohl
hier, in „Ein Besuch im Bergwerk“, anfangs, im ersten Satz, alles
noch seine Ordnung hat. Die Hierarchie eines
Bergwerk-Unternehmens vergangener Tage wird zwar unauffällig,
doch klar dargestellt. Im zweiten geht es noch eine
Hierarchiestufe höher, erwähnt werden eben nicht – wie zuvor –
die Ingenieure der Zwischenstufe und die Stollenarbeiter auf der
buchstäblich untersten Ebene, sondern die Direktoren. Doch dann
wirbelt der scheinbar unscheinbare Text gewohnte Ordnungen und
Kategorien durcheinander und wird so zu einer ästhetischen
Sensation. Denn es ist offenbar einer der Arbeiter, der hier
erzählt, der alle Bergwerksbesucher aus der Ingenieur-Ebene
präzise beschreibt, deren Verbindungen und
Abhängigkeitsverhältnisse scharf beleuchtet und Vermutungen
darüber anstellt, wer in welcher Beziehung zu wieder anderen
steht, welche Funktion dieser oder jener auf den höheren Etagen
möglicherweise auszuüben pflegt – und das mit einem
Selbstverständnis, das wir angesichts der hierarchischen
Verhältnisse nicht vermuten würden. Der wohl jüngste Mitarbeiter
schiebe, so lesen wir, „eine Art Kinderwagen, in welchem die
Messapparate liegen“, vor sich her, so kostbar, dass sie „tief in
zarteste Watte eingelegt“ sind. Der Wagenschieber kenne die
Funktion der Geräte nicht, ein anderer aber verstehe „offenbar
die Apparate von Grund aus und scheint ihr eigentlicher Verwahrer
zu sein. Von Zeit zu Zeit nimmt er (...) einen Bestandteil der
Apparate heraus, blickt hindurch, schraubt auf oder zu, schüttelt
und beklopft, hält ans Ohr und horcht“. Und dann ist da noch der
unbeschäftigte Diener, der jenen Hochmut, den die Herren
Ingenieure längst abgelegt haben, „in sich aufgesammelt zu haben“
scheint. Und so weiter. Auf diesem Sprachniveau wird hier
erzählt. So souverän, so gekonnt, so komisch im eigentlichen
Sinne werden Miniatur-Porträts der Gäste geboten. Dies ist also
keine Arbeiterliteratur, es geht nicht um das Werken unten im
Stollen – es geht um die ungewohnten Gäste dort. All die
Beschreibungen des erzählenden Arbeiters – oder sollten wir
besser sagen: des arbeitenden Erzählers? – sind verfasst in einer
sehr eigenen, einer deutlich literarischen Sprache, mit dosiert
und präzise eingesetztem Humor und gewagten Querverbindungsideen
bezüglich der Figuren, welche die Gäste ja nun geworden sind. Um
so selbstbewusst erzählen zu können, muss ein Geschichtenerzähler
schon sehr geübt sein. Er tarnt sich hier als dokumentarisch
schreibender, berichterstattender Bergmann – so, als wäre er gar
nicht der Schriftsteller, der er aber nun einmal eindeutig ist:
ein moderner literarischer Erzähler im Gewand des
Stollenarbeiters oder im Arbeitsanzug des Bergwerkers, jedenfalls
einer, der im falschen Kostüm steckt.
Womit wir natürlich, liebe Leserinnen und Leser dieser Zeilen,
beim wirklichen Autor und seiner Lebenssituation sind, beim
dichtenden Versicherungsangestellten in Prag. Doch das ist eine
ganz andere, biographische Geschichte. Die, die wir heute mit
großer Überzeugung und Begeisterung präsentieren, ist ein aus den
Tiefen der Erde bzw. Literaturgeschichte geborgener Erzählschatz,
zuerst im Jahr 1920 erschienen und mehr als 100 Jahre später
vorgelesen von Volker Drüke.
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