92. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 414, K09

92. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 414, K09

Der Begriff Rechtsstaat scheint auszudrücken, das…
1 Stunde 37 Minuten
Podcast
Podcaster
Ulrike Sumfleth und Joachim Feltkamp sind Luhmani…

Beschreibung

vor 3 Monaten
Der Begriff Rechtsstaat scheint auszudrücken, dass Politik und
Recht ein einheitliches System wären. Die Theorie sozialer Systeme
kann jedoch analytisch aufzeigen, dass es sich um zwei operativ
geschlossene Systeme handelt. Bereits die Entstehung des Begriffs
setzt Gewaltenteilung voraus und damit gegenseitige Anerkennung von
Autonomie. Am Widerstandsrecht lässt sich nachvollziehen, wie beide
Systeme ihre Ansprüche auf Autonomie verteidigen. Aus Perspektive
der Politik ist ein Staatsbürger, der sich mit Berufung aufs Recht
in die Politik einmischt, ein Friedensstörer. Aus Perspektive des
Rechts darf jedoch niemand, auch nicht der Gesetzgeber, über dem
Recht stehen. Sonst gäbe es kein Recht. Diese Auffassung führte zur
Entwicklung der civil rights im Common Law. Dass die Systeme sich
Machtkämpfe liefern, bestätigt nur ihre operative Geschlossenheit.
Sie verteidigen dann jeweils ihren Anspruch darauf.
Rechtsstreitigkeiten um dieses Thema führten dazu, dass der Begriff
Rechtsstaat nach der Französischen Revolution 1789 zunehmend als
Beobachtungsschema verstanden werden konnte. Die Verkettung der
beiden Begriffe zu einem gemeinsamen neuen Denkrahmen fordert dazu
auf, das Verhältnis zwischen Politik/Recht zu beobachten. Also:
gegenseitige Bedingungen und Wechselwirkungen. (Luhmann zitiert
hier in Fußnote 17 Novalis, 1795/96, u.a. mit dem Satz: »Jedes
ist nur das auf seinem Platz, was es durch den anderen ist.«) Das
Ziel ist damit nicht mehr Konsens, der mithilfe von Kriterien wie
Vernunft erreichbar wäre. Stattdessen gibt der Begriff Rechtsstaat
vor, dass die Systeme ihr Verhältnis zueinander jeweils autonom
beschreiben müssen. Im Zentrum stand hier stets die Differenz von
Notwendigkeit und Freiheit. Um Freiheit zu gewährleisten, muss sie
notwendigerweise durch Gesetze eingeschränkt werden. Die
Durchsetzung von Gesetzen verantwortet dann die Exekutive, die
Durchsetzung von Gerichtsurteilen die Judikative, jeweils in einem
als Nationalstaat begriffenen Territorium. Um Widerstand gegen als
ungerecht empfundene Herrschaft in politisch und rechtlich
akzeptable Bahnen lenken zu können, musste die Figur des Bürgers
mit umfangreichen Rechten ausgestattet werden. Der Bürger braucht
Staatsangehörigkeit, Rechtsfähigkeit, Wahlrecht, subjektive Rechte.
Parallel zur Ausdifferenzierung der Rechte häufen sich
Streitigkeiten darum. Diese klären nach und nach, was darunter
jeweils rechtlich und/oder politisch zu verstehen ist. Auch der
Rechtsschutz des Bürgers gegenüber politischer Hoheitsgewalt muss
erfunden werden. Diese Kontroversen führten dazu, dass der Begriff
des Politischen im 19. Jh. fast ausschließlich auf den
Nationalstaat bezogen wurde. Infolge der geteilten Gewalten konnten
Parteien mit Staatsämtern entstehen. Gesetzgebung, Steuern und
Abgaben werden zu Top-Instrumenten der Politik. Dadurch wächst das
Normmaterial rasant an. Das führt zu dem Zeitproblem, dass sich
Gesetze nicht mehr schnell ändern (»reliquidieren«) lassen, weil
immer mehr Material mitbeachtet werden muss. In der Folge schafft
der Gesetzgeber beim Versuch, Konflikte zu lösen und politische
Ziele zu realisieren, neue Konflikte. Diese ergeben sich erst aus
der Gesetzgebung. Und auch diese selbst produzierten Konflikte kann
der Gesetzgeber wiederum nur durch Gesetzgebung lösen. Historisch
wurde das Rechtsstaatsverständnis dadurch geprägt, dass die
Positivierung des Rechts und die Demokratisierung der Politik in
etwa parallel verliefen und schrittweise aufeinander abgestimmt
werden mussten. Sprachlich wurden dabei zwei Begriffe zu einem
gemeinsamen Sinnhorizont verschmolzen. Analytisch handelt es sich
jedoch um zwei operativ geschlossene Systeme. Vollständiger Text
auf luhmaniac.de

Kommentare (0)

Lade Inhalte...

Abonnenten

15
15