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12.11.2025
58 Minuten
Luhmanns Hypothese lautet, dass Politik und Recht zwei autonome,
operativ geschlossene Funktionssysteme sind. In Abschnitt IV
untersucht er hierfür weitere Anhaltspunkte. So geht er der Frage
nach, wie Lobbyismus zu bewerten ist: Wie hoch ist der Einfluss von
JuristInnen auf das politische System? Anmerkung: Das ist heute
besser erforscht als zur Entstehungszeit des Buches vor rund
30 Jahren. In vielen Ländern gibt es Lobbyregister. Mit
Studien belegen Nicht-Regierungsorganisationen regelmäßig, mit
welchen Lobby-Etats Interessenverbände Einfluss auf die
Gesetzgebung nehmen. In Deutschland z.B. LobbyControl, auf EU-Ebene
das Corporate Europe Observatory. Nicht selten werden ganze
Textpassagen von externen »ExpertInnen« in Gesetzestexte
übernommen, teils im Wortlaut. Ohne Zweifel ist der »legislative
Fußabdruck« heute besser dokumentiert als in den 1990er-Jahren.
Hauptauftraggeber für juristische (Lobby-)Aktivitäten sind
Wirtschaftskonzerne, allen voran die Finanzlobby. Die Erforschung
von Kontaktnetzwerken hat in den letzten Jahren an Bedeutung
gewonnen. Netzwerk- und Diskursanalysen nehmen zu. Luhmanns Frage
ist jedoch: In welchem Funktionssystem wird der juristische
Einfluss tatsächlich wirksam? Die Entscheidung, einen von
JuristInnen verfassten Text in ein Gesetz zu übernehmen, ist eine
politische. Das Risiko, damit womöglich gegen geltendes Recht zu
verstoßen, trägt der Gesetzgeber allein. JuristInnen mögen die
Texte entworfen haben. Die Frage ist jedoch, ob sie überhaupt
politische Kontakte pflegen. Häufig vermitteln »Politikberater« die
juristische Expertise an die Politik weiter. Ausschlaggebend sind
persönliche Beziehungen, um überhaupt Kontakt in
Entscheidungskreise des politischen Systems zu erlangen.
Juristische Expertise wird natürlich vorausgesetzt. Entscheidend
ist jedoch, wie gut ein Akteur mit der Politik vernetzt ist. Eben
da setzen LobbyistInnen an. Für die Politik ist zudem die Frage
wichtig: Welche Bedeutung hat ein Interessenträger, der JuristInnen
beauftragt mit dem Ziel, politischen Einfluss zu nehmen? Eine
derartige »Verwendung« von Anwälten ist jedenfalls eher dem
politischen System zuzuordnen als dem Rechtssystem. Kurz, der bloße
Status »Jurist« ist als alleiniges Kriterium nicht aussagekräftig
genug. Man kann damit eine Kommunikation nicht zweifelsfrei Politik
oder Recht zuordnen. Wären Politik und Recht eine Einheit, müsste
es umgekehrt denkbar sein, dass rechtsdogmatische Erfindungen
innerhalb der Parteipolitik zum Thema werden können. Anhand der
juristischen Beispielthemen »Anscheinsvollmacht« und »culpa in
contrahendo« erscheint es jedoch unwahrscheinlich, dass der
Gesetzgeber sich mit solchen juristisch zu entscheidenden
Problemlagen befassen würde. Doch selbst wenn er es täte, ist
anzunehmen, dass Gerichte derartige Problemstellungen systemintern
weiterentwickeln würden. Nachdem der IV. Abschnitt die These von
der operativen Geschlossenheit beider Systeme untermauert, will
Luhmann im Folgenden überprüfen, ob diese These widerlegbar ist,
sowohl von der politischen als auch von der rechtlichen Seite aus.
Denn selbstverständlich sind die Kommunikationssysteme Politik und
Recht füreinander offen – jedoch nur auf der kognitiven Ebene. Das
bedeutet, beide Systeme sind füreinander Umwelt und nehmen jeweils
Informationen aus der Umwelt auf. Verarbeitet werden solche
»externen Fakten« jedoch systemintern, in operativer
Geschlossenheit. Dies erfolgt anhand der inneren Codierung: Im
Recht dreht sich alles um die Unterscheidungen von Recht/Unrecht
sowie gleicher/ungleicher Fall. In der Politik läuft jede
Entscheidung durch den Filter, ob sie mehr/weniger Macht bedeuten
könnte. Dieses Verhältnis von operativer Geschlossenheit und
kognitiver Offenheit bringt der Terminus »strukturelle Kopplung«
zum Ausdruck. Strukturelle Kopplung wird in Kapitel 10 Thema sein.
Darauf bereitet der IV. Abschnitt allmählich vor.
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22.10.2025
1 Stunde 27 Minuten
Welche Rolle spielt der Faktor Zeit für die Wahrnehmung des
gesellschaftlichen Umgangs mit Recht? Operativ geschlossene
Funktionssysteme wie Politik, Recht und Massenmedien entwickeln
Eigenzeitlichkeiten. Das Tempo, in dem Entscheidungen getroffen
werden, variiert von System zu System. Zugleich folgt jedes
Funktionssystem einem zweiwertigen Code, der alle Entscheidungen
anleitet. In der Politik ist dies die Frage: Regierung oder
Opposition? (Eine Unter-Codierung der Unterscheidung:
machtüberlegene/machtunterlegene Kommunikation.) Das Rechtssystem
operiert entlang der Unterscheidung von Recht/Unrecht sowie
gleicher/ungleicher Fall. Die Massenmedien wählen aus, ob sie
informieren/nicht informieren, anhand der Frage: Ist der
Sachverhalt neu? D.h.: Welcher Sachverhalt pro System ausgewählt
wird, um erinnert oder für zukünftige Entwicklungen eingeschätzt zu
werden (Antezipation), variiert ebenfalls. Gleiches gilt für die
Fragen: Welche Unterscheidungen werden dabei zugrunde gelegt? Und
in welcher normativen Form vollzieht sich der
Entscheidungsfindungsprozess? Wenn Kommunikation systemübergreifend
organisiert werden muss, fallen zeitliche Verzögerungen zwischen
den Systemen besonders auf. Z.B.: Die Wirtschaft prescht vor – die
Wissenschaft sammelt noch Daten aus der Vergangenheit. Besonders
bedeutsam ist der Faktor Zeit im Verhältnis von Rechtsetzung durch
den Gesetzgeber und Rechtsprechung durch Gerichte. Politik steht
unter Zeitdruck. Sie managt Entscheidungsfindungsprozesse mit
Machtkalkül: Entscheidungen werden beschleunigt – oder verzögert.
Im Vergleich dazu agiert das Rechtssystem behäbig, insbesondere
Gerichte. Hier muss jeder Einzelfall sorgfältig begründet werden.
Zugleich sind potenzielle Auswirkungen auf gleichartige Fälle in
der Zukunft mit einzuschätzen. Diese können die Struktur des
gesamten Rechtssystems verändern. Es gibt also eine Zeitdifferenz
im Umgang mit Recht: Dass Rechtsprechung »langsam« ist, wird durch
die Möglichkeit »schneller« Rechtsetzung gesamtgesellschaftlich
ausgeglichen. Wie das Verhältnis von Politik und Recht beobachtet
und beschrieben wird, ist wiederum von der Präferenz der
Massenmedien für Neues geprägt. Die Auswahl von Informationen
anhand dieses Kriteriums bedeutet soziologisch eine
Wahrnehmungstäuschung. Über neue Gesetze wird laufend berichtet,
selten über ihre Auswirkungen/Nicht-Auswirkungen im Alltag. Luhmann
spricht hier von »optischen Schwierigkeiten«, Politik und Recht als
getrennte Systeme zu sehen. Die Fokussierung der Berichterstattung
auf neue Gesetze dürfte dazu beigetragen haben, dass Politik und
Recht lange Zeit als Einheit begriffen wurden, in der die
Gesetzgebung hierarchisch über der Rechtsprechung zu stehen schien.
Für die These, dass Politik und Recht zwei operativ geschlossene
Systeme sind, spricht auch die Art und Weise, in der die Verwaltung
gesetzliche Vorgaben »umsetzt«. Als Subsystem der Politik ist die
Verwaltung an das Recht gebunden. In der Praxis managt sie ihre
Aufgaben jedoch nicht juristisch, sondern: orientiert an
politischen Zielvorgaben, in der Form eines
Problem-Lösung-Verhaltens. Auf Umsetzungsprobleme reagiert der
Gesetzgeber erst dann juristisch, wenn Gesetzesverstöße in größerem
Stil auffällig werden, also eine Dauerdevianz (ständige Abweichung)
vom Sollverhalten beobachtbar wird. Ein (unspektakulärer)
Einzelfall löst noch keine Gesetzesänderung aus.
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13.09.2025
1 Stunde 9 Minuten
Was bedeutet der Begriff des Rechtsstaats aus rechtlicher,
politischer und soziologischer Perspektive? Der Begriff Rechtsstaat
ist ein Klammerbegriff: Er klammert zwei Begriffe und deren
Sinngehalte zu einem gemeinsamen neuen zusammen (auch Frame
genannt, engl.: Rahmen). Interpretiert werden kann der Begriff
politisch oder rechtlich – oder aus der Perspektive eines
Beobachters, der beobachtet, wie Politik und Recht den Begriff
jeweils für sich interpretieren. Letzteres ist eine Beobachtung
zweiter Ordnung. Aus dieser Perspektive der Soziologie lässt sich
feststellen: Das Recht ist in der Lage, politische Gewalt zu
begrenzen. Die Politik ist jedoch in der Lage, das Recht für seine
Zwecke zu instrumentalisieren. Beide Bestrebungen sind gegenläufig.
Dass es gelungen ist, sie zu verbinden, lässt sich als
zivilisatorische Errungenschaft feiern. Für das Recht darf niemand
über dem Gesetz stehen, auch nicht der Gesetzgeber.
Rechtsstaatlichkeit (rule of law) herrscht allein dadurch, dass das
Gesetz (law) gilt. Gesetz und Rechtsstaatlichkeit sind für das
Recht also dasselbe – eine Tautologie, weil die Unterscheidung
beider Begriffe für das Recht keinen Unterschied ergibt. Wie
umfassend dieser Anspruch des Rechts auf Geltung ist, zeigt sich
darin, dass das Recht auch das »Unbestimmbare« noch bestimmt,
nämlich als vom Recht vorgesehene Freiheit. Dabei handelt es sich
um Entscheidungsfreiheiten von Funktionssystemen wie der
Wirtschaft, ebenso wie um Klagerechte von natürlichen und
juristischen Personen, mit denen das Recht den Umgang mit sich
selbst festlegt. Indem das Recht universelle Relevanz beansprucht,
kam es im 19. Jahrhundert zu einem juristisch geprägten
Staatsbegriff. Die deutsche Lehre vom Rechtsstaat betonte die
Bindung der Verwaltung an das Gesetz. Die Frage, wie die Politik
das Recht instrumentalisiert, um Meinungen zu verdichten,
Mehrheiten zu gewinnen und Macht zu erlangen, wurde kaum
thematisiert, weswegen die Lehre als »machtfern« gilt. Aus
politischer Perspektive ist das Recht ein Instrument, welches es
erst möglich macht, politische Ziele zu verwirklichen. Durch
Gesetzgebung verrechtlicht die Politik politische Probleme – und
wird sie dadurch los. Von da an muss das Problem rechtlich
weiterbehandelt werden. D.h., es wird entpolitisiert. Diese
Vorgehensweise des Weiterreichens von Politik an Recht betrifft
nicht nur Parlamente, sondern auch Verwaltung (Ministerialbehörden)
und Staatsverträge zwischen Staaten. Die soziale Funktion der
Politik ist es, kollektiv bindende Entscheidungen zu treffen, also:
Gesetze zu erlassen. Die Entscheidung muss jedoch rechtskonform
sein. In der Regel prüfen darum JuristInnen vorab die Rechtslage.
Auch dabei handelt es sich jedoch um eine Operation des Rechts,
nicht der Politik. Und an dieser Stelle ist es möglich, dass das
politische System – aus Machtgründen – Risiken eingeht. Risiko
verweist auf Überschreiten der Systemgrenze. Um zu verstehen, wie
die Politik das Recht instrumentalisiert, verweist Luhmann auf die
Differenz zwischen Medium und Form im Rechtssystem. Das Medium ist
die Norm. An die Einhaltung rechtlicher Normen ist die Politik
gebunden. Um eine Norm zu reproduzieren, braucht es jedoch eine
Form. Diese Form bestimmt und ändert die Politik, indem sie
auswählt, auf welches geltende Recht sich der Gesetzesentwurf
bezieht, wie das Recht interpretiert wird, welche Argumente
ausgewählt und mit welchen Unterscheidungen sie begründet werden.
All dies bietet Möglichkeiten, politische Ziele zu verwirklichen.
Vollständiger Text auf Luhmaniac.de
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10.08.2025
1 Stunde 37 Minuten
Der Begriff Rechtsstaat scheint auszudrücken, dass Politik und
Recht ein einheitliches System wären. Die Theorie sozialer Systeme
kann jedoch analytisch aufzeigen, dass es sich um zwei operativ
geschlossene Systeme handelt. Bereits die Entstehung des Begriffs
setzt Gewaltenteilung voraus und damit gegenseitige Anerkennung von
Autonomie. Am Widerstandsrecht lässt sich nachvollziehen, wie beide
Systeme ihre Ansprüche auf Autonomie verteidigen. Aus Perspektive
der Politik ist ein Staatsbürger, der sich mit Berufung aufs Recht
in die Politik einmischt, ein Friedensstörer. Aus Perspektive des
Rechts darf jedoch niemand, auch nicht der Gesetzgeber, über dem
Recht stehen. Sonst gäbe es kein Recht. Diese Auffassung führte zur
Entwicklung der civil rights im Common Law. Dass die Systeme sich
Machtkämpfe liefern, bestätigt nur ihre operative Geschlossenheit.
Sie verteidigen dann jeweils ihren Anspruch darauf.
Rechtsstreitigkeiten um dieses Thema führten dazu, dass der Begriff
Rechtsstaat nach der Französischen Revolution 1789 zunehmend als
Beobachtungsschema verstanden werden konnte. Die Verkettung der
beiden Begriffe zu einem gemeinsamen neuen Denkrahmen fordert dazu
auf, das Verhältnis zwischen Politik/Recht zu beobachten. Also:
gegenseitige Bedingungen und Wechselwirkungen. (Luhmann zitiert
hier in Fußnote 17 Novalis, 1795/96, u.a. mit dem Satz: »Jedes
ist nur das auf seinem Platz, was es durch den anderen ist.«) Das
Ziel ist damit nicht mehr Konsens, der mithilfe von Kriterien wie
Vernunft erreichbar wäre. Stattdessen gibt der Begriff Rechtsstaat
vor, dass die Systeme ihr Verhältnis zueinander jeweils autonom
beschreiben müssen. Im Zentrum stand hier stets die Differenz von
Notwendigkeit und Freiheit. Um Freiheit zu gewährleisten, muss sie
notwendigerweise durch Gesetze eingeschränkt werden. Die
Durchsetzung von Gesetzen verantwortet dann die Exekutive, die
Durchsetzung von Gerichtsurteilen die Judikative, jeweils in einem
als Nationalstaat begriffenen Territorium. Um Widerstand gegen als
ungerecht empfundene Herrschaft in politisch und rechtlich
akzeptable Bahnen lenken zu können, musste die Figur des Bürgers
mit umfangreichen Rechten ausgestattet werden. Der Bürger braucht
Staatsangehörigkeit, Rechtsfähigkeit, Wahlrecht, subjektive Rechte.
Parallel zur Ausdifferenzierung der Rechte häufen sich
Streitigkeiten darum. Diese klären nach und nach, was darunter
jeweils rechtlich und/oder politisch zu verstehen ist. Auch der
Rechtsschutz des Bürgers gegenüber politischer Hoheitsgewalt muss
erfunden werden. Diese Kontroversen führten dazu, dass der Begriff
des Politischen im 19. Jh. fast ausschließlich auf den
Nationalstaat bezogen wurde. Infolge der geteilten Gewalten konnten
Parteien mit Staatsämtern entstehen. Gesetzgebung, Steuern und
Abgaben werden zu Top-Instrumenten der Politik. Dadurch wächst das
Normmaterial rasant an. Das führt zu dem Zeitproblem, dass sich
Gesetze nicht mehr schnell ändern (»reliquidieren«) lassen, weil
immer mehr Material mitbeachtet werden muss. In der Folge schafft
der Gesetzgeber beim Versuch, Konflikte zu lösen und politische
Ziele zu realisieren, neue Konflikte. Diese ergeben sich erst aus
der Gesetzgebung. Und auch diese selbst produzierten Konflikte kann
der Gesetzgeber wiederum nur durch Gesetzgebung lösen. Historisch
wurde das Rechtsstaatsverständnis dadurch geprägt, dass die
Positivierung des Rechts und die Demokratisierung der Politik in
etwa parallel verliefen und schrittweise aufeinander abgestimmt
werden mussten. Sprachlich wurden dabei zwei Begriffe zu einem
gemeinsamen Sinnhorizont verschmolzen. Analytisch handelt es sich
jedoch um zwei operativ geschlossene Systeme. Vollständiger Text
auf luhmaniac.de
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04.06.2025
1 Stunde 52 Minuten
Start des 9. Kapitels über das Verhältnis von Politik und Recht.
Die Theorie sozialer Systeme geht davon aus, dass Politik und Recht
zwei autopoietische, operativ geschlossene Funktionssysteme sind.
Historisch scheinen Rechtsetzung und Rechtsprechung eher eine
Einheit zu bilden. Diese Auffassung scheint auch der Begriff
«Rechtsstaat» zu bestätigen. Gehen wir zunächst auf die
systemtheoretische Einordnung ein. Zu Beginn weist Luhmann darauf
hin, dass die Theorie sozialer Systeme eine Reflexionstheorie ist.
Das bedeutet, sie verlangt eine Beobachtung zweiter Ordnung. Der
Forschungsgegenstand «Recht» darf nicht einfach als «gegeben»
hingenommen werden. Stattdessen muss ein Beobachter (wir) erstmal
beobachten: Welche Bedingungen der Möglichkeit müssen vorliegen,
damit es diesen Forschungsgegenstand überhaupt geben kann? Hier
stoßen wir auf die System-Umwelt-Differenz: Rechtliche
Kommunikation unterscheidet sich selbst von allen anderen
Kommunikationen, zum Beispiel von politischen. Das ist beobachtbar
und lässt sich nachvollziehen, auch historisch. Anhand der
Unterscheidung von rechtlicher/nicht rechtlicher Kommunikation
unterscheidet das Rechtssystem sich selbst von der Umwelt und
konstituiert sich dadurch erst. Es gäbe kein «Rechtssystem», wenn
sich rechtliche Kommunikation nicht selbst von ihrer Umwelt
unterscheiden würde. Und das bereits weist darauf hin: Politik und
Recht sind operativ geschlossene Systeme. Beide reproduzieren alle
Elemente (= Kommunikationen), aus denen sie bestehen, selbst. Dies
beschreibt der Begriff der Autopoiesis. Immer, wenn es um
Gesetzgebung geht, lässt sich die Kommunikation der Politik
zuordnen. Und immer, wenn es um die Unterscheidung von
Recht/Unrecht geht und um die Zuordnung, ob der Fall
gleich/ungleich ist, lässt sich die Kommunikation dem darauf
spezialisierten Rechtssystem zuzuordnen. Beide
Kommunikationssysteme erfüllen zudem unterschiedliche Funktionen
für die Gesellschaft: Die Funktion der Politik ist, mit
soziologischem Abstand betrachtet, das Bereithalten von Kapazität
für kollektiv bindende Entscheidungen. Gesetze gelten für alle.
Macht wird in einer generalisierten Form ausgeübt. Die soziale
Funktion des Rechts ist dagegen die kontrafaktische Stabilisierung
von normativen Verhaltenserwartungen. Rechtsprechung mag die
Erwartung enttäuschen oder erfüllen, in jedem Fall macht sie besser
einschätzbar, was in absehbarer Zeit zu erwarten ist. Macht wird
ebenfalls ausgeübt, jedoch bezogen auf den Einzelfall. Auch die
Durchsetzungsmodi unterscheiden sich. Die für alle geltende
Gesetzgebung wird durch Regierung, Verwaltung und Justizorgane
durchgesetzt. Rechtsprechung betrifft nur den Einzelfall. Das
Urteil wird direkt durchgesetzt, zum Beispiel durch Freispruch.
Historisch ergibt sich jedoch ein anderes Bild. In Europa lag eine
evolutionäre Besonderheit vor. Das römische Zivilrecht hatte sich
früh ausdifferenziert und Fragen des Zusammenlebens geprägt. Auf
seiner Grundlage wurde das Naturrecht formuliert. Bis ins
Mittelalter schien eine Einheit von Politik und Recht zunächst
ausgeschlossen zu sein. Das spiegelt auch der Machtkampf Kirche vs.
Kaisertum wider. Ab dem 16. Jh. begann sich diese Auffassung zu
ändern. Obwohl sie keine Gewaltenteilung im Sinn hatten, auf der
sich im 18. Jh. der «Rechtsstaat» begründete, legten Theoretiker
wie Suárez, Hobbes und Pufendorf die Grundlagen dafür. Alle drei
entwickelten Mechanismen zur Machtkontrolle. Bei Suárez († 1617)
findet sich die Idee, dass staatliche Macht rechtlich gebunden sein
muss und unter dem Recht stehe. Hobbes entwickelte einen
Gesellschaftsvertrag («Leviathan», 1651), der erstmals nicht vom
Herrscher, sondern vom «Individuum» ausgeht. Zudem unterschied er
zwischen «Staat» und «Herrscher» in Persona, was für die spätere
Verrechtlichung staatlicher Macht wichtig war. Pufendorf († 1694)
entwickelte das Konzept des rechtlich gebundenen Staates weiter.
Vollständiger Text auf Luhmaniac.de
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Über diesen Podcast
Ulrike Sumfleth und Joachim Feltkamp sind Luhmaniac.
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