91. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 409, K09

91. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 409, K09

Start des 9. Kapitels über das Verhältnis von Pol…
1 Stunde 52 Minuten
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Ulrike Sumfleth und Joachim Feltkamp sind Luhmani…

Beschreibung

vor 6 Monaten
Start des 9. Kapitels über das Verhältnis von Politik und Recht.
Die Theorie sozialer Systeme geht davon aus, dass Politik und Recht
zwei autopoietische, operativ geschlossene Funktionssysteme sind.
Historisch scheinen Rechtsetzung und Rechtsprechung eher eine
Einheit zu bilden. Diese Auffassung scheint auch der Begriff
«Rechtsstaat» zu bestätigen. Gehen wir zunächst auf die
systemtheoretische Einordnung ein. Zu Beginn weist Luhmann darauf
hin, dass die Theorie sozialer Systeme eine Reflexionstheorie ist.
Das bedeutet, sie verlangt eine Beobachtung zweiter Ordnung. Der
Forschungsgegenstand «Recht» darf nicht einfach als «gegeben»
hingenommen werden. Stattdessen muss ein Beobachter (wir) erstmal
beobachten: Welche Bedingungen der Möglichkeit müssen vorliegen,
damit es diesen Forschungsgegenstand überhaupt geben kann? Hier
stoßen wir auf die System-Umwelt-Differenz: Rechtliche
Kommunikation unterscheidet sich selbst von allen anderen
Kommunikationen, zum Beispiel von politischen. Das ist beobachtbar
und lässt sich nachvollziehen, auch historisch. Anhand der
Unterscheidung von rechtlicher/nicht rechtlicher Kommunikation
unterscheidet das Rechtssystem sich selbst von der Umwelt und
konstituiert sich dadurch erst. Es gäbe kein «Rechtssystem», wenn
sich rechtliche Kommunikation nicht selbst von ihrer Umwelt
unterscheiden würde. Und das bereits weist darauf hin: Politik und
Recht sind operativ geschlossene Systeme. Beide reproduzieren alle
Elemente (= Kommunikationen), aus denen sie bestehen, selbst. Dies
beschreibt der Begriff der Autopoiesis. Immer, wenn es um
Gesetzgebung geht, lässt sich die Kommunikation der Politik
zuordnen. Und immer, wenn es um die Unterscheidung von
Recht/Unrecht geht und um die Zuordnung, ob der Fall
gleich/ungleich ist, lässt sich die Kommunikation dem darauf
spezialisierten Rechtssystem zuzuordnen. Beide
Kommunikationssysteme erfüllen zudem unterschiedliche Funktionen
für die Gesellschaft: Die Funktion der Politik ist, mit
soziologischem Abstand betrachtet, das Bereithalten von Kapazität
für kollektiv bindende Entscheidungen. Gesetze gelten für alle.
Macht wird in einer generalisierten Form ausgeübt. Die soziale
Funktion des Rechts ist dagegen die kontrafaktische Stabilisierung
von normativen Verhaltenserwartungen. Rechtsprechung mag die
Erwartung enttäuschen oder erfüllen, in jedem Fall macht sie besser
einschätzbar, was in absehbarer Zeit zu erwarten ist. Macht wird
ebenfalls ausgeübt, jedoch bezogen auf den Einzelfall. Auch die
Durchsetzungsmodi unterscheiden sich. Die für alle geltende
Gesetzgebung wird durch Regierung, Verwaltung und Justizorgane
durchgesetzt. Rechtsprechung betrifft nur den Einzelfall. Das
Urteil wird direkt durchgesetzt, zum Beispiel durch Freispruch.
Historisch ergibt sich jedoch ein anderes Bild. In Europa lag eine
evolutionäre Besonderheit vor. Das römische Zivilrecht hatte sich
früh ausdifferenziert und Fragen des Zusammenlebens geprägt. Auf
seiner Grundlage wurde das Naturrecht formuliert. Bis ins
Mittelalter schien eine Einheit von Politik und Recht zunächst
ausgeschlossen zu sein. Das spiegelt auch der Machtkampf Kirche vs.
Kaisertum wider. Ab dem 16. Jh. begann sich diese Auffassung zu
ändern. Obwohl sie keine Gewaltenteilung im Sinn hatten, auf der
sich im 18. Jh. der «Rechtsstaat» begründete, legten Theoretiker
wie Suárez, Hobbes und Pufendorf die Grundlagen dafür. Alle drei
entwickelten Mechanismen zur Machtkontrolle. Bei Suárez († 1617)
findet sich die Idee, dass staatliche Macht rechtlich gebunden sein
muss und unter dem Recht stehe. Hobbes entwickelte einen
Gesellschaftsvertrag («Leviathan», 1651), der erstmals nicht vom
Herrscher, sondern vom «Individuum» ausgeht. Zudem unterschied er
zwischen «Staat» und «Herrscher» in Persona, was für die spätere
Verrechtlichung staatlicher Macht wichtig war. Pufendorf († 1694)
entwickelte das Konzept des rechtlich gebundenen Staates weiter.
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