Reklamekönig und Säulenheiliger
Die Litfaßsäule - Werbeträger zehntausendfach im Gebrauch
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vor 6 Monaten
Reklamekönig und Säulenheiliger
Bis heute ist der nach ihm benannte Werbeträger zehntausendfach
im Gebrauch: die Litfaßsäule. Ernst Litfaß hat Public Relations
und Öffentlichkeitsarbeit beherrscht, lange bevor es diese
Begriffe gab.
Anschlagzettel und Plakate wurden wild auf Hauswände, Zäune und
sonstige öffentlich sichtbare Flächen geklebt. Das missfiel nicht
nur dem Berliner Druckereibesitzer und Verleger Ernst Litfaß,
sondern auch dem gestrengen Polizeipräsidenten Karl Ludwig von
Hinckeldey. Diesem kam ein Angebot des umtriebigen Litfaß gerade
recht. Er wollte die alleinige Konzession zur Aufstellung von
Anschlagsäulen in der preußischen Hauptstadt. Dem preußischen
Beamten Hinckeldey konnte er dies schmackhaft machen, indem er
ihm die Möglichkeit eröffnete, eine Zensur gegen den
Plakatanschlag einzuführen. Litfaß erhielt 1854 die Konzession
zur „Errichtung einer Anzahl von Anschlagsäulen auf fiskalischem
Straßenterrain zwecks unentgeltlicher Aufnahme der Plakate
öffentlicher Behörden und gewerbsmäßiger Veröffentlichungen von
Privatanzeigen“. Außer den neu zu errichtenden Säulen umfasste
der Vertrag auch bereits bestehende Brunnen und Pissoirs, die
Litfaß mit Holz verkleiden ließ, um sie für den Plakatanschlag zu
nutzen.
Ordnung als Geschäftsidee: Die Anschlagsäulen waren anfangs in
Berlin umstritten. Litfaß wusste das und startete eine intensive
Presse- und Werbekampagne für das neue Medium. Die Idee für die
Säule hatte er übrigens von Reisen aus London und Paris
mitgebracht, was er aber nicht an die große Glocke hängte.
Um die Berliner neugierig zu machen und für sein Vorhaben zu
gewinnen, kooperierte er mit einer Tageszeitung, die fortlaufend
und wohlwollend über den Entwicklungsstand des verheißungsvollen
Projekts berichtete. Bald schon stand das Fundament der ersten
Probesäule vor dem Haus seiner Druckerei. Und die Zeitungsleser
erfuhren auch, wie die künftige Uniform der „Anschlagspediteure“
aussehen würde: Für die Plakatkleber waren eine graue Bluse mit
roten Biesen, ein schwarzer Hut und ein Schild aus Messing
vorgesehen.
Großformatige Anzeigen in allen wichtigen Berliner Zeitungen kurz
vor dem 1. Juli 1855 kamen hinzu, um an diesem Tag den
„Geburtstag“ der Litfaßsäule zu feiern. Die Berliner strömten
herbei und hörten zunächst ein kleines Platzkonzert: Es erklang
erstmals die „Ernst-Litfaß-Annoncir-Polka“ des damals berühmten
Komponisten Kéler Béla. Nun war Litfaß in seiner Heimatstadt zum
„Reklamekönig“ oder, spöttisch-liebevoll, zum „Säulenheiligen“
geworden.
Aus einer alten Buchdruckerfamilie stammend, hatte Ernst Litfaß
1845 den väterlichen Betrieb mit Druckerei und Verlag übernommen.
Sein breites kulturelles Interesse, besonders an Literatur und
Theater, nutzte er für verlegerische Aktivitäten. Im Auftrag von
sieben Theatern gab er die „Theater-Zwischen-Acts-Zeitung“
heraus. Ein Erfolg, denn sie enthielt nicht nur die aktuellen
Theaterzettel mit der Besetzung der Inszenierungen, sondern auch
Berichte und Feuilletons und kostete trotzdem nicht mehr als der
einfache Theaterzettel bisher.
Seine Druckerei modernisierte er ständig. Er betrieb mehrere
Schnellpressen, was die Kosten senkte, konnte Riesenplakate im
Format von 6,28 mal 9,42 Meter drucken und war der Erste in
Berlin, der sich an den Buntdruck wagte.
In den Kriegsjahren 1866 und 1870/71 bekam Litfaß, inzwischen zum
Kommissionsrat und Königlichen Hofbuchdrucker avanciert, die
alleinige Konzession für die Erstveröffentlichung von
Kriegsdepeschen. Das bedeutete einen weiteren geschäftlichen
Erfolg, denn die offiziellen Nachrichten lockten viele
Interessenten an die Litfaßsäulen. So erhielten auch die
Reklameplakate höhere Aufmerksamkeit, was die Werbekunden zu
schätzen wussten.
Doch Litfaß wollte nicht als Profiteur der militärischen
Nachrichtenvermittlung gelten. Er organisierte
Wohltätigkeitsveranstaltungen, die er „patriotische Feste“
nannte. Diese beliebten „Litfaß-Bälle“ waren originell gestaltet
und hatten Volksfestcharakter. Der Erlös kam zum Beispiel
Kriegsinvaliden zugute.
Ernst Litfaß starb am 27. Dezember 1874 bei einem Kuraufenthalt
in Wiesbaden. Er hinterließ er ein Millionenvermögen.
Die ersten Säulen maßen 3,28 Meter in der Höhe und 2,80 Meter im
Umfang, hatten einen Schaft aus Eisenblech und waren von einem
gusseisernen Palmettenfries bekrönt. Später baute man sie höher;
Beton, Eternit und schließlich auch Kunststoff ersetzten das
Metall. Das heutige Standardmodell bietet auf einer Standfläche
von nur 1,25 Quadratmetern eine Werbefläche von stattlichen 13
Quadratmetern. Nach Angaben des Fachverbandes Außenwerbung gibt
es heute deutschlandweit gut 35.000 Litfaßsäulen verschiedener
Art. „Die Säule als Form, wie Ernst Litfaß sie einst in
Deutschland populär machte, bleibt ein prägendes Medium in der
Außenwerbung, obgleich sie sich von der Säule mit geklebten
Plakaten hin zur Säule mit gehängten hinterleuchteten Plakaten
entwickelt hat“, sagt Christian Knappe von der Wall GmbH in
Berlin, die heute insgesamt rund 1070 Litfaßsäulen
bewirtschaftet. Da sich die Firma Wall dem kulturellen Erbe von
Litfaß verpflichtet fühlt, pflegt sie nach eigenem Bekunden „die
Grabstelle des ‚Säulenheiligen‘ auf dem Dorotheenstädtischen
Friedhof in Berlin.“
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