"Ein Brief" (Hugo von Hofmannsthal)

"Ein Brief" (Hugo von Hofmannsthal)

Eine Erzählung aus dem Jahr 1902
30 Minuten
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Hochwertige Literatur, vorgelesen von professionellen Sprecherinnen und Sprechern

Beschreibung

vor 10 Monaten

Philipp Lord Chandos, der fiktive Dichter in diesem Werk, möchte
lieber über ein fernes „Hirtenfeuer“ und das letzte Herbst-Zirpen
einer „dem Tode nahen Grille“ als über das „majestätische Dröhnen
der Orgel“ schreiben. Die kleinen Objekte und alltäglichen
Vorgänge liegen ihm. Dann schwebt ihm aber auch ein opulentes
Multi-Kunstwerk vor, eine Mischung aus antiker Kunst und
italienischer Renaissance, mit Festen, Aufzügen und allem drum
und dran. Das schreibt er in einem Brief an Francis Bacon. Und
all das, was er sich so vorstellt, wirkt unausgegoren, unfertig,
unverträglich für Leser und Hörer. Hofmannsthals Künstler hat die
Fähigkeit verloren, sich zu fokussieren, den Faden, der einzelne
Ideen zu einem konsistenten Ganzen verbindet. So entsteht ein
Wust, es gerät ihm alles durcheinander, so kann kein
wirkungsvoller Text, so kann überhaupt kein künstlerisches Werk
entstehen. Es bleibt bei Fragmenten und Worten, die „wie modrige
Pilze“ zerfallen. Es ergibt nichts Zusammenhängendes.


Vielfach wurde „Ein Brief“ als das Zeugnis einer Schreibkrise des
Autors gedeutet. Das Werk belegt indes eindrucksvoll das genaue
Gegenteil. Hugo von Hofmannsthal spielt die stets mögliche Krise
eines Schriftstellers durch, er lässt auf sprachlichem Wege
ablaufen, wie es wohl wäre, wenn er selbst in eine solche
geriete. Und er offenbart – gerade mal 28 Jahre jung – seine
Erzählkunst in bis dahin ungeahntem Ausmaß. Wort- und
assoziationsreich und dabei doch konkret, anschaulich, eben nicht
geprägt von einer „Kläglichkeit“ der Beispiele, wie der Text des
fiktiven Dichters. Chandos, sein Alter Ego, scheitert als
Künstler – Hofmannsthal reüssiert und bleibt stets der Souverän
des Erzählten.


Solche Hinweise scheinen inzwischen notwendig – in einer Zeit, in
welcher der Literatur-Markt geflutet wird mit autobiographischen
und autofiktionalen Titeln und in der die sogenannte literarische
Öffentlichkeit immer weniger gewillt oder imstande ist, den Autor
vom Erzähler zu trennen. Die Erzählung „Ein Brief“ erschien im
Jahr 1902. Viele Jahre später gestaltet Stefan Nàszay daraus ein
auch akustisches Ereignis.

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