86. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 377, K08

86. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 377, K08

Über den historischen Argumentationsprozess, der …
1 Stunde 40 Minuten
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Ulrike Sumfleth und Joachim Feltkamp sind Luhmani…

Beschreibung

vor 10 Monaten
Über den historischen Argumentationsprozess, der den Sinngehalt von
Begriffen abschleift, und die Funktion der Rechtsdogmatik für das
Rechtssystem. Juristische Argumentation interpretiert geltendes
Recht und versucht, ihre Auslegung von ausgewählten Begriffen
überzeugend zu begründen. Aus den Begriffen selbst lässt sich die
Begründung jedoch nicht ableiten. Der Sinn des Begriffs – worauf
verweist er? – wird erst im Argumentationsprozess ausgelotet. Dies
geschieht, indem verschiedene Auslegungsmöglichkeiten erörtert
werden. Dabei wird der Begriff auf der Wenn-Seite von
Konditionalprogrammen eingesetzt, und es werden die Dann-Folgen
eingeschätzt, also die Konsequenzen dieser Auslegung. Erst aus
diesem Prozess ergibt sich die Begründung. Auf diese Weise werden
sukzessive Unterscheidungen unterschieden. In Zukunft kann man sich
darauf zurückbeziehen, welche Auslegungen sich bewährt/nicht
bewährt haben. Der Vorrat an Auslegungsmöglichkeiten wächst. Bei
späterem Zugriff muss man nicht mehr die gesamte
Entstehungsgeschichte rekapitulieren. Es reicht, sich auf ihr
Resultat zu beziehen. Kurz, Begriffe ermöglichen einen wahlfreien
Zugriff auf bereits bewährte Unterscheidungen.
Argumentationsprozesse organisieren emergente Unterscheidungen.
Emergenz bedeutet: Die Verknüpfung von Elementen erzeugt mehr als
die Summe ihrer Teile. Durch die Verknüpfung entsteht etwas Neues,
nicht Vorhersehbares. Auf Recht bezogen heißt das: Immer mehr
Wenn-Bedingungen können mit immer mehr Dann-Folgen kombiniert
werden. Begriffe speichern also Unterscheidungen ab, die zu ihrer
Auslegung geführt haben. Diskutierte Unterscheidungen enthalten
Informationen und ermöglichen Redundanz, im Sinne einer schnellen,
wenig erläuterungsbedürftigen Bezugnahme. Abgeschliffene
Rechtsbegriffe weichen zwangsläufig immer mehr vom
Alltagsbegriffsverständnis ab. Begriffe sind historische Artefakte.
Der Argumentationsprozess kondensiert (verdichtet) und konfirmiert
(bestätigt) ihren Sinngehalt. Wie das Verständnis eines Begriffs
über einen oft langen Zeitraum herangereift ist, wird im aktuellen
Gebrauch jedoch nicht miterinnert. Namen deuten den Reifeprozess
an. Etwa: ratio decidendi (rationale Entscheidung). Die Historie
ist darin gespeichert und kann wieder thematisiert werden.
Argumentation mit Begriffen ist entsprechend historisch, ebenso die
Jurisprudenz als Lehre vom geltenden Recht. Geschichtlichkeit
bedeutet auch: Begriffe beruhen weder auf einem „Prinzip“, noch
bilden sie ein „System“. Sie sind keine autopoietisch geschlossenen
Systeme, wie soziale, psychische oder Zellsysteme. Ihren Sinn
bestimmen Argumentationsprozesse. Neue Begriffe erzeugen neue
Problemkreise. Das reichert den Sinnhorizont des Begriffs abermals
an. Z.B. wirft der Begriff „Delegation“ Fragen auf, wie: Darf ein
Delegierter von Befugnissen seine Befugnisse weiterdelegieren? Das
Recht müsste dann generell festlegen, wie diese Frage zu bewerten
ist. Man sieht, Begriffe entwickeln ein „Eigenleben“: Sie können
multilaterale Denkschulen entfalten, Emergenz produzieren. Wenn ein
spezifischer Auslegungsstrang später nicht mehr mitgemeint sein
soll, braucht es einen weiteren Begriff, der dieses Nicht-Mitmeinen
zum Ausdruck bringt und sich davon abgrenzt. Eine „Definition“ von
Begriffen anhand von „Merkmalen“ ist nach heutigem Wissensstand
nicht mehr sinnvoll. Auch ist es keine Frage mehr, was die „Quelle“
des Rechts wäre. Sämtliches Recht ist positiv, das Resultat von
Kommunikationen. In welchem Verhältnis stehen Begriffe und
Rechtsdogmatik? Unter Dogmatik versteht Luhmann die Notwendigkeit,
mit Begriffen argumentieren zu müssen. Damit Begriffe jedoch nicht
endlos „hinterfragt“ werden können, hat das Rechtssystem
„Stoppregeln“ eingebaut. Vollständiger Text auf Luhmaniac.de

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