Warum wir diesmal zwei Bundestagswahlen haben | Von Tom J. Wellbrock

Warum wir diesmal zwei Bundestagswahlen haben | Von Tom J. Wellbrock

15 Minuten

Beschreibung

vor 2 Jahren

Kürzlich war auf den NachDenkSeiten ein kleines Essay zu lesen.
Darin kam die Ratlosigkeit des Autors Jens Berger zum Vorschein,
die mich an meine eigene erinnerte. Einerseits ist die Wahl offen
wie selten, die Spitzenpositionen wechseln fast schon täglich.


Andererseits fragt man sich: Ja, und? Die programmatischen
Unterschiede sind dahin.


Was also tun?


Bittere Pillen in der Pralinenschachtel


Berger verwendete den Begriff der Pralinenschachtel, der einst
von der Kunstfigur Forrest Gump geprägt wurde. Das Problem an
dieser Schachtel ist der Inhalt. Denn statt süßer Schokohäppchen
in unterschiedlichen Geschmacksrichtungen finden wir einen bunten
Haufen bitterer Pillen.


Wir Wähler müssen nun – vorausgesetzt, wir vertrauen dem Prozess
des Wählens überhaupt noch – entscheiden, nach welchen Kriterien
wir unsere Wahlentscheidung treffen. Politik und Medien sind uns
dabei nicht behilflich, und damit sind wir schon beim ersten
Problem.


Corona oder die Rente?


Eines zeichnet sich überdeutlich ab: Für die Politik im Wahlkampf
ist die Krise zumindest zwischenzeitlich beendet. In Triells,
Wahlarenen oder Faktenchecks spielt Corona einfach keine Rolle.
Und auch der Wahl-O-Mat schweigt sich zum Thema Nummer 1 schlicht
aus. Wir müssen also einsehen, dass unsere Wahlentscheidung
unabhängig von Corona getroffen wird. So vermitteln es uns
zumindest Politik und Medien.


Das ist strategisch vielleicht nicht dumm, zeigt aber die
Ignoranz und das Desinteresse der Politik am Wahlvolk. Und es ist
infantil, vergleichbar mit dem kleinen Kind, das sich die Augen
zuhält und davon ausgeht, nun von niemandem mehr gesehen zu
werden. Corona ist nicht weg, und es ist ja ausgerechnet die
Politik, die uns das täglich vorbetet. Aber irgendwie eben doch,
weil die Krise in den Wahlkampfreden einfach keine Rolle spielt.


Müssen wir uns also entscheiden, ob wir unser Kreuz basierend auf
der verheerenden Politik der letzten anderthalb Jahre machen?
Oder doch eher auf der Grundlage programmatischer Punkte wie zum
Beispiel der Rentenpolitik?


Die Rente ist sicher … nicht sicher


Es waren ebenfalls die NachDenkSeiten, die in einer kleinen Serie
die programmatischen Unterschiede der Parteiprogramme
herausgearbeitet haben. Und die gibt es durchaus. Auf dem Papier.


Andererseits erleben wir seit zig Jahren eine Politik, die
kollektiv in eine Richtung führt: Privatisierungen und Abbau
sozialer Errungenschaften wie zum Beispiel der gesetzlichen
Rente. Einzig die Linke hat sich immer wieder damit hervorgetan,
die soziale Frage in den Vordergrund zu stellen (dabei geradezu
rekordverdächtig ausdauernd: Sahra Wagenknecht). Und auch in
Sachen Friedenspolitik war die Linke lange standhaft. Jetzt aber
wird auf eine sich selbst untreu werdende Art und Weise über die
NATO diskutiert, und die Partei zeigt sich offen, die eine oder
andere rote Linie ein kleines bisschen zu verschieben, wenn dabei
denn womöglich eine Regierungsbeteiligung herauskommt.


Der eigentliche Punkt dabei: Für die Partei „die Linke“ gilt, wie
für alle anderen Parteien auch, dass das Wahlprogramm heute mehr
denn je nichts weiter als ein Schmierzettel ist, auf dem nach der
Wahl munter radiert, durchgestrichen und verändert wird. Am Ende
wird – das hat gewissermaßen Tradition – nicht mehr viel übrig
bleiben von den Argumenten, die uns zur Wahl der einen oder
anderen Partei geführt haben.


Selbst mit einer Regierungsbeteiligung kann man davon ausgehen,
dass die Privatisierung der gesetzlichen Rente durch die Linke
nicht gestoppt werden kann. Und das hängt in erster Linie damit
zusammen, dass die Entscheidung zur Privatisierung der Rente
schon vor langer Zeit gefällt wurde und dahinter eine Lobby
steht, die sich von der Bundesregierung – in welcher
Farbkonstellation auch immer sie sich aufstellt – ganz sicher
nicht die Butter vom Brot nehmen lässt.


Das ist ein systembedingtes grundlegendes Problem, das sich nicht
ohne Weiteres aus der Welt schaffen lässt. Die Rente ist hier nur
ein Beispiel von vielen, aber sie macht deutlich, dass ein Zurück
zu einer umlagefinanzierten Rente nicht nur unmöglich erscheint,
sondern mit jedem Tag und jeder Bundesregierung in weitere Ferne
rückt.


Bloß nicht unterschätzen: die Corona-Politik... hier weiterlesen:
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