30. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 143, K. 03

30. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 143, K. 03

Wie realisiert das Rechtssystem seine gesellschaf…
1 Stunde 4 Minuten
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Ulrike Sumfleth und Joachim Feltkamp sind Luhmani…

Beschreibung

vor 3 Jahren
Wie realisiert das Rechtssystem seine gesellschaftliche Funktion
einer kontrafaktischen Stabilisierung von Verhaltenserwartungen?
Und ist das empirisch nachweisbar? Die Theorie sozialer Systeme
geht zunächst davon aus, dass sich Systeme selbst von ihrer Umwelt
unterscheiden. Sie erzeugen eine System-Umwelt-Differenz, indem sie
eine spezifische Differenz in die Umwelt hineinzeichnen. Zudem
operieren sie nach internen Normen, die nur in diesem System gelten
und nirgendwo sonst. Beobachtbar ist, dass sich das Rechtssystem
auf der Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung selbst steuert. Es
beobachtet sich selbst dabei, wie es zwischen normativen und
kognitiven Erwartungen unterscheidet. Auf diese Weise bestimmt sich
das System selbst. Es operiert dezentral und heterarchisch, durch
interne Vernetzungen und zirkuläre Selbstbestätigung. Um die Frage
zu beantworten, ob dies mit empirischer Forschung nachweislich ist,
setzt die Theorie sozialer Systeme eine Unterscheidung voraus:
Rechtlich verbindliche Entscheidungen werden nicht überall im
System getroffen, sondern nur im engen Bereich der Gerichte.
Gerichte bilden – zusammen mit den Parlamenten des politischen
Systems – einen eigenen Entscheidungsbereich. Für dessen Einheit
gibt es keinen Begriff. Luhmann nennt ihn das organisierte
Entscheidungssystem des Rechts. Gerichte stellen darin ein
Teilsystem (Subsystem) dar. Dieses Gerichtssystem differenziert
sich durch die Unterscheidung von Mitgliedern und Nichtmitgliedern
aus. Mitglieder sind auf die Rolle verpflichtet, sich bei rechtlich
bindenden Entscheidungen nach Rechtsnormen zu richten, die in Form
von Programmen vorliegen. Das Gerichtssystem organisiert seinen
eigenen Kommunikationsbereich. Es operiert ebenfalls heterarchisch,
in diesem Fall unter Mitgliedern. Es beobachtet
Gerichtsentscheidungen und richtet zukünftige Entscheidungen daran
aus. Zusätzlich differenziert es Entscheidungsnormen und -organe in
Form einer Rangordnung, um in komplexen Entscheidungszusammenhängen
ein Urteil fällen zu können. Nur hier gibt es eine Hierarchie, die
wiederum vom Gerichtssystem selbst bestimmt und normiert wird.
Dabei benutzt das Gerichtssystem Formen der Reflexivität. Es
normiert das Normieren. Zugleich schränkt es diese Möglichkeit auf
systemnotwendige Normen ein. Es handelt sich um eine Form der
doppelten Modalisierung: Das System erwartet normativ, dass
normativ erwartet wird. Verfahrensregeln sind hierfür ein typisches
Beispiel. Sie werden so normiert, dass die dadurch erzeugte
Entscheidung selbst normierend wirkt. Auch die Kompetenz,
Entscheidungen treffen zu dürfen, wird normiert, und es ist
wiederum eine Norm, dass es solche Kompetenznormen zu geben hat.
Kurz, reflexives Normieren bildet die Basis für das gesamte
Entscheidungssystem des Rechts. (Dies gilt also auch für die
Gesetzgebung durch Parlamente im politischen System). In dieser
Weise repräsentiert das Rechtssystem in der Gesellschaft seine
Zuständigkeit für die spezifische Funktion, rechtliche Erwartungen
kontrafaktisch zu stabilisieren. Es verkörpert seine Funktion:
Personen, Häuser, Akten usw. machen diese Struktur empirisch
nachweislich. Die doppelte Modalisierung ist auch bei
Nichtmitgliedern des Systems im täglichen Leben beobachtbar. Wer
sein Recht verletzt sieht, vertraut darauf, dass er sein Anliegen
juristisch klären lassen kann. Die gesamte Ausdifferenzierung des
Rechts zu einem autonomen Funktionssystem beruht auf dieser
normativen Erwartung des normativen Erwartens, also auf der
Reflexivität des rechtlichen Normierens. Erst durch diese
Reflexivität werden das Recht und seine Entscheidungsinstanzen
sozial akzepiert. Fehlt diese Reflexivität, wird Recht als
Fremdkörper empfunden, dem man nicht vertrauen kann. In den meisten
Hochkulturen verließ man sich darum lieber auf Selbstjustiz
innerhalb der vertrauten Ordnung durch Familien, Häuser und
Verbände.

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