59 . Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 265, K06, III

59 . Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 265, K06, III

Die Erfindung des Verfahrens gehört zu den bedeut…
58 Minuten
Podcast
Podcaster
Ulrike Sumfleth und Joachim Feltkamp sind Luhmani…

Beschreibung

vor 1 Jahr
Die Erfindung des Verfahrens gehört zu den bedeutendsten
evolutionären Errungenschaften des Rechtssystems. Zum
entscheidenden Träger der eigenständigen Evolution des
Rechtssystems wurde jedoch letztlich die juristische Argumentation.
Die Form des Verfahrens gab vor, dass sich jede Argumentation
fortan nur noch auf das Recht beziehen durfte. Damit verboten sich
zugleich Ausflüge in nichtrechtliche Gefilde, wie sie zuvor üblich
gewesen waren, z.B. die Argumentation mit Gott, Natur oder Moral,
oder die Ad-hominem-Argumentation („Beweisrede zum Menschen“).
Diese Entwicklung zu einem selbstrekursiven, sich allmählich
operativ schließenden Funktionssystem war weder „planbar“ noch ist
sie selbstverständlich. Sie stellt im Gegenteil eine überwundene
Unwahrscheinlichkeit dar. Exzeptionelle Bedingungen dafür gab es in
Europa durch das Römische Zivilrecht. Die römische Fallpraxis hatte
es zu einem beachtlichen Differenzierungsgrad gebracht. Amtsträger
instruierten Richter, bei der Rechtsprechung Grundsätze anzuwenden.
Diese öffentlichen Anweisungen (Edikte) wurden verfeinert,
redigiert, aktuellen Fällen angepasst. Die Komplexität stieg – und
damit der Bedarf an fachlicher Expertise. Die so entstehende
Rechtskunde (Jurisprudenz) bedeutete anfangs nur, dass man
Überblick besaß, wie Rechtsprechung in der Praxis zustande kommt.
Im Mittelalter ging man dazu über, Wissen in Rechtssprüchen
(brocardia) zu verdichten. Daraus entwickelte sich eine
Rechtstradition, die ihre eigene Dogmatik schuf, grundlegende
Lehrsätze, deren Wahrheitsgehalt als unumstößlich gilt. Die Dogmen
wirkten wiederum stabilisierend auf das Recht zurück.
Vorangetrieben wurde diese Entwicklung insbesondere durch die
Begriffe Eigentum und Vertrag. Beide ermöglichten eine strukturelle
Kopplung mit der Ökonomie. Relativ spät entwickelte das Recht die
rein juristische Unterscheidung von Eigentum und Besitz. Rechtlich
ausschlaggebend ist seitdem das Eigentum, unabhängig von der Frage,
wer etwas augenscheinlich „be-sitzt“, z.B. Land. Mit der
Verrechtlichung des Eigentumsbegriffs wurde auch dessen gewaltsame
Verteidigung verrechtlicht. Der Rechtsinhaber musste sein Recht nun
auf dem Rechtsweg durchsetzen, mit Rechtsmitteln und Rechtstiteln.
Das führte zur Unterscheidung von Zivil- und Strafrecht, wobei das
Zivilrecht es möglich machte, Kreditverträge zu gestalten. Der
Begriff des Eigentums hat weitreichende soziale Folgen. Mit jeder
„Vereigentumung“ werden alle anderen zu Nicht-Eigentümern erklärt
(ohne dass sie gefragt oder benachrichtigt würden). Der Begriff ist
universell anwendbar und stellt somit einen starken Bezug zum
Rechtssystem her (mit gleichzeitiger struktureller Kopplung zum
Wirtschaftssystem). Mit ähnlich weitreichenden Folgen führte der
Begriff des Vertrages zur Verrechtlichung des wirtschaftlichen
Problems, dass bei einer gegenseitigen Leistungszusicherung ein
Handelspartner seine Leistung nicht erfüllen könnte. Mit
Obligationen (Schuldscheinen) ließ sich das gegenseitige
Schuldverhältnis rechtlich regeln. Es war damit auch nicht mehr
zwangsläufig nötig, ein Zug-um-Zug-Geschäft durchzuführen, bei dem
beide Handelspartner gleichzeitig anwesend sein müssen. Der Vertrag
ersetzt den Tausch. Aus Handelspartnern werden Vertragspartner, der
Vertrag regelt deren gegenseitige Leistungen (Synallagma). Es
erscheint uns heute selbstverständlich, dass die juristische
Argumentation sich ausschließlich auf geltendes Recht bezieht. Das
darf jedoch nicht davon ablenken, dass Irrwege möglich sind. Ein
heikles Sachgebiet ist z.B. die „Interessenabwägung“, die leicht
außerhalb des Rechts führt, wenn Interessen von anderen
Funktionssystemen wie der Politik oder der Wissenschaft
hierarchisch geordnet werden müssten; was rechtlich unmöglich ist,
weil es keine Zentralinstanz unter den Funktionssystemen gibt.

Kommentare (0)

Lade Inhalte...

Abonnenten

15
15
:
: