61 . Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 273, K06, III

61 . Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 273, K06, III

Mit zunehmender Verschriftlichung des Rechts diff…
1 Stunde 26 Minuten
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Ulrike Sumfleth und Joachim Feltkamp sind Luhmani…

Beschreibung

vor 1 Jahr
Mit zunehmender Verschriftlichung des Rechts differenzierte sich
auch die Rechtslehre im 18. Jh. aus. Um Problemlösungen auf der
Grundlage von vorhandenem Recht widerspruchsfrei (konsistent)
konstruieren zu können, systematisierte man Begriffe und achtete
auf rechtsgeschichtliche Zusammenhänge (Kohärenz). Aus kleinen
semantischen Abweichungen, deren Tragweite nie vorhersehbar ist,
entwickelten sich so ganze Rechtsinstitute, wie z.B. das
Haftungsrecht. Der evolutionäre Prozess setzt ein, wenn eine
Variation sich bewährt, weil infolgedessen weitere Variationen an
die jeweils vorherige anschließen können. Es kommt zur
„Abweichungsverstärkung“: Die ursprüngliche Variation verstärkt
sich, indem jede weitere Variation neue Anschlussmöglichkeiten
bietet. Damit wurde das Recht jedoch zunehmend nur noch für
Praktiker verständlich. Im 19. Jh. kritisierten
Rechtswissenschaftler die Begriffsjurisprudenz: eine
Interpretation, die sich an den Wortlaut von Gesetzestexten
klammert, ohne den Sinn des Gesetzes selbst zu hinterfragen – und
ihn dadurch womöglich ad absurdum führt. Als verfehlte
Auslegungsmethode wird die Begriffsjurisprudenz erst Ende des 19.
Jh. abgelehnt. In der Folgezeit werden Variationen mit dem Verweis
auf Kompetenznormen in Politik und Recht gerechtfertigt. Dass sich
die Rechtsdogmatik ausdifferenzierte, begünstigte wiederum die
Ausdifferenzierung der Stabilisierungsfunktion des evolutionären
Prozesses. In der Praxis muss das Recht angesichts einer Variation
zwei Arten möglicher Konsequenzen unterscheiden: Hat die Variation
Konsequenzen für die Rechtslehre? Oder wirkt sie sich nur auf
zukünftige Gerichtsentscheidungen aus? Im zweiten Fall handelt es
sich um änderbares Recht. Die Entscheidungsmöglichkeit gabelt sich.
Das System differenziert also zwischen Selektionsfunktion und
Stabilisierungsfunktion. Bei der Überarbeitung und Ausweitung der
Rechtslehre wird ihre Dogmatik zur Garantie dafür, dass das System
Fälle als System konsistent lösen muss. Die Geltung kann nicht mehr
mit religiösen Normen begründet werden und auf rechtliche
Konsistenz umgestellt. Zugleich ermöglicht die Rechtsdogmatik es
dem System, aus eigenen Fehlern zu lernen. Jede Problemlösung muss
auf der Grundlage des vorhandenen Rechts samt seiner Semantik
konstruiert werden. Ist das nicht möglich, werden Fehler und
Schwachstellen sichtbar. Die dogmatische Rekonstruktion der
Problemlösung hatte im späten Mittelalter zur Idee geführt, dass
jeder Vertrag, der nicht gegen Recht verstößt, als rechtskräftiger
Titel beurkundet werden kann (ex nudo pacto oritur obligatio; eine
Verpflichtung entsteht aus einer Vereinbarung). Im 18. Jh. eröffnet
dies die Möglichkeit, das Recht an neuartige Bedarfe für
Kapitalakkumulation und Haftungsbeschränkungen anzupassen; z.B.
durch die neue Figur der juristischen Person. Mit „Anpassung“ ist
jedoch nie Fremdbestimmung gemeint. Für das Rechtssystem sind die
Interessen der Umwelt nur insoweit eine Irritation, als daraus eine
juristische Problemstellung erwächst. Bereits die Frage, ob es sich
um eine rechtsrelevante Aufgabe handelt, ist eine systeminterne
Operation. Die Norm, Problemlösungen konsistent zu konstruieren,
überträgt das Rechtssystem dann zunehmend auch auf seine
Interpretation der Gesetzgebung. Die „ursprüngliche Intention“ des
Gesetzgebers (die bei der Begriffsjurisprudenz so auf den Hund
gekommen war) wird im Common Law standardmäßig hinterfragt (durch
die Frage, welches „Unheil“ das Gesetz beheben sollte, die sog.
„mischief rule“, deutsch: Unfug-Regel). Mit dieser Frage motiviert
sich das Recht dazu, eine Variation abzulehnen, wenn sie die
Konsistenz bzw. Stabilität bzw. Gerechtigkeit gefährden würde.
(Vollständiger Text auf luhmaniac.de)

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