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Episoden
23.12.2025
13 Minuten
Mit Anfang 20 habe ich bei einer Zeitung gearbeitet. Eine meiner
Aufgaben war es, über Gerichtsverfahren zu berichten. Ich bin
also zum Amtsgericht gegangen, habe mich in eine Verhandlung
gesetzt und zugehört. Danach habe ich darüber einen Artikel
geschrieben. Ich fand diese Termine immer besonders interessant.
Wieso begehen Menschen Straftaten? Was bringt sie dazu? Heute
geht es also um die Justiz in Deutschland.
Die Justiz in Deutschland kümmert sich um Recht und
Gerechtigkeit. Sie soll dafür sorgen, dass Konflikte friedlich
gelöst werden und dass sich alle an die Gesetze halten. Trotzdem
besteht die Justiz nicht nur aus strengen Richtern, sondern aus
vielen verschiedenen Personen mit unterschiedlichen Aufgaben.
Zunächst mal ein Blick zurück. Schon sehr früh in der Geschichte
gab es in den deutschen Gebieten Regeln und Gerichte. Im
Mittelalter hatten Könige, Fürsten und Städte ihre eigenen
Gerichte. Oft war Recht damals nicht gleich Recht. Arme Menschen
hatten schlechtere Chancen als reiche. Manchmal entschieden auch
Aberglaube oder Macht über Schuld oder Unschuld. Es gab zum
Beispiel Gottesurteile. Dabei musste eine Person eine schwere
Prüfung bestehen, etwa über glühende Kohlen laufen. Überlebte
sie, galt sie als unschuldig. Aus heutiger Sicht wirkt das sehr
grausam und unfair.
Im 19. Jahrhundert änderte sich vieles. Es entstanden moderne
Gesetze, und der Staat übernahm mehr Verantwortung. Nach der
Gründung des Deutschen Reiches im Jahr 1871 wurden viele Regeln
vereinheitlicht. Gerichte arbeiteten nach festen Verfahren, und
Urteile sollten besser begründet sein. In der Zeit des
Nationalsozialismus wurden Gerichte missbraucht. Viele Richter
folgten der Politik und sprachen ungerechte Urteile. Nach dem
Zweiten Weltkrieg war deshalb klar: Eine neue, unabhängige Justiz
ist sehr wichtig.
Heute basiert die Justiz in Deutschland auf dem Grundgesetz.
Darin steht, dass alle Menschen gleich sind vor dem Gesetz.
Richter sind unabhängig. Das bedeutet, sie dürfen keine Befehle
von der Politik annehmen. Sie sollen nur nach dem Gesetz und nach
ihrem Gewissen entscheiden. Das ist ein zentraler Gedanke des
Rechtsstaates.
In einem Gerichtsverfahren gibt es verschiedene Rollen. Der
Richter oder die Richterin leitet die Verhandlung und spricht am
Ende das Urteil. Richter haben lange studiert und eine spezielle
Ausbildung gemacht. Sie sollen ruhig bleiben und beide Seiten
anhören. In manchen Verfahren sitzen neben dem Richter auch
Schöffen. Schöffen sind normale Bürgerinnen und Bürger ohne
Jura-Studium. Sie bringen die Sicht der Gesellschaft ein und
entscheiden gemeinsam mit dem Richter. Schöffen machen das
ehrenamtlich, also ohne Geld dafür zu bekommen. Sie werden für
fünf Jahre gewählt. Warum es sie gibt, steht im Grundgesetz. Dort
heißt es: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Also darf
das Volk – in diesem Fall vertreten durch einzelne Menschen –
auch mitentscheiden.
Welche Personen gibt es noch im Gerichtssaal? Der Staatsanwalt
vertritt den Staat. Er ermittelt bei Verdacht auf eine Straftat
und bringt den Fall vor Gericht. Oft nennt man ihn auch
„Ankläger“. Er soll nicht nur belastende, sondern auch
entlastende Fakten suchen. In Filmen wirkt der Staatsanwalt
manchmal sehr aggressiv, aber in Wirklichkeit hat er eine
sachliche Aufgabe. Er soll helfen, die Wahrheit zu finden.
Der Rechtsanwalt oder die Rechtsanwältin vertritt eine Partei.
Das kann der Angeklagte sein oder auch ein Opfer. Anwälte beraten
ihre Mandanten, erklären das Gesetz und sprechen vor Gericht für
sie. Manchmal versuchen sie, einen guten Vergleich zu finden,
damit es gar nicht zu einem langen Prozess kommt. In Deutschland
darf jeder Beschuldigte einen Anwalt haben. Das ist ein wichtiges
Recht. Wenn jemand kein Geld hat, kann er unter bestimmten
Bedingungen Hilfe bekommen.
Dann gibt es natürlich noch Zeugen. Die Zeugen sind Menschen, die
die Tat gesehen haben oder den Angeklagten gut kennen. Sie dürfen
nicht lügen und müssen alle Fragen korrekt beantworten.
Allerdings wurde wissenschaftlich gezeigt, dass man den Aussagen
von Zeugen nicht immer vertrauen kann. Gerade was das Aussehen
eines Täters angeht, spielt uns da das Gedächtnis manchmal einen
Streich.
Es gibt übrigens verschiedene Arten von Gerichten. Strafgerichte
beschäftigen sich mit Straftaten wie Diebstahl oder Betrug.
Zivilgerichte entscheiden bei Streit über Verträge, Geld oder
Nachbarschaftsprobleme. Verwaltungsgerichte befassen sich mit
Konflikten zwischen Bürgern und dem Staat, zum Beispiel bei
Bauprojekten.
Machen wir es noch genauer. Fangen wir an beim Zivilrecht. Das
sind also Streitigkeiten unter Bürgern. Zum Beispiel nach einem
Verkehrsunfall oder bei einem Streit unter Nachbarn. Ich war
damals bei der Zeitung wie gesagt am Amtsgericht. Das Amtsgericht
ist zuständig für Streitigkeiten mit einem Wert bis 5000 Euro.
Beim Landgericht geht es um Fälle über 5000 Euro Streitwert. Zwei
höhere Instanzen sorgen dann für Überprüfungen oder Beschwerden.
Dann gibt es noch Strafverfahren. Da geht es also nicht um
Streitigkeiten, sondern zum Beispiel darum, dass die Polizei
einen Täter gefasst hat. Zum Beispiel einen Einbrecher.
Die Justiz arbeitet oft langsam. Viele Menschen klagen darüber.
Verfahren können Monate oder sogar Jahre dauern. Das liegt an
vielen Regeln, an sorgfältiger Prüfung und an der großen Zahl von
Fällen. Und es ist auch ein Problem, dass es sehr viel Bürokratie
in diesem Bereich gibt.
Auch die Sprache im Gericht ist besonders. Sie ist oft
kompliziert und schwer zu verstehen. Deshalb versuchen manche
Gerichte heute, einfacher zu sprechen und besser zu erklären.
Denn Gerechtigkeit funktioniert nur dann gut, wenn die Menschen
auch verstehen, was passiert.
Noch ein Wort möchte ich dir in diesem Zusammenhang beibringen:
Bewährung. Angenommen, ein Mann steht vor Gericht. Dann gibt es
mehrere Möglichkeiten, was passiert: Es kann einen Freispruch
geben, wenn das Gericht ihn für nicht schuldig hält oder es nicht
genügend Beweise gegen ihn gab. Er kann auch verurteilt werden zu
einer Gefängnisstrafe. Gefängnis heißt korrekt
Justizvollzugsanstalt. Und dann gibt es noch die Bewährung. Wenn
die Freiheitsstrafe, also die Zeit im Gefängnis, unter zwei
Jahren ist, kann das Gericht sie auf Bewährung aussetzen. Der
Richter muss also überlegen, wie es mit dem Täter weitergeht. War
es eine Tat, die er wahrscheinlich nicht wiederholen wird? Dann
kann die Strafe auf Bewährung erfolgen. Das heißt: Er kommt nicht
ins Gefängnis. Er darf aber auch nicht wieder etwas ähnliches
machen, sonst muss er eben doch ins Gefängnis. Wenn der Täter auf
Bewährung frei lebt, muss er sich an bestimmte Regeln halten.
Mich hat besonders fasziniert, wenn Jugendliche vor Gericht
standen. Die Richter waren in diesen Fällen sehr streng, aber
auch verständnisvoll. Sie haben nicht versucht, zu bestrafen,
sondern bei den Jugendlichen wirklich Verständnis für ihre Tat zu
wecken. Damit sie es eben nicht wieder tun.
Wahrscheinlich könnte man noch viel mehr zu diesem Thema sagen –
aber die Folge ist jetzt schon lang. Ich hoffe jedenfalls, dass
ihr nie mit dem Gericht in Konflikt kommt.
Text der Episode als PDF:
https://slowgerman.com/folgen/sg313kurz.pdf
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09.12.2025
9 Minuten
Wir alle haben Vorurteile oder Stereotype. Das bedeutet, dass man
über andere Menschen denkt, sie seien alle gleich. Man glaubt
also, etwas über eine ganze Gruppe zu wissen, obwohl man nur
wenige Personen kennt. Stell dir zum Beispiel einen Franzosen
vor. Was siehst du? Du siehst einen Mann in einem gestreiften
Oberteil mit einer Baskenmütze auf dem Kopf und einem Baguette
unter dem Arm, oder? Wenn’s geht spielt er noch Akkordeon. Das
ist das typische Klischee eines Franzosen. Wobei ich sagen muss:
Ich habe sehr gelacht, als ich diesen Sommer in Frankreich war.
Denn dort hatten abends wirklich viele Menschen ein Baguette
unter dem Arm!
Vorurteile und Stereotype gab es schon immer. Früher reisten die
Menschen viel weniger. Sie kannten andere Länder vor allem aus
Erzählungen, aus Büchern oder von Händlern. Wenn jemand sagte:
„Die Menschen in diesem Land sind so oder so“, glaubten das
viele. So entstanden einfache Bilder im Kopf. Und viele halten
sich bis heute.
Überleg mal, wie für dich der typische Deutsche aussieht. Was er
macht. Was er trinkt. Was er gerne isst. Na, hast du ein Bild vor
Augen? Gehen wir es mal durch! Mal sehen, ob ich erraten habe, an
welche Vorurteile du gerade gedacht hast.
Ein bekanntes Vorurteil ist, dass alle Deutschen pünktlich sind.
Es stimmt, dass Pünktlichkeit in Deutschland wichtig ist. Viele
Menschen erwarten, dass Züge, Busse oder Verabredungen genau zur
richtigen Zeit beginnen. Allerdings hat diese deutsche
Charaktereigenschaft ein Problem: Sie passt nicht zur Deutschen
Bahn. Die Deutsche Bahn ist leider bekannt dafür, dass sie ein
Problem mit der Pünktlichkeit hat. Im Oktober 2025 hatte jeder
zweite Fernzug in Deutschland Verspätung. Grund dafür sind viele
Baustellen und das marode, also kaputte, Schienennetz.
Ein weiteres Stereotyp ist, dass Deutsche sehr ernst sind und
nicht viel lachen. Viele Besucher sagen, Deutsche seien höflich,
aber distanziert. Auch dieses Bild stimmt nur teilweise. Es gibt
Menschen, die ernst sind, aber auch viele, die gerne Witze machen
oder fröhlich sind. Oft braucht man in Deutschland einfach etwas
Zeit, bis man jemanden gut kennt. Danach öffnen sich viele
Menschen und sind herzlich. Das heißt aber nicht, dass Deutsche
unfreundlich sind. Es ist nur eine andere Art, mit neuen Personen
umzugehen. Gibt es also deutschen Humor? Ich sage: Ja. Ich kann
über Kabarettisten wie Jochen Malmsheimer oder Loriot wirklich
Tränen lachen.
Kommen wir dazu, wie Deutsche aussehen. Denkst du an Lederhose,
Dirndl und Bierkrug? Viele Touristen denken noch heute, dass alle
Deutschen so aussehen und jeden Tag Bier trinken. Dabei ist die
Lederhose eine Tradition aus Bayern, also aus dem Süden des
Landes. In vielen anderen deutschen Regionen trägt niemand solche
Kleidung. Trotzdem ist die Lederhose weltweit ein Symbol für
Deutschland geworden. Es ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein
kleiner Teil eines Landes plötzlich für das ganze Land steht.
Kurios ist, dass manche Menschen aus dem Ausland bei ihrem Besuch
in Berlin enttäuscht sind, weil dort kaum jemand eine Lederhose
trägt. Sie hatten etwas anderes erwartet. Übrigens trinken die
Menschen in vielen Regionen Deutschlands auch viel lieber Wein
als Bier. Das kommt einfach darauf an, wo Weinberge existieren
und wo eher Hopfengärten.
Auch innerhalb Deutschlands gibt es Stereotype über bestimmte
Regionen. Zum Beispiel sagt man über Menschen aus
Norddeutschland, dass sie ruhig und wenig gesprächig sind. Über
Menschen aus Süddeutschland sagt man, sie seien besonders
gemütlich. Solche Vorurteile können unterhaltsam sein, wenn man
sie nicht zu ernst nimmt. Problematisch werden sie, wenn Menschen
andere nur nach solchen Bildern beurteilen.
Viele Vorurteile entstehen, wenn man etwas nicht kennt oder wenn
man Angst vor Neuem hat. Deshalb ist es wichtig, andere Menschen
kennenzulernen und mit ihnen zu sprechen. Immer wieder nutzten
politische Gruppen negative Stereotype, um Menschen zu trennen
und zu verletzen. Heute versuchen viele Organisationen, Schulen
und Projekte in Deutschland, über dieses Thema aufzuklären. Sie
erklären, wie Stereotype entstehen und wie man sie erkennt.
Ich finde es seltsam zu sehen, wie Deutsche in Filmen oder Serien
dargestellt werden. Eigentlich reden sie alle wie Adolf Hitler,
oder? Sie sind selten freundlich, sondern meistens eher die
Bösen. Ach ja, und noch ein Stereotyp muss ich hier mal aus dem
Weg schaffen: Ich esse höchstens ein Mal pro Jahr Sauerkraut.
Jetzt bin ich aber vor allem gespannt, welche Vorurteile du über
Deutschland hast. Oder gerne auch welche Vorurteile du früher
hattest – aber jetzt nicht mehr! Schreib bitte in die Kommentare
auf slowgerman.com!
Text der Episode als PDF:
https://slowgerman.com/folgen/sg312kurz.pdf
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25.11.2025
11 Minuten
Freude, schöner Götterfunken. Sagen dir diese Wörter etwas?
Vielleicht nicht. Aber die Melodie, die damit verbunden wird,
kennst du mit Sicherheit. Es ist das Lied, das wir heute als
Europahymne kennen. Heute erzähle ich dir mehr über dieses
wichtige Stück klassischer Musik.
Der Text stammt von Friedrich Schiller. Er schrieb das Gedicht
„An die Freude“ im Jahr 1785. Später überarbeitete er es noch
einmal. Schiller war damals schon ein berühmter Dichter. Er
liebte große Themen wie Freiheit, Freundschaft und
Menschlichkeit. In der Ode „An die Freude“ wollte er zeigen, dass
alle Menschen Brüder und Schwestern sind und zusammenhalten
sollten.
Viele Jahre später entdeckte ein anderer sehr berühmter Mann
dieses Gedicht für sich: der Komponist Ludwig van Beethoven. Er
war fasziniert von Schillers Worten. Beethoven war selbst ein
Mensch, der stark an die Kraft der Freiheit glaubte. Außerdem
bewunderte er Schiller, weil dieser Mut zeigte und über wichtige
gesellschaftliche Fragen schrieb. Beethoven wollte schon lange
ein großes Musikstück schaffen, das die Idee von Gemeinschaft und
Humanität ausdrückt. Als er die Ode „An die Freude“ las, wusste
er, dass er diese Worte eines Tages vertonen würde.
Beethoven arbeitete viele Jahre an seiner Neunten Sinfonie. Als
sie im Jahr 1824 in Wien uraufgeführt wurde, war Beethoven schon
völlig taub. Er stand trotzdem am Dirigentenpult, obwohl er die
Musik nicht mehr hören konnte. Am Ende des Konzerts sah er, dass
die Menschen ihm begeistert applaudierten. Viele standen sogar
auf. Die 9. Sinfonie war also von Anfang an ein großer Erfolg.
Der berühmte Chor mit dem Text der „Ode an die Freude“ erklingt
im letzten Satz der Neunten Sinfonie. Für damalige Zeit war das
etwas Besonderes. Eine Sinfonie mit einem Chor war ungewohnt.
Heute gilt die Neunte Sinfonie als Meisterwerk. Der Chor mit der
„Ode an die Freude“ ist der bekannteste Teil.
Interessant fand ich zu lesen, dass Schiller selbst sein Gedicht
später gar nicht mehr so mochte. Er hatte das Gefühl, es sei zu
übertrieben und zu pathetisch. Er hätte wahrscheinlich nie
gedacht, dass seine Worte einmal von Millionen Menschen auf der
ganzen Welt gesungen würden. Auch Beethoven wusste natürlich
nicht, wie populär seine Musik einmal werden würde. Niemand
konnte ahnen, dass seine Melodie Jahrhunderte später bei
Sportereignissen, Konzerten und sogar auf Klingeltönen von Handys
landen würde. Ich überlege oft, wie die längst verstorbenen
Künstler es wohl empfinden würden, wenn sie ihren heutigen Erfolg
sehen könnten. Gerade erst war ich in einem ausverkauften
Rachmaninow-Konzert. Und das war ja ein Mann, der sehr an sich
gezweifelt hat. Aber zurück zu Schiller und Beethoven. Denn die
Geschichte dieses Stückes geht ja noch viel weiter.
Ein besonders wichtiger Moment in der Geschichte der „Ode an die
Freude“ war nämlich das Jahr 1972. In diesem Jahr wurde die
Melodie zur offiziellen Hymne des Europarats gewählt. Später,
1985, wurde sie auch die Hymne der Europäischen Gemeinschaft, aus
der später die Europäische Union wurde. Das Besondere daran: Für
diese Hymne wird nur die Musik verwendet. Es wird nicht gesungen.
Man wollte damit zeigen, dass Europa viele Sprachen und Kulturen
hat. Die Melodie steht für gemeinsame Werte, ohne eine Sprache zu
bevorzugen.
Ich muss dir noch etwas erzählen, was ich selber gar nicht
wusste. Ich habe es erst erfahren, als ich für diese Episode
recherchiert habe: Die Melodie wurde in Japan zu einem Winterhit!
Dort singen große Chöre jedes Jahr zum Jahresende Beethovens
Neunte. Manche dieser Chöre bestehen aus mehreren Tausend
Sängerinnen und Sängern. In Japan ist die Neunte so beliebt, dass
einige Menschen sie sogar „Daiku“ nennen. Das bedeutet „Nummer
Neun“. Wie genau diese Tradition entstanden ist, ist nicht ganz
klar. Ich habe auf der Seite der BBC gelesen, dass diese
Tradition im Ersten Weltkrieg entstanden sein soll. Damals gab es
ein Kriegsgefangenenlager in Japan und dort waren deutsche
Soldaten interniert. Und diese Soldaten spielten oft Musik, eben
auch Beethovens Neunte. Nach dem Kriegsende gaben sie ein Konzert
außerhalb des Gefängnisses. Das Stück wurde über die Jahre
beliebter in Japan und 1940 wurde es bei einer Neujahrsaufführung
gespielt. Auf der Seite slowgerman.com habe ich den Link zu einem
Video für dich von 10.000 Sängerinnen und Sängern in Japan!
Mich hat es daran erinnert, dass ich als Kind mit meinen Eltern
und Verwandten im Hollywood Bowl war. Dort gab es auch ein
Konzert der „Ode an die Freude“, und meine Mutter und ich haben
uns damals eher amüsiert. Denn die amerikanischen Sängerinnen und
Sänger hatten nicht so ordentlich an ihrer Aussprache gearbeitet
wie die aus Japan und es klang für uns einfach lustig, wie sie
die deutschen Wörter aussprachen.
Dennoch finde ich es natürlich faszinierend, dass Menschen auf
der ganzen Welt diese Melodie lieben und sogar den deutschen Text
singen können! Noch ein paar Worte zum Text: Sei nicht
frustriert, wenn du ihn nicht verstehst. Es ist Lyrik. Und es ist
alt. Es ist auch für mich nicht alles gut zu verstehen. Die
Freude ist zum Beispiel eine „Tochter aus Elysium“, also aus dem
Paradies der Götter.
Dann schreibt Schiller: „Alle Menschen werden Brüder“. Dieser
Gedanke war zur Entstehungszeit ziemlich radikal. Die
Gesellschaft war streng in Klassen eingeteilt. Manche Menschen
hatten viele Rechte, andere sehr wenige. Schiller stellte diese
Ordnung mit seinem Gedicht offen in Frage. Für einen Dichter im
18. Jahrhundert war das mutig. Dass dieser Satz heute zu den
berühmtesten Zeilen deutscher Dichtung gehört, zeigt, wie stark
seine Wirkung ist. Und er ist leider nach wie vor aktuell, denn
wir sind lange noch nicht an dem Punkt, an dem alle Menschen
gleich sind.
Das alles wollte ich dir erzählen, in dieser Zeit der Krisen und
Kriege. Wir müssen versuchen, Hoffnung zu haben. Anderen Menschen
zu vertrauen. Wir sind alle Menschen auf der gleichen Erde. Es
wird Zeit, dass wir gemeinsam leben und nicht gegeneinander
kämpfen. Schön pathetisch, oder? Muss auch mal sein.
Text der Episode als PDF:
https://slowgerman.com/folgen/sg311kurz.pdf
Hier gibt es eine englische Übersetzung der Episode von Kevin:
https://inter-linear.blogspot.com/2025/12/ode-die-freude-de-en.html?m=1
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11.11.2025
10 Minuten
Wie Du weißt, lebe ich in München. Und vor einer Woche durften
die Menschen in München abstimmen. Die Frage war: Soll München
sich für die Olympischen Sommerspiele bewerben? Ich persönlich
war dagegen, aber die Mehrheit der Münchner stimmte dafür. Also
bewirbt sich die bayerische Landeshauptstadt um dieses Spektakel.
Mal sehen, ob es klappt. Mich hat es jedenfalls auf die Idee
gebracht, eine Slow German-Episode über die Olympischen Spiele zu
machen.
Die Olympischen Spiele sind eines der größten Sportereignisse der
Welt. Alle vier Jahre treffen sich Sportlerinnen und Sportler aus
fast allen Ländern, um gemeinsam zu zeigen, was sie können. Es
soll dabei nicht nur um Medaillen gehen, sondern auch um
Fairness, Respekt und Völkerverständigung. Das war schon die Idee
der alten Griechen, die vor über 2700 Jahren die ersten
Olympischen Spiele in Olympia veranstalteten. Vielleicht hast Du
auch die Eröffnung der Olympischen Spiele in Paris gesehen? Wie
die Boote mit den Sportlerinnen und Sportlern über die Seine
fuhren? Das war ein fantastisches Spektakel, oder?
Aber hier bei Slow German geht es natürlich vor allem um
Deutschland. Deutschland hat eine lange Geschichte mit den
Olympischen Spielen. Schon 1896, bei den ersten Spielen der
Neuzeit in Athen, nahmen deutsche Athleten teil. 1936 fanden die
Spiele in Berlin statt. Diese Spiele sind heute besonders
bekannt, weil sie von der nationalsozialistischen Regierung für
Propaganda genutzt wurden. Trotzdem gab es dort auch sportliche
Höhepunkte, wie zum Beispiel den Sieg des afroamerikanischen
Läufers Jesse Owens.
Doch die wohl bekanntesten Olympischen Spiele in Deutschland sind
die von 1972 in München. Sie sollten ganz anders sein als die von
1936. Die Bundesrepublik Deutschland wollte der Welt ein neues,
modernes, friedliches Land zeigen. Ein Land, das nach dem Krieg
wieder aufgebaut war, freundlich und offen. Deshalb war das Motto
dieser Spiele: „Heitere Spiele“.
Die Spiele in München begannen am 26. August 1972. Sie dauerten
zwei Wochen. Das Olympiastadion war damals extra dafür ganz neu
gebaut worden – mit einem durchsichtigen Zeltdach. Heute wird es
renoviert, ebenso wie das Stadion, in dem seither übrigens sehr
viele Open Air-Konzerte stattgefunden haben. Auch das Maskottchen
von Olympia 1972 war fröhlich: ein bunter Dackel mit dem Namen
„Waldi“. Das war das erste Mal, dass es bei Olympischen Spielen
überhaupt ein offizielles Maskottchen gab. „Waldi“ war also ein
echter Pionier!
München wurde für die Olympischen Spiele komplett umgebaut. Es
gab ein eigenes olympisches Dorf, in dem die Sportlerinnen und
Sportler wohnten. Viele dieser Gebäude werden bis heute genutzt.
Allerdings finde ich sie eher hässlich, das sind Betonklötze, die
aber 1972 als modern empfunden wurden. Manche der Gebäude wurden
zu normalen Wohnhäusern, andere zu Studentenheimen umgebaut. Dazu
gab es neue Straßen, U-Bahn-Linien und Sportanlagen.
Mit 121 teilnehmenden Mannschaften und 7170 Athleten stellten die
Spiele von München einen neuen Teilnehmerrekord
auf. Sportlich lief es für Deutschland sehr gut. Also für
die Bundesrepublik Deutschland muss man sagen, denn das war vor
der Wiedervereinigung. Besonders bekannt wurde der Schwimmer Mark
Spitz aus den USA, der sieben Goldmedaillen gewann. Das war
damals ein Weltrekord. Aber auch deutsche Athleten waren
erfolgreich. Heide Rosendahl gewann Gold im Weitsprung und
zusammen mit ihren Teamkolleginnen auch in der
4×100-Meter-Staffel. Der Turner Klaus Köste gewann Gold am Reck.
Doch so fröhlich die Spiele begonnen hatten, so tragisch wurden
sie in der zweiten Woche. Am 5. September 1972 drangen acht
Terroristen in das olympische Dorf ein. Sie gehörten zur
palästinensischen Gruppe „Schwarzer September“. Sie nahmen elf
Mitglieder der israelischen Mannschaft als Geiseln. Ihr Ziel war
es, palästinensische Gefangene freizupressen. Die Situation
dauerte fast den ganzen Tag. Am Ende versuchte die Polizei, die
Geiseln zu befreien. Doch die Aktion scheiterte. Alle elf
Israelis, ein Polizist und fünf Terroristen kamen ums Leben.
Dieses Ereignis erschütterte die ganze Welt.
Trotzdem beschlossen die Veranstalter, die Spiele fortzusetzen.
Sie wollten damit zeigen, dass Terror nicht siegen darf. Zwei
Tage nach dem Attentat wurde eine große Trauerfeier im Stadion
abgehalten. Der IOC-Präsident sprach damals den berühmten Satz:
„The Games must go on.“ – „Die Spiele müssen weitergehen.“
Heute erinnern noch viele Orte in München an die Olympischen
Spiele von 1972: Wir haben den Olympiapark, in dem man wunderbar
spazieren gehen kann, das Olympiastadion mit seinem berühmten
Zeltdach, den hohen Olympiaturm, der mittlerweile eines der
Wahrzeichen der Stadt ist und von dem aus man eine wunderbare
Aussicht über die ganze Stadt hat, den Olympiasee und das
Olympiadorf.
Deutschland hat sich seitdem sieben Mal um Olympische Spiele
beworben, aber bisher hat es keine weiteren bekommen. Jetzt will
es sich für die Sommerspiele in den Jahren 2036, 2040 oder 2044
bewerben. Vier Städte oder Regionen sind ausgewählt worden:
Berlin, Hamburg, München und die Region Rhein-Ruhr. Ende
2026 soll die Entscheidung fallen. Ich bin gespannt. Die nächsten
Olympischen Sommerspiele werden 2028 in Los Angeles stattfinden,
dann 2032 in Brisbane. Bist Du ein Olympia-Fan?
Text der Episode als PDF:
https://slowgerman.com/folgen/sg310kurz.pdf
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28.10.2025
8 Minuten
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Als ich ein Kind war, haben wir mit der Schule einen Ausflug
gemacht. Ein Bus kam und wir stiegen alle ein. Das Ziel war ein
Römerkastell. Wir waren sehr aufgeregt. Was würden wir dort
sehen? Eine große Burg? Ein Schloss? Eine Arena? Über eine Stunde
lang waren wir unterwegs. Und als wir ankamen, war die
Enttäuschung groß: Wir sahen nur ein paar Mauern. Mehr war von
dieser römischen Siedlung nicht übrig geblieben. Warum ich Dir
das erzähle? Weil ich heute mal in die Geschichte blicken will.
Lass uns sehen, wie die Römer Deutschland geprägt haben. Denn vor
fast zweitausend Jahren war ein großer Teil des heutigen
Deutschlands Teil des Römischen Reiches oder stand zumindest
unter seinem Einfluss.
Das Römische Reich dehnte sich im ersten Jahrhundert vor Christus
immer weiter aus. Die Römer eroberten große Teile Europas,
Nordafrikas und des Nahen Ostens. Auch die Gebiete nördlich der
Alpen wurden interessant für sie, denn dort gab es fruchtbare
Böden, Holz, Metalle und Handelswege. Die Römer nannten das Land
der Germanen „Germania“.
Eine wichtige Grenze war der sogenannte Limes. Das war eine Linie
aus Wachtürmen, Gräben und Mauern, die das Römische Reich von den
Gebieten der Germanen trennte. Der Limes verlief quer durch das
heutige Deutschland, von Rheinland-Pfalz über Hessen und
Baden-Württemberg bis nach Bayern. Er war über 500 Kilometer
lang. Heute kann man an vielen Orten noch Reste davon sehen, zum
Beispiel in Aalen, Saalburg oder Regensburg. Der Limes ist sogar
UNESCO-Weltkulturerbe.
Die Römer gründeten viele Städte, die heute noch existieren.
Trier, das damals „Augusta Treverorum“ hieß, war eine der
wichtigsten römischen Städte nördlich der Alpen. Sie war sogar
eine Zeit lang Hauptstadt des Weströmischen Reiches. In Trier
kann man heute noch römische Bauwerke bewundern: die Porta Nigra,
ein riesiges Stadttor, oder die Kaiserthermen, in denen sich die
Römer gebadet haben. Ich war leider noch nie dort. Auch Köln
wurde von den Römern gegründet – Mainz, Augsburg und Regensburg
haben ebenfalls römische Wurzeln.
Die Römer brachten viele Dinge mit, die für die Menschen in
Germanien neu waren. Zum Beispiel Wein. Vor den Römern trank man
hier eher Bier oder Met. Aber die Römer pflanzten Reben an –
besonders entlang des Rheins und der Mosel. Noch heute sind diese
Regionen für ihren Wein bekannt. Auch Straßen und Brücken, wie
sie die Römer bauten, gab es vorher nicht. Viele moderne Straßen
in Süddeutschland verlaufen noch immer dort, wo früher römische
Heerstraßen waren. Die Römer bauten gerade, feste Wege – perfekt
für Handel und Reisen.
Auch in der Sprache gibt es römische Spuren. Das Lateinische, die
Sprache der Römer, beeinflusste viele europäische Sprachen, auch
das Deutsche. Das Wort „Fenster“ kommt zum Beispiel vom
lateinischen Wort fenestra, „Keller“ von cellarium oder „Mauer“
von murus.
Die Römer brachten auch ihre Kultur und ihre Lebensart mit. Sie
badeten regelmäßig, aßen gemeinsam in großen Speisesälen und
liebten Theater und Spiele. In manchen deutschen Städten kann man
noch die Reste von römischen Amphitheatern sehen, zum Beispiel in
Trier oder Xanten. Dort kämpften Gladiatoren zur Unterhaltung des
Publikums. Auch die römische Mode und Architektur beeinflussten
die Menschen. Häuser mit Steinmauern, Ziegeln und Fußbodenheizung
waren in Germanien vorher unbekannt. Viele dieser Techniken
übernahmen später auch die germanischen Stämme.
Natürlich waren die Römer nicht überall beliebt. Es gab immer
wieder Kämpfe. Nach dem Untergang des Römischen Reiches im 5.
Jahrhundert blieben viele seiner Spuren bestehen. Die Nachfolger
der Römer, etwa die Franken, übernahmen vieles aus der römischen
Verwaltung und dem Rechtssystem. Auch das Christentum, das im
Römischen Reich verbreitet wurde, kam auf diesem Weg nach
Deutschland. Ohne Rom gäbe es hier wohl keine Kirchen,
Kathedralen und Klöster in der Form, wie wir sie heute kennen.
Ich kann mich erinnern, was mich bei meinem Ausflug zum
Römerkastell in Eining besonders faszinierte: Die Römer hatten
eine Fußbodenheizung. Wie schlau war das denn? Und die Lehrerin
erzählte uns, dass die Römer gerne gemeinsam auf die Toilette
gingen – unter den Sitzbänken gab es fließendes Wasser. Jetzt
weißt du, was mich als Kind an den Römern fasziniert hat. Und Du?
Was weißt Du über die Römer?
Text der Episode als PDF:
https://slowgerman.com/folgen/sg309kurz.pdf
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Über diesen Podcast
In this podcast, German podcaster Annik Rubens talks slowly about
topics of everyday German life, from beergardens to recycling. More
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German at www.slowgerman.com. You can read the complete transcript
of each episode on this internet-site or in the ID3-Tags.
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