Trevanian: Shibumi

Trevanian: Shibumi

10 Minuten
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Beschreibung

vor 1 Tag

Buchempfehlungen sind eine Unmöglichkeit und zu unterlassen! Es
gibt 170 Millionen Buchtitel, aktuell, und jedes Jahr kommen 2,2
Millionen hinzu. Es gibt 8,3 Milliarden Menschen auf der Welt und
jeder ist dem anderen fremd. Wie kann man da auf die Idee kommen,
jemand könne jemandem anderen halbwegs kompetent sagen, was er
als nächstes lesen solle? Jeder weiß das und alle ignorieren es.


Spätkapitalistischen Wirtschaftsunternehmen verzeiht man das
Generve noch, ihr einziger Existenzgrund ist, Dir S**t zu
verkaufen. Literaturnewsletter und -podcasts sind da schon
grenzwertiger, wie viel Sendungsbewusstsein ist zu viel
Sendungsbewusstsein? Jedes. Immerhin ist das Abonnement
freiwillig. Aber Freunde sollten es besser wissen. Und dennoch
empfiehlt unser ehemaliger Rezensent für das Studio B, Heiko
Schramm, mir unerschrocken immer wieder Bücher, die sicher
hervorragend, nützlich und vergnüglich sind, wenn man, sagen wir,
vorhat, einen mittelgroßen Karibikstaat geheimdienstlich zu
unterwandern oder, sicher auch nützlich zu wissen, als
Außenminister der Vereinigten Staaten 3-Letter-Word-Agencies
gegeneinander ausspielen möchte. Kurz, ich bin begeistert, es
wärmt mir das Herz, dass mir zugetraut wird, den
Nahostfriedensprozess entscheidend voranzubringen, aber mir fehlt
einfach die Zeit, mich in die oft kiloschweren Werke
einzuarbeiten; der Mord an JFK bleibt vorerst ungeklärt.


Entsprechend erfreut und reserviert war ich, als Mr. Schramm mir
vor meiner Exkursion nach Japan zwei Bücher auf die Leseliste
setzte, die ich bitte in Asien beginnen möge. Kein “vielleicht”,
kein “wenn es passt”, es war eine Anweisung, der ich besser Folge
leiste. Immerhin waren die Titel japanisch, die Autoren bekannt:


“Shibumi” von Trevanian (Das Pseudonym von Rodney William
Whitaker, einem Mid-Century Bestsellerautor)


und


“Satori” von Don Winslow, genau dem, der Untertitel lautet “A
Novel based on Trevanian’s Shibumi” - interessant.


“Shibumi” fängt spektakulär an. Heftig überzeichnetes
CIA-Personal - der Veteran, Zigarre im Mundwinkel; der
intrigierende Chef mit seinem an seinen Rockzipfeln hängenden
Assistent, jedes Wort mitschreibend - werten eine “Aktion” aus.
Auf einem Flughafen in Rom gab es eine Schießerei und wir
verstehen die Worte, aber nicht wirklich den Zusammenhang -
Geheimdienste halt. Zunächst werden zwei Israelis erschossen,
dann die Schützen, die Japaner sind (?) aber irgendwie für die
PLO arbeiten und dann doch für die CIA und wiederum von derselben
erledigt werden, inklusive zwei, drei italienischen Kindern und
Opas. Krass. Was geht ab?!


Unklar. Was nicht an der Beschreibung liegt. Die ist brillant,
vorstellbar, actionorientiert und trotz des vielen Blutes
irgendwie fast “leicht”. Wir sehen das ganze aus den Augen der
beteiligten Agenten, die das wiederum auf einem richtigen
Zelluloidfilm sehen, aufgenommen von CIA-Agenten speziell für das
Debriefing. Das gibt uns einen ersten Hinweis auf die Ära, in der
wir uns befinden. Da ich wie immer komplett ahnungslos ins Buch
gegangen bin, ist für mich noch unklar, wann es geschrieben
wurde. Der erste Hinweis sind die sehr “Achtziger”-Meinungen des
Veteranen-Agenten hinsichtlich des ihm zugeteilten Wingman.
Dieser ist der Sohn eines Palästinenserführers, er wird im
gesamten Buch als “Ziegenhüter” beschrieben werden. Das geht
heute natürlich nicht mehr. Nicht weil heutzutage Rassismus
gecancelt ist, sondern weil ein solch offensichtlicher Sarkasmus
heute nicht mehr funktioniert. Entgegen der allgemeinen Annahme
ist die Ursache aber nicht, dass wir jetzt alle supersensibel
sind oder gar woke, sondern weil spätestens seit 9/11
antimuslimischer Rassismus hoffähig geworden ist und als Reaktion
darauf ein solcher Sarkasmus gekennzeichnet werden muss, in rot,
plus Warnung auf dem Cover und Herausgabe des Buches an Deutsche
Linke nur gegen Ausweis. Trevanian, als Meister der Ironie, ist
dankbarerweise in 2005 gestorben und musste den ganzen Quatsch
nicht mehr miterleben, wir, als Leserinnen eines Buches aus 1981,
müssen uns erst wieder einarbeiten. Die Ironie ist nicht nur an
der offensichtlich übertriebenen Wortwahl zu erkennen, Trevanian
legt seinem weltgewandten und weit rumgekommenen Haupthelden
starke Thesen zu allen möglichen internationalen Akteuren in den
Mund, jeder bekommt sein Fett weg.


Bis der Japanschwerpunkt, wegen dessem mir das Buch ins
Handgepäck beordert wurde, ins Spiel kommt, vergehen ein paar
Seiten und zwar bis unser Protagonist, Mr. Hel (ein L) eingeführt
wird. Das traf sich, kam doch auch ich erst recht spät in Japan
zum Lesen und so koinzidierte die Jugend von Mr. Hel, als Sohn
einer Russin und eines Deutschen, aufwachsend im Japan der späten
2. Weltkriegsjahre (mit den bekannten verheerenden Auswirkungen)
mit meiner Reise durch die Stätten ebendieser Geschichte,
kulminierend mit einem Besuch des Friedensmuseums in Hiroshima
just zu dem Zeitpunkt, als im Buch die erste Liebe von Mr. Hel
dahin zu ihren Eltern zurückkehrt, Anfang August 1945. Das wirkt.


Beschrieben wird im Roman, seltsam schwebend zwischen Action und
Betrachtung, die Suche eines weißen, kulturellen Japaners nach
Shibumi. Shibumi ist eines dieser klassischen unübersetzbaren
japanischen Worte, die darauf hinauslaufen, dass Du am Ende vor
deinem Steingarten im Regen sitzt und meditierst.


Bis er diesen Zustand findet, muss Nicolai Hel irgendwie Geld
verdienen und, ausgebildet in exotischen Kampfkünsten, dem
Brettspiel Go und gesegnet mit einer (minderen) Superpower,
beschließt er, Terroristen zu jagen. Das macht er gegen Geld,
aber, wenn es ihm in die Moral passt, auch Pro Bono. Dass er
dabei einer erklecklichen Zahl von Akteuren auf die Füße tritt,
kommt mit dem Terrain und, wie er selbst bemerkt, hat er eine
Menge negatives Karma angehäuft. Zum Killen braucht es neben
Geschick auch Glück und das hält nicht ewig, weshalb Nico mit
fünfzig im Ruhestand ist und ein altes Schloss im Baskenland
renovierend um einen japanischen Garten erweitert, was man so
macht, als Auftragsmörder a.D. Aber natürlich ist das nicht das
Ende des Romans, womit die Spoiler enden.


Das alles ist genauso leicht geschrieben wie hier rezensiert,
hier wird nicht viel ernst genommen und die Story eher zum
Anlass, das ganze Geheimdienstgewerbe samt ihrer staatlichen
Auftraggeber zu kommentieren, auszulachen, zu kritisieren und
dass da niemand lebend rauskommt, dafür ist Rodney William
Whitaker aka Trevanian bekannt. Man amüsiert sich köstlich, es
erinnert, nicht nur wegen der epikuräischen Einschübe, an Simmels
“Es muss nicht immer Kaviar sein” und im Stil ein bisschen an die
“Neal Carey”-Serie von Don Winslow, die, na was für ein Zufall,
zur selben Zeit rauskam. Deren Markenzeichen waren eingeschobene
dutzendseitenlange Essays zu eher obskuren Themen (Chinesische
Geschichte, Punks in London). Das macht Trevanian auch gern, hier
in “Shibumi” ist es das Höhlenklettern, im Englischen so schön
“Spelunking” genannt, dass bis zum letzten Seilknoten beschrieben
wird. Trevanian schafft es dann gerade noch, den Essay zum Thema
mit einem späten Plotpoint sinnvoll zu machen, aber selbst ohne
dieses Kunststück ist dieser Stil ein sehr angenehmer Throwback
in eine Zeit vor den formalistischen Serientrillern des
industriellen Whodunnitzeitalters: alle Bücher 360 Seiten lang
und genau bei 180 Seiten muss der Midpoint, die entscheidende
Wendung, passiert sein. In “Shibumi” philosophiert der Autor zu
dem Zeitpunkt noch gelassen über die Herkunft der Baskischen
Sprache und wir freuen uns über die Unberechenbarkeit der Be- und
Entschleunigung. Es ist alles ein bisschen japanisch. Ach né.


Gleichzeitig ist es ein interessanter Blick in das Mindset der
Achtzigerjahre und abgesehen von der nicht vorhandenen Scheu,
Araber, Briten, Amis und alle anderen Drumrum ein bisschen aufs
Klischéeis zu führen, ist es durchaus frappierend, wie viele der
Aussagen zum Zustand der Politik hellseherisch wirken, bis man
merkt, dass man das verkehrtherum sieht - ja, die Politik war
schon immer korrupt, lange bevor Techbros dem Präsidenten einen
Goldenen Ballsaal bauten, weil der so gut nach ihrer Pfeife
tanzen kann.


Ich sag: “Danke, Heiko, Top Treffer, Spitzenbuch!” und somit auch
Nichtjapanreisenden empfohlen.


Das sah um 2011 herum auch der große Don Winslow so. Irgendwann
zwischen den brillanten beiden “Savages” Büchern (damals
besprochen von Irmgard Lumpini) meinte old Don noch ein Buch
einschieben zu müssen, das man heute gemeinhin als Fanfic
definiert. Er schreibt in “Satori” die Geschichte von Nicholai
Hel weiter, oder genauer, er füllt die Lücken in der Biografie,
wie wir sie in “Shibumi” lasen. Und das macht zunächst durchaus
Sinn, der Autor des Originals ist lange tot und die erfundene
Figur damit verdammt zu einem einzigen Auftritt, was liegt näher
als ihm einen weiteren zu geben, und warum nicht von Don Winslow,
der, siehe oben, seine schriftstellerische Karriere in ähnlichem
Stil begann.


Leider/zum Glück, je nach Perspektive, hat sich Don Winslow
stilistisch weiterentwickelt. Dramaturgisch sind seine Romane
deutlich komplexer aber auch zielstrebiger geworden - etwas, was
man von “Shibumi” nicht wirklich behaupten kann. Entsprechend
groß ist der Bruch, wenn man “Satori” direkt im Anschluss liest.
Wo Trevanian sich Zeit nimmt für einen Ausflug in Kommentare zur
Weltpolitik oder die gefährliche Welt des Spelunking, füllt Don
Winslow die Lücken im Lebenslauf des Nicolai Hel auf und es ist,
sorry, “Malen nach Zahlen”. Wo Trevanian uns in Hel’s
Lebensgeschichte mit albernem Nonsens unterhält, zum Beispiel der
Story, wie Hel zum “Lover der Stufe IV” wurde, inklusive der
Beschreibung, was Stufe I bis III sind und wie man diese Skills
als Waffe einsetzen kann - und ich muss nicht erklären, dass das
alles lustiger Blödsinn ist - langweilt uns Don Winslow mit einer
peinlichen Sexszene, die wohl in die Vita von Nico Hel passt,
aber leider komplett das Sujet des Originalromans “intelligente
Spionagekomödie” verfehlt. Das liegt natürlich daran, dass Don
Winslow seit der Neal Carey Reihe ein brillanter Schriftsteller
und Storyteller geworden ist, dabei aber an Humor eingebüßt hat.
In seinen Spätwerken fallen mir ein paar Szenen mit Sean Callan
und Stevie O’Leary, den Teenager-Gangstern aus Hell’s Kitchen in
“Tage der Toten” ein, die ein bisschen Slapstick machten, bis
alles in ernsthaft blutigen Massakern versank und damit war
Schluss mit Lustig.


Genauso geht Don Winslow auch an “Shibumi” heran und das ist dann
halt ziemlich langweilig, Fanfic halt, und ich bin nach einem
Viertel im Buch ernsthaft gelangweilt und kann das alles nicht
empfehlen.


Dafür, wie gesagt, umso mehr Trevanians Original “Shibumi”, denn
was wäre die Welt ohne Buchempfehlungen?!


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