#20 Freiwillig Watschenmann
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Beschreibung
vor 2 Tagen
Cem Özdemir hat viele Erfahrungen in frühen Jahren gesammelt.
Denn es lebte sich mühsam in mehreren Welten. Der aufgeweckte
Junge, auf Schwäbisch „Bua“, wollte dazugehören. Aber er wollte
auch schon erstaunlich früh herausfinden, wie weit er dafür gehen
musste. Cem akzeptierte regelmäßige Ohrfeigen von José, in der
Hoffnung auf eine stabile Freundschaft unter Sechsjährigen. Der
kleine Portugiese, ebenfalls Gastarbeiterkind, schlug ihn jedes
Mal ins Gesicht, nachdem er ihn aus der Wohnung auf die Straße
gelockt hatte, und versprach, beim nächsten Mal ganz bestimmt auf
den Schlag zu verzichten. Cem fügte sich einerseits in die Rolle
des Watschenmanns, entwickelte andererseits aber diese Neugier
auf Zumutungen und ihre Wirkung. Und darauf, wo Übergriffe ihre
Grenzen haben. Irgendwann hatte sich das Ritual verbraucht,
unvergessen ist es bis heute. Und nützlich für jemanden, der
schon so früh mehr über die eigenen und die Grenzen anderer
erfahren wollte.
Lehrreich war auch die Sache mit der Steinschleuder. Nach einem
Umzug der Familie Özdemir innerhalb von Urach wollte Cem Kontakt
aufnehmen und andere Kindern in der neuen Nachbarschaft auf sich
aufmerksam machen. Er spielte mit der Schleuder am offenen
Fenster und traf die Scheibe eines Ladengeschäfts gegenüber, die
jedoch heil blieb. Trotzdem fürchtete er ernsthaft, ins Gefängnis
zu kommen. Die neue Clique ließ ihn zunächst schmoren, nahm ihn
schließlich aber doch auf, mit einer geradezu dialektischen
Begründung: Wer weiß, was er sonst noch Gefährliches anstellen
würde, um dazuzugehören.
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