Der privatwirtschaftliche Überwachungsstaat | Von Günther Burbach
9 Minuten
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Beschreibung
vor 3 Tagen
Wie Konzerne die Macht übernehmen, während die Politik
schläft
Ein Standpunkt von Günther Burbach.
Es gibt eine bemerkenswerte Blindstelle in unserer politischen
Debatte: Wir reden seit zwanzig Jahren über staatliche
Überwachung, über Innenminister, über Geheimdienste und über
Polizeigesetze. Doch der eigentliche Überwachungsstaat entsteht
längst woanders, im Schatten der Einkaufszentren,
Versicherungsportale und Kundendatenbanken. Während Politiker
über die Vorratsdatenspeicherung streiten, hat sich im
Hintergrund ein zweiter Apparat gebildet, unscheinbar,
allgegenwärtig, effizient und demokratisch völlig unkontrolliert.
Seine Sensoren hängen nicht an Straßenecken oder in Polizeiwagen,
sondern an den Glasfassaden privater Unternehmen. Sein Rohstoff
sind nicht Ermittlungsakten, sondern Kundenprofile. Und seine
Macht wächst nicht durch Gesetzesverschärfungen, sondern durch
Marktlogik.
Der neue Überwachungsstaat ist privat. Und genau darin liegt
seine Gefahr. Denn er braucht keine Gesetze, um sich
auszubreiten. Er braucht nur unsere Bequemlichkeit.
Wer heute einen Supermarkt betritt, tritt bereits in ein Labor
der Verhaltensanalyse ein. Moderne Filialen setzen Kameras ein,
die längst nicht mehr nur Bilder aufzeichnen, sondern Verhalten
entschlüsseln: untypische Bewegungen, Zögern, Muster,
Abweichungen. Die Algorithmen wissen, ob jemand zielstrebig
einkauft oder nervös durch die Gänge läuft. Sie erkennen, wer
häufiger zum Regal zurückkehrt, wer suchend umherblickt, wer sich
„auffällig“ verhält. Es ist die gleiche Logik, die vor 15 Jahren
als „predictive policing“ begann, nur dass sie heute im
Konsumtempel stattfindet. Kein Richter prüft das. Kein Parlament
kontrolliert es. Die Überwachung ist keine staatliche Maßnahme
mehr, sondern ein Geschäftsmodell. Ein Kunde, der zweimal im Gang
stehen bleibt, ist für die KI eine Wahrscheinlichkeit. Eine
potenzielle Anomalie. Ein Risiko und Risikobewertung ist in der
neuen Ökonomie nichts anderes als Profilbildung.
Was die meisten Menschen nicht wissen: Viele dieser Systeme sind
nicht im Besitz der Supermärkte, sondern werden von externen
Dienstleistern betrieben, die die Daten technisch auswerten,
speichern, modellieren und daraus „Lösungen“ für mehrere
Einzelhandelsketten entwickeln. Wer einmal erfasst ist, taucht
möglicherweise in Datenpools auf, von deren Existenz er nie
erfahren wird. Es entsteht ein Paralleluniversum von
Risikobewertungen, Verhaltensmustern und algorithmischen
Zuordnungen, vollkommen außerhalb jeder demokratischen Kontrolle.
Das ist keine Übertreibung, sondern der Kern des Problems:
Privatwirtschaftliche Überwachung ist unsichtbar, entgrenzt und
entpolitisiert. Niemand ruft „Skandal!“, wenn ein Supermarkt eine
neue Analyse-Software einsetzt. Niemand protestiert gegen das
algorithmische Screening einer Versicherung. Niemand spricht
davon, dass millionenfache Verhaltensdaten inzwischen Grundlage
von Risikomodellen sind, die über unser Leben entscheiden. Und
genau deshalb wächst die neue Überwachungsordnung schneller als
jede staatliche.
...https://apolut.net/der-privatwirtschaftliche-uberwachungsstaat-von-gunther-burbach/
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