Ignaz Semmelweis, Retter der Mütter – SG 308

Ignaz Semmelweis, Retter der Mütter – SG 308

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10 Minuten

Beschreibung

vor 1 Monat

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Ich habe letztens ein altes Familienfoto gesehen. Es zeigt
Verwandte von mir vor ungefähr hundert Jahren oder mehr. Zu sehen
sind ein grimmig dreinschauender Vater und eine sehr müde
aussehende Mutter und viele, viele Kinder. Damals war es üblich,
dass Frauen viele Kinder bekamen. Schuld war daran nicht nur die
fehlende Verhütung, sondern auch die Kindersterblichkeit. Die
Menschen wussten, dass viele ihrer Kinder nicht alt werden
würden. Nur wenige schafften es bis ins Erwachsenenalter. Ich
habe mir die Statistiken angesehen: Um das Jahr 1870 starb eines
von vier Neugeborenen in seinem ersten Lebensjahr, also 25
Prozent. 1938 waren es noch 6 von 100 Lebendgeborenen, also nur
noch 6 Prozent. Heute sterben nur noch etwa drei von 1.000
Kindern, also 0,3 Prozent. Das ist eine wahnsinnige
Erfolgsgeschichte.


Und auch bei den Frauen gab es positive Nachrichten: Während
früher sehr viele Frauen im sogenannten Kindbett starben, also
bei der Geburt oder kurz danach, ist das heute nur noch sehr
selten. Dafür gab es viele Gründe, und über einen Grund möchte
ich Dir heute mehr erzählen. In dieser wahren Geschichte geht es
um einen Mann namens Ignaz Semmelweis.


Ignaz Semmelweis war ein Arzt, der im 19. Jahrhundert lebte. Er
wurde 1818 in Budapest geboren. Damals gehörte Ungarn noch zum
Kaiserreich Österreich. Er studierte Medizin in Wien und
entschied sich als Spezialfach für die Geburtshilfe, also für die
Betreuung von Frauen, die ein Kind bekommen. Nach seinem Studium
begann er in Wien im Allgemeinen Krankenhaus zu arbeiten. Das war
eines der größten Krankenhäuser Europas, und viele junge Ärzte
wurden dort ausgebildet.


Im Krankenhaus gab es zwei Geburtsstationen. In der einen Station
arbeiteten Ärzte und Medizinstudenten, in der anderen Hebammen,
die dort ausgebildet wurden. Die Frauen wollten alle lieber zu
den Hebammen gehen, und das hatte einen wichtigen Grund: Auf der
Station der Ärzte starben viele Frauen nach der Geburt – bei den
Hebammen war diese Zahl viel geringer. Niemand wusste, warum das
so war. Die Ärzte dachten, es liege vielleicht an der Luft oder
an der Angst der Frauen. Damals gab es viele Theorien, aber keine
Beweise.


Ignaz Semmelweis wurde neugierig. Er wollte den Grund dafür
herausfinden. Eines Tages starb sein Freund. Er war Pathologe
gewesen und starb kurz nach einer Verletzung, die er sich bei
einer Obduktion zugezogen hatte. Eine Obduktion ist die
Untersuchung eines toten Menschen um herauszufinden, woran er
gestorben ist. Der Freund hatte sich bei einer Untersuchung an
der Hand verletzt, und kurz danach bekam er dieselben Symptome
wie die Frauen, die im Krankenhaus nach der Geburt starben. Da
hatte Semmelweis eine Idee: Vielleicht hatten die Ärzte etwas von
den Toten auf die gebärenden Frauen übertragen. Die Ärzte machten
nämlich Obduktionen, also Leichenuntersuchungen, und gingen
danach ohne sich die Hände zu desinfizieren zu den Geburten.
Hygiene galt als Zeitverschwendung. Manche wuschen sich nichtmal
die Hände mit Wasser und Seife. Niemand fand das damals
merkwürdig, es war ganz normal. Über Bakterien und andere
Krankheitserreger wusste man damals noch nichts.


Semmelweis wollte herausfinden, ob seine Theorie richtig war. Er
sagte den Ärzten und Studenten, dass sie sich die Hände mit einer
Lösung aus Chlorkalk waschen mussten, bevor sie in die
Geburtsstation gingen. Und plötzlich geschah etwas Erstaunliches:
Die Zahl der toten Frauen sank sehr schnell. Innerhalb weniger
Monate starben fast keine Frauen mehr am sogenannten
Kindbettfieber. Das war ein riesiger Erfolg.


Hat man Semmelweis dafür gefeiert und belohnt? Nein. Im
Gegenteil. Die Ärzte glaubten ihm nicht. Sie fühlten sich
angegriffen. Denn die Theorie sagte ja im Grunde, dass sie selbst
schuld waren am Tod vieler Frauen. Das wollte natürlich kein Arzt
hören. Außerdem konnte Semmelweis nicht wirklich erklären, warum
das Händewaschen half – Bakterien waren noch nicht entdeckt. Erst
später, durch die Arbeiten von Louis Pasteur, verstand man, dass
winzige Lebewesen Krankheiten verursachen können. Doch Semmelweis
hatte das Problem schon vorher gelöst, einfach durch Beobachtung
und ein Experiment.


Er versuchte, seine Ideen bekannt zu machen, schrieb Briefe und
Artikel, später sogar ein Buch über seine Erfahrungen. Aber viele
Leute lachten über ihn. Er wurde nicht ernst genommen. Heute weiß
man, dass er mit allem recht hatte, doch zu seiner Zeit war er
ein Außenseiter.


Nach einigen Jahren verließ Semmelweis Wien und ging zurück nach
Budapest. Dort arbeitete er weiter als Arzt und führte das
Händewaschen auch in der Geburtsstation seiner Heimatstadt ein.
Wieder sanken die Todesfälle deutlich. Trotzdem bekam er keine
Anerkennung. Viele seiner Kollegen mieden ihn, und er wurde immer
einsamer. Gegen Ende seines Lebens war er sehr verbittert und
krank. 1865 wurde er in eine psychiatrische Klinik gebracht, wo
er nur wenige Wochen später starb – vermutlich an einer
Blutvergiftung, also genau an der Krankheit, die er so oft
verhindern wollte.


Erst Jahre nach seinem Tod erkannte die Welt, wie wichtig seine
Entdeckung war. Heute gilt Ignaz Semmelweis als einer der Väter
der modernen Hygiene. Händewaschen und vor allem die Hände zu
desinfizieren gehört heute zu den einfachsten und wichtigsten
Regeln der Medizin. Was heute selbstverständlich ist, war zu den
Zeiten von Ignaz Semmelweis undenkbar. Gut, dass wir Menschen
manchmal klüger werden und dazulernen.


Text der Episode als PDF:
https://slowgerman.com/folgen/sg308kurz.pdf

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