"Frauen werden verbluten, Frauen werden sterben!"

"Frauen werden verbluten, Frauen werden sterben!"

24 Minuten
Podcast
Podcaster
Analysis on politics, society and our changing world. In German and English.

Beschreibung

vor 2 Monaten

Liebe Leserinnen und Leser,


die vergangene Woche hat mal wieder eindrücklich unter Beweis
gestellt, wie radikal rückwärtsgewandt Trump’sche Politik sein
kann. Zwei Meldungen unterstreichen, dass die Republikanische
Partei unter US-Präsident Donald Trump einen Feldzug gegen die
Wissenschaft und gegen die Rechte von Frauen führt.


So meldete die New York Times am Mittwoch, dass der Bundesstaat
Florida plane, jegliche Formen der Impfpflicht abzuschaffen -
auch für Schulkinder. Der „Surgeon General“ (Generalarzt) von
Florida, der ausgewiesene Impfskeptiker Dr. Joseph A. Ladapo,
nannte als Begründung eine wirre Mischung aus Gott und Sklaverei.
Seine Worte:


„Wer bin ich, dass ich Ihnen vorschreiben könnte, was Ihr Kind zu
sich nehmen soll? Ihr Körper ist ein Geschenk Gottes.“ Er fügte
hinzu, dass die Regierung daran arbeiten werde, alle
Impfvorschriften „abzuschaffen“. Jede einzelne dieser
Vorschriften sei falsch und trieft vor „Verachtung und
Sklaverei.“


Gleichzeitig kündigte der republikanische Gouverneur von Florida,
Ron DeSantis, die Einrichtung einer Kommission an, um den
Bundesstaat an die von US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy
Jr. festgelegten Ziele anzupassen. Die Kommission soll von Casey
DeSantis, der Ehefrau des Gouverneurs, geleitet werden.


Gesundheitsminister Kennedy ist ebenfalls ein langjähriger
Impf-Skeptiker. Zuletzt feuerte er unabhängige Berater der
wichtigen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) und
ersetzte sie durch ausgewiesene Impf-Kritiker. Auch die
Direktorin der CDC hatte Kennedy nach weniger als einem Monat im
Amt entlassen.


In Texas arbeitet die Regierung des Bundesstaats wiederum daran,
dass bald jeder Ärzte und Vertreiber von Abtreibungspillen
verklagen kann, wenn diese an der Lieferung bzw. dem Import der
Pillen in den Bundesstaat beteiligt sind.


Wie die Washington Post berichtete, soll der von
Abtreibungsgegnern unterstützte Gesetzentwurf es ermöglichen,
Privatpersonen, Unternehmen und Einzelpersonen zu verklagen, die
Abtreibungspillen herstellen oder an Patientinnen in Texas
vertreiben.


Welche Folgen hat diese Politik?


Aber warum über diese Themen spekulieren, wenn man nachfragen
kann. Ich hatte die Gelegenheit, zum einen mit einer erfahrenen
Epidemiologin aus den USA zu sprechen, die bereits seit über zehn
Jahren für die Behörde CDC (Centers for Disease Control and
Prevention) tätig ist.


Zum anderen konnte ich mit einer angehenden Epidemiologin
sprechen, die sich auch auf die Rechte von Frauen und
Minderheiten spezialisiert hat. Beide stimmten einem Interview
unter der Voraussetzung der Anonymität zu, da sie sonst um ihre
Jobs und Karrieren fürchten müssten.


Als Journalist ist es mir wichtig, Ihnen zu sagen, dass
beide Personen über eine große Expertise bei dem Thema verfügen.
Selbstverständlich versichere ich Ihnen auch, dass beide Personen
existieren und sie auf Basis ihrer langjährigen Erfahrungen meine
Fragen beantwortet haben. Falls Sie meinen Newsletter als Podcast
hören: Ich habe die Antworten meiner Interviewpartner von einer
KI-Stimme sprechen lassen.


Die ersten zwei Fragen wurden von der erfahrenen CDC-Expertin
beantwortet (Quelle 1). Die dritte Frage wurde sowohl von der
CDC-Expertin, als auch von der angehenden Epidemiologin (Quelle
2) beantwortet. Fragen vier und fünf wurden von Quelle 2
beantwortet.


Hier geht es zum Interview:


„Die USA sind in Bezug auf die globale Gesundheitssicherheit
völlig handlungsunfähig“


Was ist das Ziel von Gesundheitsminister Kennedy? Welche
Auswirkungen wird seine Politik nicht nur auf die CDC, sondern
auch auf den US-Gesundheitssektor im Allgemeinen haben?


Kennedy behauptet, dass er die im Vergleich zu anderen
OECD-Ländern unverhältnismäßig hohen Raten chronischer
Erkrankungen in den Vereinigten Staaten bekämpfen will.
Gleichzeitig hat er aber viele der CDC-Zentren, die genau daran
gearbeitet haben, aufgelöst.


Er behauptet, dass diese Aufgaben stattdessen von einer neuen
AHA-Behörde (Administration for a Healthy America) übernommen
werden sollen. Allerdings gibt es weder Mittel für diese Behörde,
noch gibt es Pläne, sie ins Leben zu rufen. Wenn diese Behörde
jemals zustande kommen soll, dann erst in vielen Jahren, sodass
in der Zwischenzeit ein Großteil der Arbeit im Zusammenhang mit
der Überwachung chronischer Krankheiten, der Bewertung von
Strategien und Programmen zur Informationsgrundlage für
Entscheidungsprozesse und der Bereitstellung evidenzbasierter
Leitlinien für die amerikanische Öffentlichkeit und Ärzte stark
eingeschränkt wird.


Meiner Meinung nach verkauft Kennedy Wunderwaffen, um seine
Anhänger von „Make American Healthy Again“ (MAHA) zu
beschwichtigen. Er hat viel Lärm darum gemacht, dass
Junkfood-Unternehmen Lebensmittelfarbstoffe abschaffen oder
Fruktose-Glukosesirup durch Zuckerrohrsirup ersetzen sollen.


Wir Experten für öffentliche Gesundheit wissen jedoch, dass diese
kleinen Änderungen keinen messbaren Einfluss auf chronische
Krankheiten haben werden, da er nichts unternimmt, um die
wirklichen Ursachen anzugehen. Dazu gehören z.B. der
eingeschränkte Zugang zu gesunden Lebensmitteln, die steigenden
Kosten für gesunde Lebensmittel, der Mangel an
Versicherungsschutz und Zugang zu Gesundheitsversorgung
(insbesondere unter der ärmeren Bevölkerung auf dem Land) und
natürlich auch die generellen sozialen Faktoren, die sich auf
chronische Krankheiten auswirken. Kennedy geht mit seiner
MAHA-Agenda überhaupt nicht auf diese grundlegenden Probleme ein.


Da er nichts Wirksames unternimmt, um die chronischen Krankheiten
zu bekämpfen, hat das alles einen noch negativeren Einfluss auf
unsere Fähigkeit, Infektionskrankheiten zu kontrollieren. Er hat
nicht nur viele Jahre lang, bevor er Minister wurde, die
Impfskepsis im Land geschürt, sondern baut nun auch im Alleingang
unsere gesamte Impfstoff-Infrastruktur ab.


Er hat 500 Millionen Dollar für die mRNA-Forschung gestrichen und
damit unsere Fähigkeiten, auf die nächste Pandemie zu reagieren,
erheblich beeinträchtigt. Er hat angesehene Experten aus den
externen Beratungsgremien, die den Regulierungsprozess der FDA
(Food and Drug Administration) und den Empfehlungsprozess der CDC
beraten, entfernt und durch unqualifizierte Impfgegner ersetzt.
Die FDA hat bereits die Zulassung des COVID-19-Impfstoffs für die
kommende Saison auf Erwachsene über 65 Jahre und Personen mit
Risikofaktoren beschränkt. Anfang dieses Jahres hat Kennedy die
COVID-19-Impfempfehlung für Schwangere widerrufen. Er hat sich
bei dieser Entscheidung mit niemandem in der CDC beraten und hat
bis heute keine Beweise vorgelegt, die diese Entscheidung
rechtfertigen würden.


Es ist wichtig zu beachten, dass in den Vereinigten Staaten die
meisten Versicherer die Kosten für einen Impfstoff nicht
übernehmen, wenn die geimpfte Person nicht zu einer Gruppe
gehört, die von der FDA für die Verwendung zugelassen und/oder
von der CDC in ihre Empfehlung aufgenommen wurde.


Obwohl Kennedy sowohl bei der Anhörung für seine Bestätigung vor
dem Senat vor ein paar Monaten, sowie vor ein paar Tagen erneut
unmissverständlich erklärte, dass „jeder, der sich impfen lassen
möchte, eine Impfung erhalten kann“, haben seine Maßnahmen den
Zugang zu Impfstoffen für Millionen von Menschen, die sich impfen
lassen möchten, eingeschränkt.


Noch alarmierender ist, dass für Ende dieses Monats eine
ACIP-Sitzung (Advisory Committee on Immunization Practices)
geplant ist, bei der nicht nur COVID-19, sondern auch MMR, RSV
und Hep-B auf der Tagesordnung stehen – also Impfstoffe, die seit
Jahren ganz oben auf der Agenda der Impfgegner stehen. Wenn sie
beschließen, die Empfehlungen für Kinder zu streichen, werden die
Versicherer diese Impfstoffe nicht mehr übernehmen und Millionen
von Familien werden den Zugang dazu verlieren – trotz Kennedys
gegenteiliger Versprechen.


Darüber hinaus sind neben den Kürzungen bei der mRNA-Forschung
auch die Forschungsgelder des Bundes in nahezu allen Bereichen
der Gesundheits- und Biomedizinforschung ernsthaft gefährdet.
Labore im ganzen Land haben ihre Forschung bereits eingestellt,
Universitäten haben weniger (wenn überhaupt) Plätze für neue
Doktoranden – unsere biomedizinische Forschung wird in den
kommenden Jahren stark eingeschränkt sein.


Wie gefährlich ist es, dass Florida plant, alle
Impfvorschriften aufzuheben? Welche schwerwiegenden Folgen könnte
dies haben?


Sehr gefährlich! Nehmen wir das Beispiel Masern. Wir können uns
den Masernausbruch im Südwesten der USA in diesem Jahr ansehen,
der seinen Ursprung in einer impfkritischen Gemeinde mit geringer
Durchimpfungsrate hatte. Bis heute gab es mindestens 1.431 Fälle
in 45 Bundesstaaten – der größte Ausbruch seit 1992 – mit 3
Todesfällen, davon zwei unter Kindern.


Masern waren in den USA seit 2000 ausgerottet, obwohl wir jedes
Jahr eine geringe Anzahl importierter Fälle verzeichnen. Es ist
anzumerken, dass wir in diesem Jahr mehr importierte Fälle
(n=137) hatten als in jedem anderen Jahr seit 2000. Wenn sich
dieser Trend fortsetzt und es gleichzeitig mehr Gebiete mit
geringer Durchimpfungsrate gibt, dann ist eine Katastrophe
vorprogrammiert. Insbesondere Florida ist ein wichtiger
Einreisepunkt für internationale Reisende in die Vereinigten
Staaten.


Interessant an diesem Plan zur Abschaffung der Impfpflicht ist,
dass Eltern in Florida seit mehr als einem Jahrzehnt das Recht
haben, eine nicht-medizinische Befreiung von der Schulimpfung (z.
B. aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen) zu beantragen.
Es gibt jedoch eine unbeabsichtigte Folge, an die meiner Meinung
nach derzeit viele Menschen nicht denken. In meiner Arbeit stelle
ich fest, dass die Impfvorschriften für den Schuleintritt oft
eine wichtige Erinnerung für Eltern und Betreuer sind, ihren
Kindern die aktuellsten Auffrischungsimpfungen mit DTaP, IPV und
MMR (Masern, Mumps und Röteln) zu verabreichen.


Der größte Teil des Impfplans für Kinder ist im Alter von 18
Monaten abgeschlossen, einem Zeitraum, in dem Eltern und Betreuer
von ihren Kinderärzten dazu angehalten werden, regelmäßige
Vorsorgeuntersuchungen zu vereinbaren, bei denen die ersten
Impfdosen verabreicht werden. Nachdem Babys jedoch zwei Jahre alt
geworden sind, gibt es nicht mehr viele geplante
Routineuntersuchungen oder Impftermine. Diese letzten
Auffrischungsimpfungen werden im Alter von 4 bis 6 Jahren
empfohlen, und in den dazwischenliegenden Jahren vergessen
vielbeschäftigte Eltern das einfach – bis sie ihr Kind in der
Schule anmelden.


Ohne die geltenden Vorschriften vermute ich, dass viele Eltern,
die eigentlich die Impfung ihres Kindes unterstützen, diese
letzten Impfungen versäumen werden. Ich vermute, dass die
Durchimpfungsrate für die zweite Dosis MMR um einige
Prozentpunkte sinken wird (sie liegt bereits unter 90 Prozent,
für die Herdenimmunität gegen Masern sind jedoch 95 Prozent
erforderlich), insbesondere wenn die Berichterstattung in den
Medien nachlässt und die Eltern beginnen, die zweite Dosis zu
vergessen, die für die Steigerung der Wirksamkeit und die
Aufrechterhaltung der Immunität so wichtig ist.


Und welche Folgen hat eine veränderte
US-Gesundheitspolitik für kleinere Länder mit weniger Geld und
weniger Ressourcen?


Quelle 1: Das ist eine sehr wichtige Frage. In
den US-Medien habe ich darüber noch nicht viel gehört.


Zunächst einmal waren die Vereinigten Staaten in den letzten
Jahrzehnten der größte Geber von Entwicklungshilfe im
Gesundheitsbereich. Ein Großteil dieser Mittel wurde in diesem
Jahr bereits an der Quelle gekürzt, weil Behörden wie USAID (das
Entwicklungsministerium der USA) komplett aufgelöst wurden. Das
hat weitreichende Folgen für die kommenden Jahrzehnte.


Die UNO und die WHO haben sich insbesondere in diesem Jahrzehnt
dafür eingesetzt, dass ressourcenärmere Länder beginnen, ihre
Finanzierungsmechanismen im Gesundheitsbereich zu
diversifizieren, um unabhängiger zu werden. Dies ist jedoch eine
komplexe politische und ressourcenbezogene Herausforderung, deren
wirksame Umsetzung Zeit erfordern wird. Anstatt den
Finanzierungsfluss auf nachhaltige Weise zu verlangsamen, um den
Ländern eine Anpassung zu ermöglichen, ist diese US-Regierung mit
Blick auf unsere Finanzierungs- und Hilfsmechanismen „mit der
Brechstange“ vorgegangen.


Darüber hinaus ist es unseren Forschern im Bereich der
öffentlichen Gesundheit auf Bundesebene nicht mehr gestattet, in
irgendeiner Form mit der WHO zusammenzuarbeiten, was unsere
Fähigkeit, mit anderen Ländern bei wichtigen Aktivitäten wie der
Überwachung von Krankheiten und der Reaktion auf Ausbrüche
zusammenzuarbeiten, erheblich beeinträchtigt.


Wir sind im Blindflug, wenn es darum geht, die weltweite
Ausbreitung verschiedener Infektionskrankheiten zu überwachen.
Selbst wenn wir von einem Land alarmiert werden, sind wir
aufgrund neu verhängter Reisebeschränkungen und einer Vielzahl
neuer Genehmigungsverfahren, die unsere Fähigkeit zu einer
schnellen und wirksamen Reaktion beeinträchtigen, weniger in der
Lage, auf Anfrage technische Unterstützung im Land zu leisten.
Ganz zu schweigen davon, dass wir in diesem Jahr durch
Personalabbau Tausende von Experten verloren haben. Selbst wenn
ein Team zur Hilfe gerufen wird, ist die Wahrscheinlichkeit groß,
dass ein weltweit führender Experte, der das Team z.B. noch vor
neun Monaten geleitet hätte, nicht mehr da ist. Wir sind in Bezug
auf die globale Gesundheitssicherheit völlig handlungsunfähig.


Ich habe bei all diesen Fragen nur die Spitze des Eisbergs
angeschnitten. Es gibt noch viel mehr zu sagen über die Millionen
von Amerikanern, die mit der Verabschiedung der „Big, Beautiful
Bill“ wahrscheinlich ihren Zugang zur Gesundheitsversorgung
verlieren werden. Oder auch das Thema der Deregulierung der
Umweltpolitik, die zu mehr Schadstoffen in unserer Luft und
unseren Gewässern führen wird.


Angesichts der vielen politischen Maßnahmen, die während dieser
Amtszeit in der gesamten Regierung umgesetzt wurden, stehen die
Vereinigten Staaten vor einer Zukunft, in der sie ärmer, kränker
und weniger gut auf die nächste Pandemie vorbereitet sein werden.
Es scheint, als wären Gedanken und Gebete wirklich alles, was wir
derzeit haben.


Quelle 2: Die Kürzung der Mittel für USAID wird
in den nächsten fünf Jahren schätzungsweise 14.000.000
vermeidbare Todesfälle verursachen, und bisher haben die
Kürzungen dieser Mittel bereits zu circa 300.000 Todesfällen
geführt.


Krankheiten, die bisher unter Kontrolle waren, werden mit voller
Wucht zurückkehren. Menschen mit HIV, die keine Medikamente mehr
bekommen, werden wieder krank, Malaria breitet sich aus, wenn
keine Moskitonetze mehr verteilt werden, und vermeidbare
Epidemien wie Cholera oder Masern breiten sich aus, weil
Impfkampagnen komplett eingestellt werden. Reichere Länder können
das alles besser abfedern, aber kleinere Nationen haben keine
Notvorräte oder Rücklagen für schlechte Zeiten. Fortschritte, die
Jahrzehnte gedauert haben, werden rapide zunichte gemacht.


Es geht auch nicht nur um Geld: USAID hat auch Ärzte,
Krankenschwestern, Fachkräfte im öffentlichen Gesundheitswesen
und Laborpersonal ausgebildet. Sie haben dafür gesorgt, dass
Diagnoselabore weiterarbeiten konnten. Ohne diese Unterstützung
verlieren Gesundheitssysteme sowohl Personal als auch
Instrumente.


Hinzu kommt noch die diplomatische Seite. Jahrzehntelang waren
die globalen Gesundheitsprogramme der Vereinigten Staaten nicht
nur humanitär, sondern auch eine Form von Soft Power. Das hat
Allianzen gestärkt und verschaffte den USA Einfluss in Regionen,
in denen China, die EU, Russland oder andere aufstrebende
Supermächte nicht so eifrig waren, sich zu engagieren. Kleinere
Länder haben keine andere Wahl, als sich nun anderweitig um
Unterstützung zu bemühen.


Was früher ein Symbol für die Führungsrolle der USA im globalen
Gesundheitswesen war, wird heute von vielen als Rückzug
angesehen, was der Glaubwürdigkeit und moralischen Stellung der
USA auf der Weltbühne schadet.


Anderes Thema: Texas will es jedem ermöglichen, Ärzte und
Händler von Abtreibungspillen zu verklagen. Welche Folgen hat das
für die Gesundheit von Frauen?


Der Schritt des Bundesstaates Texas, Privatpersonen die
Möglichkeit zu geben, Ärzte und Händler von Abtreibungspillen zu
verklagen, ist einfach nur widerwärtig.


Dieser Gesetzentwurf soll bald vom Gouverneur von Texas
unterzeichnet werden, der damit das Gesundheitswesen
instrumentalisiert. Wir alle wissen, um was für ein Spiel es sich
hier handelt. Ein Spiel, bei dem Grundrechte je nach politischer
Lage mal gewährt und mal entzogen werden. Und ja, ich gehe davon
aus, dass der Oberste Gerichtshof letztendlich zugunsten von
Texas entscheiden wird. Er wird sich hinter der Ausrede
verstecken, dass „die Bundesstaaten letzten Endes darüber
entscheiden“ sollen.


Einer der beunruhigendsten Aspekte des texanischen Gesetzes ist,
dass es über territoriale Grenzen hinweg gelten soll. Es erlaubt
Texanern - es ermutigt sie sogar - Ärzte, Apotheker und
Telemedizin-Anbieter in anderen Bundesstaaten zu verklagen, die
Abtreibungspillen an Patientinnen in Texas verschreiben oder
versenden. Das bedeutet, dass ein Anbieter in einem Bundesstaat
wie Kalifornien, Illinois oder New York, der sich vollständig im
Rahmen der Gesetze seines eigenen Staates bewegt, plötzlich in
Texas in Gerichtsverfahren verwickelt werden kann, weil die
Patientin sich dort medizinisch versorgen ließ.


Texas hat also beschlossen, dass seine Autorität über seine
Grenzen hinausreicht, und bestraft Menschen, die in ihren eigenen
Bundesstaaten legal medizinische Versorgung leisten. Das ist
nicht nur eine Überschreitung der Befugnisse, sondern auch
verfassungswidrig.


Diese Taktik sorgt für Chaos und Angst in der medizinischen
Community. Ärzte im ganzen Land fragen sich, ob sie durch die
Behandlung ihrer Patienten in feindlich gesinnten Bundesstaaten,
die Hunderte von Kilometern entfernt liegen, mit Klagen rechnen
müssen. Einige Kliniken haben bereits den Zugang zu Telemedizin
für Patienten in Texas gesperrt, weil sie die finanziellen und
rechtlichen Folgen nicht riskieren können.


Das bedeutet, dass Frauen in Texas noch weiter isoliert werden
und nicht nur von lokalen Angeboten abgeschnitten sind, sondern
auch von Ärzten, die ihnen aus der Ferne helfen wollen.


Und was bedeutet das alles konkret, z.B. für
Abtreibungen?


Es bedeutet weniger sichere Abtreibungen, nicht weniger
Abtreibungen. Die Realität ist, dass Abtreibungen nicht aufhören
werden. Sie werden nur unsicherer. Frauen werden verbluten,
Frauen werden sterben, weil Politiker zu feige sind, sich die
tatsächlichen Daten anzusehen. Texas hat offen erklärt, seine
eigenen Berichte über die Müttersterblichkeit aus den Jahren 2022
und 2023, die einen Anstieg der Todesfälle unter schwangeren
Frauen zeigten, zu ignorieren. Anstatt diese Krise zu beheben,
haben sie sich dafür entschieden, sie zu verschärfen.


Ich kenne persönlich Ärzte in Notaufnahmen in Texas, die bereits
mit dieser Angst leben. Sie sehen Patientinnen, die Fehlgeburten
haben, und wissen genau, welche Behandlung erforderlich ist, aber
sie schweigen, weil eine einzige Verschreibung sie ihre Zulassung
kosten könnte. Stellen Sie sich vor, Sie wären gezwungen,
Patientinnen leiden zu lassen, während Sie zusehen, weil
Politiker Ihrem medizinischen Urteilsvermögen Fesseln angelegt
haben. Das ist keine Medizin, das ist Kontrolle und Grausamkeit.


Und die Kluft wird immer größer. Wohlhabende Frauen werden ohne
Probleme in andere Bundesstaaten reisen, um sich dort behandeln
zu lassen. Frauen mit geringerem Einkommen, Frauen in
missbräuchlichen Beziehungen und Frauen, die niemanden haben, an
den sie sich wenden können, werden jedoch in der Falle sitzen.
Sie werden zum Schweigen gebracht. Sie werden gezwungen sein, ihr
Leben für eine grundlegende Gesundheitsversorgung zu riskieren.


Das alles sollte eigentlich niemals Gegenstand einer öffentlichen
Debatte sein. Es sollte niemals in den Händen von Gesetzgebern,
Kopfgeldjägern oder Gerichten liegen. Diese Entscheidung sollte
allein zwischen einer Patientin und ihrem Arzt getroffen werden.


Aber bei dem, was Texas tut, geht es nicht um „Leben“ – es geht
um Macht, es geht um Kontrolle, es geht um Religion. Es ist ein
direkter Angriff auf die Selbstbestimmung, Sicherheit und Würde
von Frauen.


Wenn Sie all diese Entwicklungen betrachten und bewerten:
In welche Richtung entwickeln sich die USA derzeit?


Wenn man einen Schritt zurücktritt und sich das ansieht, was
derzeit in den Vereinigten Staaten geschieht, dann ist das alles
katastrophal. Es geht nicht nur um den Angriff auf das
Gesundheitswesen und die öffentliche Gesundheit, sondern auch um
das Chaos an den Grenzen, die Grausamkeit und die
Migrationspolitik, die Entfremdung langjähriger Verbündeter und
den Abbau internationaler Partnerschaften, die Amerika einst zu
einer globalen Führungsmacht gemacht haben.


Hinzu kommen die offene Feindseligkeit gegenüber der
Wissenschaft, die Verbreitung von Fehlinformationen, die
Selbstgefälligkeit der Menschen und Politiker, die eigentlich das
Volk vertreten sollten, und die Aushöhlung demokratischer Normen.
Man sieht ein Land, das sich an allen Fronten aktiv selbst
untergräbt. Das sind keine isolierten politischen Entscheidungen,
sondern miteinander verbundene Versäumnisse, die das Bild einer
Nation zeichnen, die ihre eigene Glaubwürdigkeit und Stabilität
untergräbt.


Die Gesundheit der Bevölkerung ist nur ein Teil dieses größeren
Zusammenbruchs, aber ein wichtiger. Die öffentliche Gesundheit
funktioniert am besten, wenn die Menschen sich ihrer Existenz
oder Wirksamkeit nicht bewusst sind. Die öffentliche Gesundheit
betrifft nicht nur Menschen, die an die Wissenschaft „glauben“ –
sie betrifft alle. Viren, Müttersterblichkeit und Epidemien
fragen nicht nach Politik. Dennoch entscheiden sich die
Vereinigten Staaten für eine bestimmte Ideologie einiger weniger,
statt für Fakten. Das Land lässt zu, dass Fehlinformationen
Gesetze und Politik beeinflussen. Das ist das wirklich
Beängstigende daran: Es handelt sich um einen allgemeinen Angriff
auf die Wissenschaft und die Wahrheit selbst, und wenn diese
einmal verloren sind, beginnen alle anderen Systeme – Bildung,
Gesundheitswesen, Wirtschaft, Sicherheit – zu zerfallen.


Dieses Land bewegt sich in Richtung Isolation. Amerika geht nicht
vorwärts, sondern rückwärts und zieht sein Volk mit sich. Amerika
steht nicht an erster Stelle. Amerika hat nicht nur seine
Glaubwürdigkeit verloren, sondern auch seine Seele.


Ich wünsche Ihnen einen schönen Sonntag und einen guten Start in
die Woche.


Philipp Sandmann


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