Die Richterwahl als Symptom einer entkernten Demokratie | Von Janine Beicht

Die Richterwahl als Symptom einer entkernten Demokratie | Von Janine Beicht

11 Minuten

Beschreibung

vor 4 Monaten

Was als Routine geplant war, entwickelt sich zum
Krisenszenario. Fraktionen verhandeln unter Ausschluss der
Öffentlichkeit, Stimmen werden gesichert, Loyalitäten erpresst.
Das Verfassungsgericht wird zur Projektionsfläche politischer
Machtspiele.


Ein Kommentar von Janine Beicht.


Die Wahl neuer Richter für das Bundesverfassungsgericht,
eigentlich ein bürokratischer Vorgang, droht die schwarz-rote
Koalition in eine Zerreißprobe zu stürzen. Am Freitag sollte der
Bundestag über drei Kandidaten entscheiden: Günter Spinner (53),
nominiert von der Union, sowie die SPD-Vorschläge Ann-Katrin
Kaufhold (*1976) und Frauke Brosius-Gersdorf (54). Besonders
Letztere sorgt für Zündstoff. Ihre Positionen zu Abtreibung,
Kopftuchbefürwortung und Corona-Impfpflicht stoßen bei vielen
Unionsabgeordneten auf erbitterten Widerstand. Sollte
Brosius-Gersdorf scheitern, wankt die Koalition nach nur zwei
Monaten. Doch auch ein Erfolg könnte teuer erkauft sein, mit
Stimmen, die niemand offen zugeben will.


Ein fragiles Machtgefüge


Die Koalition aus CDU, CSU und SPD verfügt im Bundestag über eine
Mehrheit von nur 12 Stimmen. Für die Richterwahl ist »eine
Zweidrittelmehrheit erforderlich«, bei voller Anwesenheit 420 von
630 Stimmen, mindestens aber 316. Selbst mit Unterstützung der
Grünen reicht das nicht. Es fehlen etwa sieben Stimmen, die nur
von der Linken oder der AfD kommen können. Die Union lehnt
Absprachen mit beiden ab, steckt aber in einem Dilemma: Ohne
diese Stimmen droht ein Debakel, das die Entscheidung an den
Bundesrat abgibt. Für Kanzler Friedrich Merz wäre das ein
peinlicher Beweis mangelnder Führungsstärke, besonders nach
seiner knappen Kanzlerwahl.


Die Abstimmung ist geheim, die Abgeordneten wählen in Kabinen,
Ergebnisse werden erst später verkündet. Um 10 Uhr steht Spinner
zur Wahl, mittags folgen Kaufhold und Brosius-Gersdorf in
getrennten Wahlgängen. Die Union setzt auf maximale Anwesenheit,
um die Mehrheit zu sichern. Doch die Stimmung in der Fraktion ist
angespannt. Viele Abgeordnete sehen in Brosius-Gersdorf eine
Kandidatin, deren Rechtsverständnis mit konservativen Werten
unvereinbar ist.


Brosius-Gersdorf: Der Stein des Anstoßes


Frauke Brosius-Gersdorf, Rechtsprofessorin aus Potsdam,
polarisiert. Sie befürwortet die Legalisierung von
Schwangerschaftsabbrüchen in den ersten drei Monaten, lehnt ein
Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen im Gerichtssaal ab und
unterstützte während der Pandemie eine Impfpflicht. Diese
Positionen machen sie für viele in der Union unwählbar.


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