90. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 403, K08

90. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 403, K08

Hinweis: Für Tonstörungen zwischen der 62. und 7…
1 Stunde 29 Minuten
Podcast
Podcaster
Ulrike Sumfleth und Joachim Feltkamp sind Luhmani…

Beschreibung

vor 7 Monaten
Hinweis: Für Tonstörungen zwischen der 62. und 74. Minute bitten um
Entschuldigung. Letzter Abschnitt über juristische Argumentation:
Sich ausdifferenzierende Funktionssysteme wie das Recht verlagern
ihre Kernoperationen zunehmend auf die Ebene der Beobachtung
zweiter Ordnung. Hierin sieht Luhmann ein Strukturmerkmal der
Moderne. Juristisches Argumentieren versteht sich immer im Kontext
der Beobachtung zweiter Ordnung. Schon die Vorbereitung der
Argumentation rechnet damit, dass ihre Ausführung in einem sozialen
System stattfindet und von anderen beobachtet werden wird. Andere
werden die Argumentation interpretieren und darauf reagieren.
Beobachtung zweiter Ordnung ist die Beobachtung von Beobachtungen –
und ein Strukturmerkmal von Funktionssystemen wie Politik,
Wirtschaft oder Recht. Das System beobachtet Beobachter, und es
richtet sich darauf ein. Die Wirtschaft beobachtet Preise und
reagiert auf Preisänderungen, im Bewusstsein, dass Konkurrenten und
Konsumenten ebenfalls Preise beobachten und auf Veränderungen
reagieren. Der Politik ist bewusst, dass sie von Massenmedien
beobachtet wird, an deren veröffentlichter Meinung sich WählerInnen
orientieren, was wiederum politische Reaktionen erzwingt. Die
Beobachtung von Beobachtungen dient als Orientierungspunkt im
System. Offenbar verlagern Funktionssysteme, je mehr sie sich
ausdifferenzieren, ihre Kernoperationen zunehmend auf diese Ebene
der Beobachtung zweiter Ordnung. Den Umgang damit managen sie
jeweils in operativer Geschlossenheit. Wie aber können die
Reflexionstheorien solcher Funktionssysteme sicher sein, dass sie
sinnvoll beobachten? Hier arbeitet das Recht methodisch mit
„inviolate levels“: Bestimmte, als unverbrüchlich geltende
Grundannahmen werden nicht weiter hinterfragt. Zum Beispiel:
Marktbedingte Preise werden mit rationaler Informationsverarbeitung
assoziiert. Oder die „öffentliche Meinung“ mit Demokratie.
Derartige Annahmen wirken wie „Abschlussregeln“. Sie geben vor,
welcher Teil des Normtextes interpretiert werden soll und welcher
nicht. Diese Vorgehensweise ermöglicht es, Beobachtungsverhältnisse
in der Praxis zu organisieren. Methodendiskussionen zeugen von der
Tendenz zu Reflexionstheorien. Schon Ludwig Wittgenstein
(† 1951) wies darauf hin, dass Begriffe für sich genommen leer
sind, nur ein „Spiel mit der Sprache“. Ihr Sinn erschließt sich
erst aus dem jeweiligen Kontext, in dem Begriffe verwendet werden.
In den 1960er-Jahren setzte sich infolge der „strukturierenden
Rechtslehre“ von Friedrich Müller die Erkenntnis durch, dass
Rechtsprechung immer eine fallbezogene Interpretation eines
Individuums ist. Auch der britische Soziologe Anthony Giddens wies
1984 in einer Theorie der Strukturierung auf Wechselwirkungen hin,
also auf die Bedeutung von Beobachtungsverhältnissen, die sich
gegenseitig unter Spannung halten. Dass Reflexionstheorien nun
verstärkt beobachten, wie Beobachter beobachten, bedeutet jedoch
nicht, dass sich bewährte Kanone auflösen würden. Eher scheint sich
die Beobachtung zweiter Ordnung selbst als Ordnung zu etablieren.
Das bedeutet: Was im System jeweils anschlussfähig ist und als
„Realität“ gelten soll, wird weniger durch die Argumentation selbst
festgelegt und mehr durch ihre Beobachtung.

Kommentare (0)

Lade Inhalte...

Abonnenten

15
15