88. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 393, K08

88. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 393, K08

Welches zugrunde liegende Problem offenbaren die …
1 Stunde 36 Minuten
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Ulrike Sumfleth und Joachim Feltkamp sind Luhmani…

Beschreibung

vor 9 Monaten
Welches zugrunde liegende Problem offenbaren die
Theoriekontroversen über Interessen- und Begriffsjurisprudenz? Das
rekonstruiert die Theorie sozialer Systeme anhand der
Unterscheidung von Selbstreferenz und Fremdreferenz. Der Streit
über Interessen- und Begriffsjurisprudenz Anfang des 20. Jh.
hatte die Funktion des Rechts theoretisch nicht befriedigend
erklären können. Auffällig: Der Begriff des Interesses verweist auf
die Umwelt des Rechts. Eine Rechtstheorie müsse jedoch beobachten,
wie die Rechtsprechung damit umgeht. Im achten Abschnitt will
Luhmann nun rekonstruieren, welches zugrunde liegende Problem die
Kontroversen offenbaren. Hierzu unterscheidet er formale und
substantielle Argumente. Formales Argumentieren bedeutet
Selbstreferenz und Bezug auf Rechtsbegriffe. Substanzielles
Argumentieren bedeutet Fremdreferenz und Bezug auf die Umwelt. In
dieser Umwelt gibt es selbstverständlich ebenfalls, teils
gleichlautende Begriffe, wie das „Interesse“. Formale Argumente
sind selbstreferentiell, zum Beispiel: Formvorschriften.
Substantielle Argumente lassen dagegen Erwägungen zu, die in der
Umwelt mutmaßlich eine hohe Rolle spielen. Auf diese Weise
verhindert das Rechtssystem Selbstisolation und bleibt in der Lage,
„offen“ für die Umwelt zu sein. Systemintern verarbeitet es
Begriffe und Interessen aus der Umwelt jedoch ausschließlich in
operativer Geschlossenheit. Argumentieren bleibt eine systeminterne
Operation, auch wenn Begriffe der Umwelt benutzt werden, wie
„Interesse“. Entscheidend ist die Unterscheidung zwischen
System/Umwelt. Die Umwelt schätzt ihre Interessen stets als
„berechtigt“ ein und plädiert dafür, bevorzugt zu werden. Für das
Rechtssystem sind jedoch alle Interessen zunächst gleichwertig. Es
homogenisiert die Interessen der anderen, um dann erst, von
Gleichwertigkeit ausgehend, eine durch Recht gerechtfertigte
Entscheidung zu treffen, wessen Interessen bevorzugt bzw.
zurückgewiesen werden. Und ausschließlich dafür braucht es
Argumente und Begründungen. Das Rechtssystem baut ein Interesse der
Umwelt somit in ein systeminternes Konstrukt um. Dieses ist nicht
deckungsgleich mit den Vorstellungen und Erwartungen der Umwelt.
Laufende Selbstreferenz durch Bezugnahme auf Rechtsbegriffe heißt
nicht, dass das System „zirkulär“ argumentieren würde. Im
Gegenteil: Die Selbstbezüglichkeit erfüllt die Funktion, dass
Begriffe wie eine Schablone auf den aktuellen Fall angewendet
werden müssen und es dadurch erst ermöglichen, gleiche Fälle von
ungleichen zu unterscheiden. Auf diese Weise enttautologisieren
Begriffe die Selbstreferenzialität des Rechts. Sie ermöglichen
Unterscheidungen, die einen Unterschied machen. Aus dem
Umweltbegriff des Interesses hat das Rechtssystem also einen
eigenen Rechtsbegriff des Interesses gemacht. Mit diesem zwingt es
sich zur systeminternen Unterscheidung von berechtigten/nicht
berechtigten und zu bevorzugenden/zurückzusetzenden Interessen. Die
Kontroverse Begriffsjurisprudenz/Interessenjurisprudenz ähnelt der
älteren Kontroverse zwischen Rationalismus/Empirismus, die
ebenfalls Mühe hatte, Selbst- und Fremdreferenz zu unterscheiden.
Für den Rationalismus steht Descartes, der mit dem Satz „Ich denke,
also bin ich“ davon ausging, dass die Selbstbeobachtung des
„Subjekts“ „objektive“ Erkenntnis ermögliche. Für den Empirismus
steht Francis Bacon, der auf die Umwelt verwies: Messbare
Beobachtungen in der Umwelt ermöglichen dem „Subjekt“ Erkenntnisse.
Unterbelichtet in beiden Kontroversen blieb der Sinn des
Unterscheidens zwischen Selbst- und Fremdreferenz selbst. Das eine
bedingt das andere. Für das Rechtssystem ist die Unterscheidung von
Begriffen und Interessen jeweils eine systeminterne Operation. Dass
es sich selbst von der Umwelt unterscheidet, ist Voraussetzung für
seine Autopoiesis (Selbstreproduktion). Ohne die Unterscheidung
würde das Rechtssystem nicht existieren. Vollständiger Text:
Luhmaniac.de

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