EGL071 Nosferatu 2024 - Robert Eggers reaktionäres Remake
Ellen Hutter: „Professor, my dreams grow darker. Does evil come
from within us, or from beyond?”
1 Stunde 53 Minuten
Podcast
Podcaster
Beschreibung
vor 9 Monaten
Eigentlich-Podcast diesmal im Sitzen ohne zu laufen. Chris und Flo
konnten es kaum abwarten, über Robert Eggers' Nosferatu zu
sprechen, also haben wir eine Remote-Sendung aufgenommen: Chris in
Berkeley und Flo in Berlin, ein klassischer Podcast ganz ohne
Schnaufen und Nebengeräusche. Robert Eggers hat ein Remake des über
100 Jahre alten Proto-Horrorfilms "Nosferatu" von Friedrich Murnau
gedreht. Die Geschichte orientiert sich stark an Murnaus Original:
Storylines, Figuren und Handlungsorte werden in Eggers Verfilmung
auf Hochglanz poliert. Es wirkt fast so, als hätte Eggers Murnaus
Film Bild für Bild durch die generative KI gejagt und dabei das
Pacing heruntergeschraubt. Alles ist ein bisschen runder, brutaler,
dunkler, langsamer. Mehr aber auch nicht, meint Flo. Die
Erscheinung von Nosferatu hat im Original wesentlich mehr
kinematographische Kraft als im Remake. In Eggers Nosferatu trägt
Orlok einen lächerlichen Schnurrbart und hat eine Beule auf dem
Kopf, von der man nicht weiß, ob sie die wegfliegende Schädeldecke
oder eine Schmalzlocke darstellen soll. Chris hält dagegen, dass
Eggers mit der Figur des Orloks und seiner Verbindung zu Ellen
etwas Neues geschaffen hat: In jungen Jahren, in Einsamkeit und
sexueller Verzückung, beschwört Ellen das Monster herauf. Dadurch
entsteht eine starke Bindung, die dann auch ganz deterministisch
den Tod für beide bedeutet. Diesen Aspekt hat noch keine Dracula-
oder Nosferatu-Geschichte in der Schärfe erzählt. Wir gehen sogar
so weit, die Figurenkonstellation nach den Theorien von Jacques
Lacan zu interpretieren: Ellen richtet sich als begehrendes Subjekt
auf das Unmögliche, verkörpert durch Graf Orlok, der als das Reale
jenseits der symbolischen Ordnung steht. In dieser Konstellation
spiegelt sich die fundamentale Spaltung des Subjekts zwischen
gesellschaftlicher Ordnung (symbolisiert durch Ellens Ehe mit
Thomas Hutter) und dem transgressiven Begehren nach dem
Unmöglichen. Orlok fungiert als Objekt klein a, als unerreichbare
Ursache des Begehrens, während Ellen in ihm zugleich eine
gespenstische Spiegelung ihrer eigenen verbotenen Sehnsüchte
erkennt. Die drei Register - das Symbolische (bürgerliche Ordnung),
das Imaginäre (Ellens Fantasien) und das Reale (Orlok/Tod) -
verschränken sich in einer Bewegung, die unweigerlich zum Tod
führt. Ellens finale Selbstopferung kann als ultimative Erfüllung
des Begehrens gesehen werden, in der sich das Subjekt im Moment der
Vereinigung mit dem Unmöglichen selbst auslöscht - ganz im Sinne
von Lacans These, dass die vollständige Erfüllung des Begehrens nur
im Tod möglich ist. Das klingt soweit ganz gut, aber was uns an dem
Film stört, ist der Determinismus, der der Handlung, den Figuren
und allem zugrunde liegt. Er manifestiert sich in der absoluten
Vorherbestimmung der Ereignisse, im Drehbuch, das wie eine
Anleitung gesehen werden kann. Wie eine Turingmaschine durchläuft
der Film diese deterministische Kette, in der die einzelnen Szenen
Stück für Stück nach den vorher festgelegten Algorithmus
durchexekutiert werden. Alles, was geschieht, ist bereits
vorherbestimmt, und die Figuren können diesem Schicksal nicht
entkommen. Besonders deutlich wird dies in der fatalistischen
Opferrolle Ellens, die sich in ihr vorherbestimmtes Schicksal fügen
muss, um die Gesellschaft zu retten. Hier kann man Eggers eine
reaktionäre Haltung vorwerfen, da sie jegliche menschliche
Handlungsfreiheit und Selbstbestimmung negiert und stattdessen eine
höhere, unveränderliche Ordnung postuliert. In Zeiten des
Klimawandels und des Demokratieverlusts wünschen wir uns eher eine
Haltung, die sozialen Wandel und Handlungsfreiheit propagiert. Das
finden wir in Eggers "Nosferatu" nicht.
konnten es kaum abwarten, über Robert Eggers' Nosferatu zu
sprechen, also haben wir eine Remote-Sendung aufgenommen: Chris in
Berkeley und Flo in Berlin, ein klassischer Podcast ganz ohne
Schnaufen und Nebengeräusche. Robert Eggers hat ein Remake des über
100 Jahre alten Proto-Horrorfilms "Nosferatu" von Friedrich Murnau
gedreht. Die Geschichte orientiert sich stark an Murnaus Original:
Storylines, Figuren und Handlungsorte werden in Eggers Verfilmung
auf Hochglanz poliert. Es wirkt fast so, als hätte Eggers Murnaus
Film Bild für Bild durch die generative KI gejagt und dabei das
Pacing heruntergeschraubt. Alles ist ein bisschen runder, brutaler,
dunkler, langsamer. Mehr aber auch nicht, meint Flo. Die
Erscheinung von Nosferatu hat im Original wesentlich mehr
kinematographische Kraft als im Remake. In Eggers Nosferatu trägt
Orlok einen lächerlichen Schnurrbart und hat eine Beule auf dem
Kopf, von der man nicht weiß, ob sie die wegfliegende Schädeldecke
oder eine Schmalzlocke darstellen soll. Chris hält dagegen, dass
Eggers mit der Figur des Orloks und seiner Verbindung zu Ellen
etwas Neues geschaffen hat: In jungen Jahren, in Einsamkeit und
sexueller Verzückung, beschwört Ellen das Monster herauf. Dadurch
entsteht eine starke Bindung, die dann auch ganz deterministisch
den Tod für beide bedeutet. Diesen Aspekt hat noch keine Dracula-
oder Nosferatu-Geschichte in der Schärfe erzählt. Wir gehen sogar
so weit, die Figurenkonstellation nach den Theorien von Jacques
Lacan zu interpretieren: Ellen richtet sich als begehrendes Subjekt
auf das Unmögliche, verkörpert durch Graf Orlok, der als das Reale
jenseits der symbolischen Ordnung steht. In dieser Konstellation
spiegelt sich die fundamentale Spaltung des Subjekts zwischen
gesellschaftlicher Ordnung (symbolisiert durch Ellens Ehe mit
Thomas Hutter) und dem transgressiven Begehren nach dem
Unmöglichen. Orlok fungiert als Objekt klein a, als unerreichbare
Ursache des Begehrens, während Ellen in ihm zugleich eine
gespenstische Spiegelung ihrer eigenen verbotenen Sehnsüchte
erkennt. Die drei Register - das Symbolische (bürgerliche Ordnung),
das Imaginäre (Ellens Fantasien) und das Reale (Orlok/Tod) -
verschränken sich in einer Bewegung, die unweigerlich zum Tod
führt. Ellens finale Selbstopferung kann als ultimative Erfüllung
des Begehrens gesehen werden, in der sich das Subjekt im Moment der
Vereinigung mit dem Unmöglichen selbst auslöscht - ganz im Sinne
von Lacans These, dass die vollständige Erfüllung des Begehrens nur
im Tod möglich ist. Das klingt soweit ganz gut, aber was uns an dem
Film stört, ist der Determinismus, der der Handlung, den Figuren
und allem zugrunde liegt. Er manifestiert sich in der absoluten
Vorherbestimmung der Ereignisse, im Drehbuch, das wie eine
Anleitung gesehen werden kann. Wie eine Turingmaschine durchläuft
der Film diese deterministische Kette, in der die einzelnen Szenen
Stück für Stück nach den vorher festgelegten Algorithmus
durchexekutiert werden. Alles, was geschieht, ist bereits
vorherbestimmt, und die Figuren können diesem Schicksal nicht
entkommen. Besonders deutlich wird dies in der fatalistischen
Opferrolle Ellens, die sich in ihr vorherbestimmtes Schicksal fügen
muss, um die Gesellschaft zu retten. Hier kann man Eggers eine
reaktionäre Haltung vorwerfen, da sie jegliche menschliche
Handlungsfreiheit und Selbstbestimmung negiert und stattdessen eine
höhere, unveränderliche Ordnung postuliert. In Zeiten des
Klimawandels und des Demokratieverlusts wünschen wir uns eher eine
Haltung, die sozialen Wandel und Handlungsfreiheit propagiert. Das
finden wir in Eggers "Nosferatu" nicht.
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