Beschreibung
vor 10 Monaten
„Interessenjurisprudenz“ gilt als gescheiterter Versuch, den
Begriff des Interesses aus der externen Umwelt des Rechts in Form
einer Theoriedebatte in die Rechtswissenschaft einzuführen. Um 1900
führte eine pragmatisch-zweckdienlich auftretende Theorie den
Begriff des Interesses in die Rechtswissenschaft ein. In
Deutschland entfachte die Theorie Diskussionen unter dem Terminus
„Interessenjurisprudenz“ (prudentia, lat.: Klugheit, Vernunft). In
den USA wurde sie mit anderen Konzepten kombiniert (z.B. mit social
engineering, social policy, Instrumentalismus und „legal realism“).
Eine Zeitlang schien die Frage debattierfähig, ob die Funktion des
Rechts im Schutz „berechtigter“ Interessen liegen könnte. Also: in
einem Zweck, den die externe Umwelt des Rechts bestimmt. Funktion
und Zweck des Rechts wären demnach dasselbe. Eine Tautologie: Die
Unterscheidung ergibt keinen Unterschied! Die Diskussion
vergaloppierte sich. In Deutschland wirkte sie sich u.a. auf die
Dogmatik des gerade kodifizierten Zivilrechts aus. Im Zuge dieser
Bewegung entwickelte sich eine weitere neue Theorie über den
Begriff des Begriffs. Die Debatte darüber wiederum wurde unter dem
Etikett „Begriffsjurisprudenz“ polemisch kommentiert. Bezeichnend
erscheint hier Jherings Hinweis, jede Wissenschaft operiere mit
Begriffen, weswegen man genauso gut auf den Zusatz verzichten
könnte (Fußnote 128, S. 390f.). Als wichtig erachtet Luhmann,
„Interessenjurisprudenz“ nicht als Gegensatz von
„Begriffsjurisprudenz“ zu begreifen. Vielmehr erscheint die
Einführung des Interessenbegriffs in Form einer Theorie als
Versuch, die Funktion des Rechts zweckdienlich aus
Umweltperspektive zu bestimmen. Ähnliches war zuvor schon mit dem
Begriff der Freiheit als nur zweckerfüllendes Um-zu-Programm
versucht worden. Freiheit oder Interessen: Beide Begriffe verführen
dazu, die Funktion des Rechts auf eine Zweckerfüllung von Wünschen
aus der Umwelt zu reduzieren. Demnach bestünde die Funktion darin,
die größtmögliche Freiheit für Individuen zu gewährleisten oder
eben ihre Interessen zu schützen. Unbefriedigend! Das Recht ist
kein Zweckprogramm. Ebenso wenig die Freiheit: Es gibt
Notwendigkeiten, sie einzuschränken. Vor allem aber lenkt der
Interessenbegriff die Aufmerksamkeit nicht aufs Recht, sondern auf
seine externe Umwelt. Eine Rechtstheorie, die den Begriff des
Interesses einordnen will, muss also die Rechtsprechung beobachten
– und nicht die Interessen der Gesellschaft. Dann fällt auf: Die
Rechtsprechung geht nur vage auf den Interessenbegriff ein, nicht
theoretisch fundiert. Das Gleiche gilt für die Folgeneinschätzung,
die in vorigen Abschnitten Thema war. Hier hatten wir festgestellt,
dass sich Gerichte punktuell auf bestmögliche Expertise aus der
Umwelt verlassen. Darüberhinausgehende Nachforschungen finden nicht
statt, z.B.: Prognosen, wie sich ein Urteil auf die Wirtschaft
auswirken könnte. Zu der Übersteigerung der damaligen Diskussion
gehörte es, das Recht zu verdächtigen, es wäre selbst ein
Interesse. Demnach gäbe es Interessenten – und nicht Interessierte?
Letztlich scheiterten beide Theorien an den absurden
Fragestellungen, die sie provozierten. Die Funktion des Rechts für
die Gesellschaft erscheint umso mehr als offene Frage. Im folgenden
Abschnitt rekonstruiert Luhmann darum – auf erhöhtem
Abstraktionsniveau und mit eigenem Begriffsapparat –, welches
zugrunde liegende Problem die Theoriestreitigkeiten offenbaren.
Begriff des Interesses aus der externen Umwelt des Rechts in Form
einer Theoriedebatte in die Rechtswissenschaft einzuführen. Um 1900
führte eine pragmatisch-zweckdienlich auftretende Theorie den
Begriff des Interesses in die Rechtswissenschaft ein. In
Deutschland entfachte die Theorie Diskussionen unter dem Terminus
„Interessenjurisprudenz“ (prudentia, lat.: Klugheit, Vernunft). In
den USA wurde sie mit anderen Konzepten kombiniert (z.B. mit social
engineering, social policy, Instrumentalismus und „legal realism“).
Eine Zeitlang schien die Frage debattierfähig, ob die Funktion des
Rechts im Schutz „berechtigter“ Interessen liegen könnte. Also: in
einem Zweck, den die externe Umwelt des Rechts bestimmt. Funktion
und Zweck des Rechts wären demnach dasselbe. Eine Tautologie: Die
Unterscheidung ergibt keinen Unterschied! Die Diskussion
vergaloppierte sich. In Deutschland wirkte sie sich u.a. auf die
Dogmatik des gerade kodifizierten Zivilrechts aus. Im Zuge dieser
Bewegung entwickelte sich eine weitere neue Theorie über den
Begriff des Begriffs. Die Debatte darüber wiederum wurde unter dem
Etikett „Begriffsjurisprudenz“ polemisch kommentiert. Bezeichnend
erscheint hier Jherings Hinweis, jede Wissenschaft operiere mit
Begriffen, weswegen man genauso gut auf den Zusatz verzichten
könnte (Fußnote 128, S. 390f.). Als wichtig erachtet Luhmann,
„Interessenjurisprudenz“ nicht als Gegensatz von
„Begriffsjurisprudenz“ zu begreifen. Vielmehr erscheint die
Einführung des Interessenbegriffs in Form einer Theorie als
Versuch, die Funktion des Rechts zweckdienlich aus
Umweltperspektive zu bestimmen. Ähnliches war zuvor schon mit dem
Begriff der Freiheit als nur zweckerfüllendes Um-zu-Programm
versucht worden. Freiheit oder Interessen: Beide Begriffe verführen
dazu, die Funktion des Rechts auf eine Zweckerfüllung von Wünschen
aus der Umwelt zu reduzieren. Demnach bestünde die Funktion darin,
die größtmögliche Freiheit für Individuen zu gewährleisten oder
eben ihre Interessen zu schützen. Unbefriedigend! Das Recht ist
kein Zweckprogramm. Ebenso wenig die Freiheit: Es gibt
Notwendigkeiten, sie einzuschränken. Vor allem aber lenkt der
Interessenbegriff die Aufmerksamkeit nicht aufs Recht, sondern auf
seine externe Umwelt. Eine Rechtstheorie, die den Begriff des
Interesses einordnen will, muss also die Rechtsprechung beobachten
– und nicht die Interessen der Gesellschaft. Dann fällt auf: Die
Rechtsprechung geht nur vage auf den Interessenbegriff ein, nicht
theoretisch fundiert. Das Gleiche gilt für die Folgeneinschätzung,
die in vorigen Abschnitten Thema war. Hier hatten wir festgestellt,
dass sich Gerichte punktuell auf bestmögliche Expertise aus der
Umwelt verlassen. Darüberhinausgehende Nachforschungen finden nicht
statt, z.B.: Prognosen, wie sich ein Urteil auf die Wirtschaft
auswirken könnte. Zu der Übersteigerung der damaligen Diskussion
gehörte es, das Recht zu verdächtigen, es wäre selbst ein
Interesse. Demnach gäbe es Interessenten – und nicht Interessierte?
Letztlich scheiterten beide Theorien an den absurden
Fragestellungen, die sie provozierten. Die Funktion des Rechts für
die Gesellschaft erscheint umso mehr als offene Frage. Im folgenden
Abschnitt rekonstruiert Luhmann darum – auf erhöhtem
Abstraktionsniveau und mit eigenem Begriffsapparat –, welches
zugrunde liegende Problem die Theoriestreitigkeiten offenbaren.
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