Von wegen "soziales Problem" - über Notwendigkeit und Nutzen von Armut in der Marktwirtschaft
Podcast
Podcaster
Beschreibung
vor 12 Jahren
Armut gehört für jedermann offensichtlich zum festen Inventar
unserer schönen deutschen Marktwirtschaft. Die brummt derweil und
legt seit der Krise von neulich eine jährliche Steigerung der
Exportüberschüsse, der Staatseinnahmen und des DAX nach der
anderen hin.
Man könnte angesichts dessen das Offensichtliche zur Kenntnis
nehmen: Der Reichtum der Nation verträgt sich wunderbar mit
massenhafter Armut unter ihren Einwohnern. Und jeder weiß ja
auch, dass der nationale Reichtum nicht als große Liste
nützlicher Güter bilanziert wird, mit denen die materiellen
Bedürfnisse der Leute zu befriedigen wären, sondern als
Geldsumme: als Summe der Gewinne, die kapitalistische Unternehmen
erwirtschaften, die ausschließlich ihnen gehören und für die sie
eine einzige Verwendung wissen – den Einsatz für die
Erwirtschaftung noch größerer Gewinne. Dass das am besten dann
funktioniert, wenn die Arbeitskräfte, derer sie sich dafür
bedienen, möglichst wenig Lohn bekommen – auch das gehört zum
Allgemeinwissen: Jeden Tag verkünden Politik und Wirtschaft, dass
der konkurrenzlos effektive Niedriglohnsektor samt aller
begleitenden Regelungen eines der entscheidenden
Erfolgsgeheimnisse des deutschen Wirtschaftserfolges darstellt.
Man könnte von daher zu dem Schluss kommen, dass die Armut derer,
die den Reichtum der Gesellschaft produzieren, notwendige Folge
wie nützliches Mittel für diesen Reichtum ist. Und man könnte der
Frage nachgehen, warum und wie die Arbeit den Reichtum derjenigen
mehrt, die arbeiten lassen, aber denen, die auf Arbeit und
Einkommen angewiesen sind, weder ein ordentliches Auskommen noch
überhaupt die Gelegenheit, sich eines zu verdienen, sichert… Wie
gesagt: So könnte man dem offensichtlichen Sachverhalt auf den
Grund gehen. Muss man aber nicht. Man kann nämlich auch
– Armut als schweres Schicksal bedauern und daran erinnern, dass
sich hinter den ‚anonymen Zahlen konkrete Menschen verbergen‘.
Mit dieser Verschiebung von Armut auf die individuelle
Betroffenheit der Armen und die Beteuerung, dass das niemand
wollen kann, hat man deren ‚Schicksal‘ schon einmal grundsätzlich
von dem System der Marktwirtschaft abgetrennt, in dem Armut
entsteht und sich endlos reproduziert.
– darüber herumrechten, welche Formen von materieller
Beschränktheit und Opferung von Lebenszeit für den Kampf um die
immer prekäre Existenzsicherung überhaupt das Etikett ‚Armut‘ und
damit das allgemeine Mitleid verdienen. Auf diese Weise gelangt
man garantiert zu einer Definition von Armut, die sie aufs Komma
genau als Abweichung von einem rechnerischen Durchschnitt
beschreibt.
– diese Millionen ausnahmsweisen Armutsfälle als Fälle eines
eingetretenen individuellen Armutsrisikos problematisieren und
die These aufstellen, dass Umstände wie Kinder,
Ausbildungsnachteile, Krankheit, Jugend, Alter, … dieses Risiko
erhöhen. Auf die Weise hat man ohne großes Aufheben die
marktwirtschaftliche Verrücktheit einfach so durchgewunken, dass
mitten in einer hochgradig arbeitsteiligen und auf immer neuem
technologischen Niveau produzierenden Gesellschaft ausgerechnet
das materielle Leben und Auskommen das Abfallprodukt eines
privaten Kampfes auf sich allein gestellter Individuen
ist.
– schließlich vom Staat „Beschäftigungspolitik“ fordern. Auf die
Weise hat man dann endgültig Lohnarbeit in das Gegenteil von
Armut verwandelt. Peinlich ist das nicht nur deswegen, weil
zugegebenermaßen Armut in der Marktwirtschaft die Lage oder das
Risiko just derjenigen ist, die auf Lohnarbeit angewiesen sind.
Sondern obendrein erfährt man doch auch, dass der Staat dem
Begehr nach möglichst vielen Arbeitsplätzen am effektivsten
dadurch Rechnung trägt, dass er gesetzliche Bedingungen des
„Arbeitgebens“ schafft, die allesamt eine Stoßrichtung haben: Sie
zielen darauf, das Verhältnis von Lohn und Leistung für die
kapitalistischen Unternehmen zu optimieren, also für die
Arbeitenden möglichst ununterscheidbar von den Sorten von Armut
zu machen, gegen die Beschäftigung das Allheilmittel sein
soll.
Veranstalter: AK Gegenargumente
Weitere Publikationen zum Thema von argudiss oder von anderen:
"Der neueste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung:
Armut in Deutschland – nachgezählt, problematisiert und für gut
befunden" in GegenStandpunkt 1-13
Das Buch „Beschäftigung“ – „Globalisierung“ – „Standort“
Anmerkungen zum kapitalistischen Verhältnis zwischen Arbeit und
Reichtum
Weitere Episoden
2 Stunden 25 Minuten
vor 1 Monat
1 Stunde 48 Minuten
vor 6 Monaten
2 Stunden 31 Minuten
vor 1 Jahr
2 Stunden 5 Minuten
vor 2 Jahren
2 Stunden 28 Minuten
vor 2 Jahren
In Podcasts werben
Kommentare (0)