Ukraine-Krise: Europa geht bis an die Grenzen seiner Methode friedlicher Eroberung – und darüber hinaus

Ukraine-Krise: Europa geht bis an die Grenzen seiner Methode friedlicher Eroberung – und darüber hinaus

2 Stunden 38 Minuten

Beschreibung

vor 11 Jahren

Es funktioniert auf Ansage: In ihren feierlichen Reden zum
Jahreswechsel haben Kanzlerin und Bundespräsident festgestellt,
Deutschland sei einfach zu groß, um bei internationalen Krisen
eine untergeordnete Rolle zu spielen, und sie haben „mehr
deutsche Verantwortung“ und aktiveres Eingreifen angekündigt.
Wenige Monate später haben sie in der Ukraine die – nach eigener
Auskunft – schlimmste Krise in Europa seit dem Mauerfall vom Zaun
gebrochen; so schlimm, dass manche von einem neuen kalten oder
gar heißen Krieg warnen. Schuld daran ist, wie stets, die andere
Seite: Erst der ukrainische Präsident Janukowitsch, der seine
Unterschrift unter das Assoziationsabkommen mit der EU verweigert
hat, dann die russischsprachigen Landesteile im Süden und Osten
der Ukraine, schließlich und vor allem Putins Russland.


Was Merkel und ihre EU-Kollegen treiben, entdecken und
verurteilen sie am russischen Präsidenten:




Ihm sagen sie Großmacht-Allüren und imperiale Absichten nach.
Er wolle den Raum der ehemaligen Sowjetunion als russische
Einflusssphäre bewahren, obwohl „die Zeit der Einflusszonen
endgültig vorbei ist!“ Das sagt ihm allen voran die deutsche
Kanzlerin Merkel, die die Ukraine jetzt „umso schneller in
die EU einbinden wird.“


Merkel wirft Putin vor, er destabilisiere die Ukraine, weil
er Anträge aus der Krim und vielleicht auch aus der Ostukraine,
das Gebiet in die russische Föderation aufzunehmen, ermutigt. Der
Vorwurf kommt von einer deutschen Kanzlerin, die nichts
unversucht gelassen hat, den Staat des kaputten, zwischen seinen
östlichen und westlichen Abhängigkeiten hin- und hergerissenen
Landes zu destabilisieren, solange ein nicht willfähriger
Präsident dort an der Macht war. Deutsche Politprominenz hat den
Umsturz in Kiew ermutigt, zum Durchhalten aufgerufen und ihm die
Unterstützung ganz Westeuropas zugesichert – und damit das Land
endgültig zerrissen.

Der pro-westliche Umsturz mit all seinen glühenden
Nationalisten und teilweise bewaffneten Demonstranten, mit seiner
Lahmlegung des nationalen Lebens, den Besetzungen und
Verwüstungen von Ministerien – ein Aufruhr wie ihn sich keine
westliche Demokratie gefallen lässt –: dieser Umsturz ist für die
EU friedlich, demokratisch, authentischer Ausdruck des
ukrainischen Volkswillens, der gilt selbstverständlich
verbindlich für das ganze Volk einschließlich der dagegen
aufbegehrenden Ostukrainer und muss unbedingt gegen russische
Bedrohung und Übergriffe geschützt, also unter die schützende
westliche Vormundschaft von USA, EU und Nato gestellt werden. Die
im Vergleich dazu gesittete Volksabstimmung auf der Krim über den
Beitritt zu Russland dagegen ist für sie illegal, undemokratisch,
eine Farce, die nichts gilt, und Russlands Berufung auf bedrohte
russische Bürger eine leicht zu durchschauende Bemäntelung der
rücksichtslosen Machtübergriffe des neuen Moskauer Zaren auf ein
unabhängiges Land. Die europäischen Schutzherren des
Selbstbestimmungsrechts der Völker sind eben so freundlich, auch
gleich die Kollektive, zu definieren, die sie als Völker gelten
lassen, denen Selbstbestimmung und deren Anführern das
Staatswesen zusteht, und welche Ausrichtung des Staatswillens
ihren machtvollen Schutz verdient; und die, für die das Gegenteil
gilt.



Dabei ist die Quelle dieser Unterscheidung zwischen Recht und
Unrecht kein Rätsel: Legitim sind nach dem Richterspruch des
Westens in der Ukraine die politischen Kräfte, die sich als
Statthalter der EU und ihr Land als deren Hinterland anbieten;
illegitim sind diejenigen, die sich dem europäischen Anschluss
entgegenstellen. Russland liest diese Gleichung von Recht und
Interesse entgegengesetzt. Beide fordern voneinander, sich aus
der Ukraine herauszuhalten Die westlichen Mächte meinen und
betreiben dabei von Anfang an den Anschluss an und die
Unterstellung der Ukraine unter die EU und Nato und damit die
Erledigung russischen Einflusses. Russland ist entschlossen, den
zu verteidigen. So steht Recht gegen Recht – und der friedliche
Verkehr der beiden großen „Nachbarn“ nimmt folgerichtig den
Charakter einer Mobilisierung von Macht- und Gewaltmitteln zur
Durchsetzung des jeweils beanspruchten Rechts an. Dabei
versichert Merkel ihren Bürgern: „Zum Krieg wird es nicht kommen“
– und gibt damit zu Protokoll, was sie alles ins Kalkül zieht.

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