PEGIDA - böse und gute Patrioten im Clinch
2 Stunden 48 Minuten
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Beschreibung
vor 10 Jahren
Im vorweihnachtlichen Deutschland und ab da regelmäßig lassen
sich null Komma nichts Zehntausende „Patriotische Europäer gegen
die Islamisierung des Abendlandes“ mobilisieren. Im eher
atheistischen Dresden und anderswo bekennen sie sich mit dem
massenhaften Absingen von Weihnachtsliedern zur christlichen
Leitkultur und „wehren den Anfängen“ - der Ausbreitung der
falschen Religion oder gleich der Machtübernahme durch Imame und
Scharia-Gerichte. Was geht diesen Leuten eigentlich verloren,
wenn Ausländer - wie sie auch - ihre Arbeit tun, wohnen, leben
und dabei nicht an den christlichen Gott glauben, sondern zu
Allah beten?
Zitiert werden Unzufriedenheiten aller, auch der handfesten Art -
um daraus die ebenso absurde wie bösartige Diagnose zu
verfertigen: Ihr Vaterland verweigert ihnen ihr Anrecht auf
staatliche Fürsorge, wenn der Staat „es den Ausländern
reinschiebt“. Man möchte diese Leute fast fragen: Glauben sie
wirklich, dass die Hartz IV-Reformen, mit denen sich Millionen im
Billiglohnsektor wiederfinden, von Flüchtlingen oder für
Flüchtlinge gemacht sind? Glauben sie wirklich, dass ihnen ihre
Nation irgend etwas erspart, wenn die Fremden „konsequent
abgeschoben“ werden - außer den Fremden eben? Beschädigt ist
offenbar ein Gut höherer Art: Da können die Fremden noch so
armselig leben - solange sie überhaupt hier leben, werden die
Deutschen um ihr Vorrecht auf ihr Vaterland betrogen und das Volk
ist daheim nicht mehr daheim.
Die politischen Parteien sind aufgescheucht: Da meldet sich ein
Massenbedürfnis, das sich im Spektrum der politischen Angebote
nicht untergebracht und durch Wahlen nicht bedient findet, also
das den Verwaltern des Volkswillens aus dem Ruder zu laufen
droht. Die obige Frage stellen Politprofis daher gleich ein wenig
anders und respektvoller: Über den Streit, ob sie die
Demonstranten in die rechte Ecke stellen und aus dem Kreis
respektabler Meinungen ausgrenzen, oder sie als Fälle
„irrationaler Phobien“ (Xenophobie, Islamophobie etc.) abtun
sollen, arbeiten sie sich zur dritten Option vor: Um „die
Menschen“ wieder einzufangen und sie von ihren zwielichtigen
Anführern zu trennen, wollen Politiker die „Sorgen der
Demonstranten ernst nehmen“. Eine Schwierigkeit, die Angst vor
Islamisierung ernst zu nehmen, kennen sie nicht. Politiker und
Medien wälzen zwar die Rätselfrage: „Was wollen die
Pegida-Anhänger wirklich?“ Im Grunde aber wissen sie immer schon
die Antwort: Schnurstracks übersetzen sich die politischen
Volksbetreuer die demonstrierte Islamophobie in „soziale
Bedrohungsängste von Modernisierungsverlierern“,
„Globalisierungsgegnern“ und „Euroskeptikern“. Ihrem fachkundigen
Urteil zufolge leiden solche Leute an der „Unübersichtlichkeit“
der Weltlage, am Verlust konservativer Werte, ja der Heimat. Der
verrückte Übergang von Unzufriedenheit aller Art zur Diagnose der
Überfremdung und dem Bedürfnis, die „nationale Identität“ zu
verteidigen, ist den Politikern ebenso geläufig wie den
Pegida-Demonstranten. Irgendwie verstehen sie ihre Wähler und
sehen sich gefordert, ausgerechnet dieses ehrenwerte Bedürfnis
ihrer Kundschaft ernst zu nehmen - z.B. durch eine Debatte, ob
ihre Asylpolitik ausreichend dafür sorgt, den „Flüchtlingsstrom“
nach Deutschland einzudämmen, unerwünschte Asylsuchende möglichst
umgehend loszuwerden und von vornherein abzuschrecken und ob ihre
Einwanderungspolitik auch garantiert nur Ausländer ins Land holt,
die sich durch nützliche Dienste für Deutschland ein Bleiberecht
verdienen.
Die Gegendemonstranten mit ihren Lichterketten und
gemeinschaftlichem Lärmen halten die fremdenfeindliche Bewegung
aus der Mitte der Gesellschaft für eine Schande. Sie haben eine
andere Vorstellung von dem Gemeinwesen, dem sie angehören, und
machen sich mit ihrem Fremdschämen zu Repräsentanten eines
besseren, weltoffenen und humanen Deutschland, eines
menschenfreundlichen Leipzig, Dresden, ..., das Zuwanderer und
Hilfsbedürftige nicht ausgrenzt. Dem „christlichen Abendland“
setzen sie demonstrativ den Ruf nach wahrhaft christlicher oder
sonst wie weltoffener Mitmenschlichkeit und Solidarität entgegen,
möchten diese Werte für Deutschland und seine Bürger verbindlich
machen und „ihre Stadt“ als Hort eines solchen besseren
Patriotismus hochhalten - im Verein mit Politik- und
Parteivertretern, die wählerwirksam die gute
Gesinnungdemonstrieren, die ihre praktisch betriebene Asyl- und
Ausländerpolitik jeder Kritik entziehen soll.
Drei Fragen wirft diese immer wieder aufflammende nationale
Erregung auf:
• Wie kommen deutsche Bürger, die mit einigem zurechtkommen und
manches Unerfreuliche schlucken müssen, also unzufrieden mit
ihren Lebensumständen sind, auf die Diagnose, dass all ihre
Miseren daran liegen, dass sich zu viele Fremde in Deutschland
tummeln, dass das gute deutsche arbeitsame Volk daheim nicht mehr
daheim ist und seine nationale Identität nichts mehr gilt? Wieso
kommen sie eigentlich darauf, die Politik ließe es - ausgerechnet
in Sachen Asyl- und Ausländerfragen und überhaupt - an
entschiedenem Durchgreifen fehlen, vermissen ausgerechnet einen
starken Staat und werden ausgerechnet darüber rebellisch gegen
die Regierenden?
• Warum verurteilen die Politiker den Protest der Pegida und
grenzen ihn aus, haben aber zugleich für dessen Anliegen
Verständnis und entnehmen ihm entsprechend dringlichen
Handlungsbedarf in Sachen Ausländerpolitik?
• Was ist von einer Kritik zu halten, die Pegida alternative
Werte und Pflichten entgegenhält, die sich für gute Deutsche viel
besser ziemen würden? Geht es eigentlich in Ordnung, als
Repräsentant eines vorgestellten besseren Deutschlands
demonstrativ für die Güte eines Gemeinwesens einzutreten, das mit
all seinen politischen Berechnungen und Maßnahmen und den
gültigen ökonomischen Interessen dem vorstellig gemachten Bild
einer guten, für alle wohnlichen Heimat laufend Hohn spricht?
Die Diskussion soll Antworten hierzu liefern.
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