Der Fall Griechenland
2 Stunden 27 Minuten
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Beschreibung
vor 10 Jahren
Aus dem Vorwort
2010 steht der griechische Staat zum ersten Mal vor dem Bankrott,
2015 erneut. Wie es zu der Dauerpleite des EU-Mitglieds an der
südlichen Peripherie Europas hat kommen können, ist für den
öffentlichen Sachverstand kein Rätsel. „Über seine
Verhältnisse gelebt“ hat das Land, und zwar so gut wie jeder
seiner Insassen, und will davon nicht wirklich lassen. Die Bürger
zahlen keine Steuern, die Politiker treiben sie auch gar nicht
erst ein. Das Geld, das sie zum Regieren brauchen, holen sie mit
gefälschten Bilanzen in Brüssel ab, bezahlen damit Rentner,
Lehrer und überflüssiges Amtspersonal und halten eine Ökonomie in
Gang, die hauptsächlich aus Korruption und dem für Südländer
typischen Hang zum Nichtstun besteht –: Ungefähr in der Art
soll man sich vorstellen, wie in dem Land 20 Jahre lang vor sich
hingewirtschaftet wurde und mehr oder weniger offen immer noch
wird.
Der Botschaft erster Teil: Mitten in Europa haben sich dort
unten, kunstvoll verschleiert, in Herrschaft und Volk Sitten
eingenistet, die so gut wie gegen alles verstoßen, was in der
europäischen Wirtschafts- und Währungsunion erlaubt und bei allen
anderen Mitgliedern dieser „Euro-Familie“ die Regel
ist. Damit ist zweitens klar: Von ungefähr kommt es überhaupt
nicht, dass dieser Staat bankrott geht. Da ereilt bloß
einen Fremdkörper in der Union der Europäer das
gerechte Schicksal, das er mit seinen absonderlichen bis
kriminellen Machenschaften herausgefordert hat. Drittens gehen
deshalb auch die Konsequenzen in Ordnung, die Deutschland gegen
den Widerstand der griechischen Regierungen, insbesondere gegen
die uneinsichtige Linke von Syriza, durchsetzt: Mit dem
angedrohten Ausschluss aus dem Euro-Verbund, mit einem rigorosen
Kreditregime und mit verbindlichen staatlichen Sparvorschriften
bringen Schäuble, Merkel & Co. die widerstrebenden Griechen
nur zur „Vernunft“ ...
Das ist nicht ganz gerecht. Erstens hat sich in Bezug auf die
besonderen Usancen der griechischen Haushaltspolitik in Europa
noch nie jemand etwas groß vorgemacht. Sich als machtvoller
europäischer Staatenblock eine Nation an der Südperipherie
zuzuschlagen und durch die Eingemeindung nach den Regeln des
Acquis communautaire politisch haltbar und verlässlich zu machen:
Das waren die übergeordneten politischen Gründe, deretwegen auf
übertriebene Genauigkeit bei der Prüfung der
Maastricht-Tauglichkeit des griechischen Haushalts verzichtet
wurde – wie in anderen Ländern, wie man inzwischen erfahren hat,
übrigens auch. Zweitens mag es schon sein, dass im Land der
Griechen ökonomisch wie politisch manches anders läuft als in
anderen Nationen der europäischen Union und in denen der besseren
Garnitur schon gleich. Aber dass deswegen Griechenland und seine
Krise ein irgendwie un- oder außereuropäischer
Sonderfall sind, kann schon deswegen nicht sein, weil
Griechenland ja nun unbestreitbar ein Mitglied der europäischen
Union ist – und im übrigen nicht das einzige, das mit
der Euro-Krise an den Rand des Bankrotts geraten ist.
Drittens vor allem ist es ja in Wahrheit so: Europa ruiniert
seine „Südschiene“. Von den Führungsmächten der Union als Markt
und Schuldner in Anspruch genommen, werden Griechenland und Co.
mit ihrer Überschuldung in die Verelendung getrieben. Genauer: in
eine Politik der Verelendung, die sich durch zwei Besonderheiten
auszeichnet. So richtig verelendet wird das Volk; dabei steht
zugleich fest, dass die Staatsgewalt sich dadurch nicht saniert,
sondern selber ruiniert. Zu dieser marktwirtschaftlichen
Glanzleistung kommt ein demokratisches Highlight dazu:
Überlebenshilfen für die öffentliche Gewalt gibt es nur, wenn die
Regierung des betreffenden Landes sich vorab verbindlich auf die
bedingungslose Anerkennung aller Bedingungen verpflichtet, die
die EU-Führung ihr auferlegt.
Natürlich ruiniert Europa seine „Südschiene“ nicht zum Spaß. Die
Führungsmächte retten so ihr Geld; genauer: dessen Tauglichkeit
als Kommandomittel über Arbeit und Reichtum in Europa und über
dessen Grenzen hinaus. Dafür organisieren sie mit noch mehr
Schulden „Rettungsschirme“ und „Hilfsprogramme“ für das Vertrauen
in die Schulden, die jetzt schon zu viel sind. Als Bürgschaft für
die Solidität ihres finanzwirtschaftlichen Kunstwerks verlassen
sie sich aber nicht allein auf den Eindruck, den in der
Finanzwelt große Zahlen machen. Die Kreation mehrstelliger
Milliardensummen aus nichts verknüpfen sie mit der Einführung
eines politischen Aufsichtsregimes über die Partnerländer, die
ausweislich ihrer minderen Bonität ja wohl verkehrt mit dem guten
gemeinsamen Geld gewirtschaftet haben müssen. Die Härte dieses
Regimes soll das Vertrauen stiften, das Schulden unbedingt
brauchen, damit sie Kredit heißen und als Kapital geschäftsmäßige
Verwendung finden.
Die Rechenschaftspflicht, die sich demokratische Machthaber ihren
Wählern gegenüber allemal schuldig sind, kommt dabei nicht zu
kurz. Die Rettungstat wird dem Volk sogar doppelt erklärt.
Einerseits humanitär und entsprechend verlogen: Hilfe und
europäische Solidarität müssen sein angesichts der Katastrophe im
Süden, auch wenn die selbstverschuldet ist, nämlich ihren Grund
allein darin hat, dass da ein Staat auf „unsere“ Kosten gelebt
hat. Andererseits unter Verweis auf nationale Kernanliegen: Hilfe
muss sein zur Rettung „unseres“ guten Geldes und überhaupt zur
Bewahrung der Einheit Europas.
Letzteres ist schon nahe an der
Wahrheit, wodurch und von wem Griechenland
zum europäischen Sonderfall gemacht wurde, als der das
Land seit nunmehr fünf Jahren traktiert wird. Europas Macher
retten erstens ihr Geld und zweitens ihr Projekt einer
friedlichen Eroberung des Kontinents mit der sachzwanghaften
Gewalt des kapitalistischen Reichtums, genauer: Die deutsche
Führungsmacht der Union erzwingt von ihren Partnern die
Selbstverpflichtung auf die von ihr erlassenen Direktiven einer
„vernünftigen“, also ihrer eigenen Geld- und Kreditpolitik. So
kommt Europa durch die Krise und wieder ein Stück weiter voran:
Deutschland treibt die ökonomische Indienstnahme seiner Partner
für die große Sache europäischer Weltmacht und Weltgeltung
rücksichtslos weiter, die an den USA Maß und sich deren modernen
Imperialismus der Funktionalisierung eigenverantwortlicher
Souveräne bis hin zu deren Zerstörung zum Vorbild nimmt.
Die vorliegende Broschüre enthält einige redigierte Artikel, in
denen die ‚Politische Vierteljahreszeitschrift GegenStandpunkt‘
sich während der letzten fünf Jahre um die Erklärung der
Euro-Krise und der Krisenkonkurrenz der Euro-Staaten bemüht hat,
in deren Zentrum Deutschland steht, das seinerseits Griechenland
mit seinem Staatsbankrott in den Mittelpunkt einer „gemeinsamen
Krisenbewältigung“ gerückt hat. Die Kapitel analysieren Schritt
für Schritt die Etappen des Kampfes, den Deutschland mit seinem
Projekt ‚Europa‘ exemplarisch am „Fall Griechenland“ für sein
Programm führt, „aus der Krise gestärkt herauszukommen“ – als
ökonomische und politische Großmacht in und mit Europa.
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