Abweichende Meinungen zu TTIP - Europas und Amerikas Politiker werben: Mehr Konkurrenz der Euro- und Dollarkapitalisten ist unser Leben
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vor 9 Jahren
„TTIP bringt mehr Wachstum!“ versprechen die verantwortlichen
Politiker. Wem versprechen sie damit eigentlich was? Dass Löhne
und Gehälter wachsen, ist nicht versprochen. Dass die
Lebensverhältnisse für normale Menschen leichter, angenehmer,
sauberer, gesünder werden, auch nicht. Wachsen soll „die
Wirtschaft“, was die an Erfolgszahlen produziert. Was sie da
hinkriegt, ist nach wie vor und mehr denn je eine Frage der
Konkurrenz – zwischen den Firmen, und zwischen den Staaten, die
für die Bilanzen der Wirtschaft ihres Landes Rücksichten fallen
lassen wollen. Was also auf alle Fälle wachsen soll, das sind
Reichweite und Schärfe eben dieser Konkurrenz. Der Konkurrenz,
für die die Firmen in Europa, in Nordamerika und überhaupt
weltweit ihr Personal auf wachsende Leistung trimmen und für die
die zuständigen Politiker ihren Völkern einen gut
durchorganisierten wachsenden Leistungsdruck bescheren.
Für Leute, die sich nicht alles gefallen lassen wollen, was Staat
und Wirtschaft mit ihnen anstellen, eine Gelegenheit, sich
darüber Rechenschaft abzulegen – nein, nicht bloß, ob sie noch
mehr davon haben wollen, sondern ob überhaupt diese Art von
Leben. Denn warum soll man als normaler Mensch für eine Ökonomie
des Konkurrenzkampfs der Firmen ums Geld der Welt sein?
Ach so, wegen des großen Segens, der damit verbunden und
gleichfalls versprochen ist:
„TTIP schafft Arbeitsplätze!“ Zigtausende, heißt es. Und kaum
versprochen, fangen kritische Experten das Nachrechnen an, ob es
so viel wirklich werden. Aber was ist das überhaupt für ein
Versprechen? Für den, der einen Arbeitgeber finden muss, damit er
sich überhaupt einen Lebensunterhalt verdienen kann, enthält die
schöne Verheißung eher eine Drohung, genau genommen sogar zwei:
Nr. 1: Wie dein „Arbeitsplatz“ aussieht, was du dort zu tun hast,
was du dort verdienst, das liegt überhaupt nicht in deiner Hand.
Das entscheidet sich im internationalen Konkurrenzkampf der
Firmen, für den die demokratisch gewählten Machthaber gerade die
Richt-
linien erlassen.
Nr. 2: Auf einen solchen Arbeitsplatz bist du zwar angewiesen,
aber der Arbeitsplatz nicht auf dich. Ob es den überhaupt gibt,
das entscheiden die Firmen im Interesse ihres
grenzüberschreitenden Konkurrenzkampfes, für den demokratisch
gewählte Politiker sich um die Richtlinien streiten.
Eine schöne Ansage also: Du, lieber TTIP-Bürger, hast die Not, an
eine Verdienstquelle zu kommen – wir, die Verantwortlichen,
schaffen und verwalten sie. Und ausgerechnet das soll ein
unanfechtbar guter Grund sein, dafür zu sein – für das
Funktionieren eines Ladens, in dem der normale Mensch die
ehrenvolle Rolle des Abhängigen spielen darf, der Arbeit braucht!
Und – unter der Bedingung – soll auch das Folgende noch als
Versprechen einleuchten:
„TTIP spart Kosten!“ Nämlich erstens den Arbeitgebern, den
unentbehrlichen; zweitens Kosten für die Einhaltung von
Vorschriften, die Politiker irgendwann einmal für nötig gehalten
haben für ihr arbeitsfähiges Volk. Zwei umwerfende Gründe für
TTIP. Der beste Grund heißt aber drittens: Diese Vorschriften
sind, nach den Feststellungen der Unterhändler, eigentlich gar
nicht dafür gut, was sie regeln – Gesundheitsrücksichten,
Schonung der Natur oder so –, sondern vor allem dazu da,
ausländische Konkurrenten zu diskriminieren.
Das ist mal ein ehrliches Wort der amerikanischen und
europäischen Politiker. Und sollte all denen zu denken geben, die
ihre eigene gewählte Führung schon deswegen für nicht schlecht
halten – vergleichsweise nämlich, weil sie die amerikanische Art
der Salmonellenbekämpfung in Hühnerkadavern für den menschlichen
Verzehr bislang nicht zugelassen hat. TTIP-Politiker legen offen,
dass alle politische Volksfürsorge, von Vorschriften zur
Unfallverhütung bis zur Buchpreisbindung, seit jeher unter dem
einen großen Vorbehalt steht und mittlerweile nur im Sinne der
einen großen Staatsaufgabe in die Tat umgesetzt wird: Das
nationale Geschäft muss sich lohnen. Oder genauer: Alle
Geschäftemacherei muss sich nicht nur für die lohnen, die es
machen, sondern auch für die Staatsgewalt, die darauf aufpasst.
Deswegen passt jeder Staat auch darauf auf, dass die weltweite
Geschäftemacherei sich für die Unternehmen lohnt, die mit ihrer
Bereicherung ihm national nutzen.
Das muss doch wohl für alle, die von den lohnenden Geschäften gar
nichts haben, ein guter Grund sein, dafür zu sein!
Womit wir beim letzten und ehrlichsten aller Versprechungen der
TTIP-Politiker wären:
„TTIP setzt Geschäftsbedingungen für den Rest der Welt!“ Für –
genauer gegen - die Chinesen vor allem, und zwar bevor die
Volksrepublik, die kommunistische, zusammen mit Russland, Indien,
Brasilien, Südafrika... – „uns“ die Bedingungen serviert, nach
denen kapitalistische Unternehmer auf dem Weltmarkt Geld
verdienen können. Welche Bedingungen das dann sein könnten,
spielt gar keine Rolle – und schon gar nicht der Gesichtspunkt,
dass der normale Mensch in dem ökonomischen Welttheater, um
dessen Geschäftsordnung da so erbittert gestritten wird, nur als
Manövriermasse in kapitalistischen Kalkulationen vorkommt. Genau
diesen normalen Menschen soll einleuchten, dass es auch für sie
entscheidend ist, in welchen Hauptstädten über die Vorschriften
entschieden wird, nach denen das weltweit agierende Kapital sein
Wachstum betreibt – mit ihnen als lohnabhängigem Menschenmaterial
unter Leistungsdruck oder auch ohne sie, wenn es keine lohnende
Verwendung für sie hat. Ein herrlicher Grund, dafür zu sein, den
die Politiker ihrem wahlberechtigten Volk da offenherzig
anbieten: Unsere schöne Welt ist imperialistisch; und deswegen
wollen und müssen „wir“ – zusammen mit unseren europäischen und
transatlantischen ‚Partnern‘ – die führenden, maßgeblichen
Imperialisten bleiben. Auf immer und ewig!
Und dann soll das die Kritik an TTIP sein: Das kann unser Staat
nicht wollen?
Viele TTIP-Kritiker glauben keinen Moment lang daran, „die
Konzerne“ und deren „Gewinninteressen“, in denen sie den Motor
systemischer Schädigungen von Mensch und Umwelt erkennen, könnten
aus freien Stücken auf ihre Geschäftspraktiken verzichten; sie
gehen davon aus, dass man sie dazu nötigen muss. Sie adressieren
ihren Protest deswegen nicht an die lieben Unternehmer, sondern
an die Staatsgewalt.
„Standards!“ Der Tatsache, dass die Politik den Umgang mit Mensch
und Natur gesetzlich regelt, Grenzwerte für die Belastung mit
Schadstoffen festlegt, Verfahren für die Zulassung von
Chemikalien und Medikamenten vorschreibt, einen rechtlichen
Rahmen für Art und Umfang der betrieblichen Verwendung wie auch
für die Freisetzung von Arbeitskräften schafft – all dem
entnehmen die Kritiker, dass der Staat die richtige Adresse für
ihren Antrag ist. Ihm trauen sie zu, dass er der Profitmacherei
Grenzen ziehen kann, dass er also die Macht ist, die über der
ökonomischen Macht des Geldes steht. Letzteres stimmt.
Nicht auffallen will ihnen, dass diese Macht es dann aber auch
ist, die die privaten Gewinninteressen bis zu ihrer Grenzziehung
dazu ermächtigt, die Gesellschaft zum Mittel ihrer Bereicherung
zu machen. Die staatliche Reglementierung der unternehmerischen
Gewinnansprüche setzt deren rechtlich gesicherte Geltung voraus.
Die TTIP-Gegner bemerken an staatlicher Regelungsmacht immer nur
die einhegende Seite. Damit missverstehen sie gründlich die
maßgeblichen Zwecke, denen all die einschlägigen Vorschriften des
Staates dienen. Alle Interventionen in das Geschäft des Kapitals
werden von einer Politik bestimmt, die die Macht der
kapitalistischen Wirtschaft will und stiftet. Sie kennt die
ruinösen Wirkungen der Profitmacherei und schreibt den
Kapitalisten deswegen Rücksichtnahmen vor, die sie für den
Fortgang der Konkurrenz auf ihrem Standort für nötig hält – und
sie nimmt deswegen bei all ihren Regelungen immer Rücksicht auf
die Gewinnrechnungen, die ja nicht beschädigt werden, sondern
dauerhaft aufgehen sollen.
„Deregulierung!“ Mit diesem Vorwurf fassen TTIP-Kritiker das
umfangreiche politische Regelwerk, das der Neujustierung der
zwischenstaatlichen Konkurrenz dient, geradezu kontrafaktisch so
auf, als würde sich der Staat künftig aus der Wirtschaft
heraushalten. Sie sind konfrontiert damit, dass Amerikas und
Europas Staaten in Hunderten von Paragraphen um neue Rechtsregeln
für den Geschäftsverkehr zwischen ihnen ringen – und weil sie
darin die Abkehr von ihrem guten Sinn staatlicher Regeln
erblicken, fassen sie den ganzen Verhandlungsprozess als eine
einzige Etablierung von Regellosigkeit. Sie sagen in einem
Atemzug auf, dass die Konzerne „den Staat raushalten“ und
gleichzeitig ihre Interessen „rechtlich verankern“ wollen, ohne
zu bemerken, dass diese ‚Verankerung‘ die mächtige Instanz
verlangt, die eben diese Interessen rechtsverbindlich und damit
auch zum bleibenden Objekt ihrer Beaufsichtigung macht.
Dass Staaten um des erwarteten Zugewinns an Reichtum und Macht
willen ihre nationale Entscheidungsfreiheit relativieren und im
Prinzip keine anderen Bedingungen für ihren Erfolg mehr kennen
wollen als die Konkurrenzfähigkeit ihres Kapitals – ausgerechnet
das erscheint diesen Kritikern als Selbstaufgabeder Politik, als
eine durch die Politiker herbeigeführte Selbstentmachtung des
Staats. Denn den haben sie sich ja als Schutzmacht
zurechtkonstruiert gegen die Geschäftsinteressen, die ihr Staat
gerade freisetzen will.
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