75. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 325, K07

75. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 325, K07

Im Rechtssystem bilden Gerichte das Zentrum. Und …
57 Minuten
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Ulrike Sumfleth und Joachim Feltkamp sind Luhmani…

Beschreibung

vor 4 Monaten
Im Rechtssystem bilden Gerichte das Zentrum. Und nur dort gibt es
einen Zwang zu entscheiden. Was bedeutet das für die operative
Geschlossenheit des Systems? Dies untersucht der sechste Abschnitt
in zeitlicher und sachlicher Hinsicht. Zunächst geht es um die
Zeitdimension von Entscheidungen. Eine Entscheidung kann nur in der
Gegenwart getroffen werden. Sie unterbricht den Zusammenhang von
Vergangenheit und Zukunft und stellt ihn neu wieder her. Die Form
dieser Unterbrechung und Neuverknüpfung nennen wir eine
Entscheidung. Wie aber verknüpft ein operativ geschlossenes System
Vergangenheit und Zukunft? Die Vergangenheit wird im Fallformat
rekonstruiert, mithilfe des Rechts, das ebenfalls in der
Vergangenheit zustande kam. Beachtet wird nur, was für den Fall
rechtsrelevant ist. Alles andere wird abgeschnitten. Aus dieser
Limitierung von Informationen zur Vergangenheit ließe sich
allerdings noch keine Gerichtsentscheidung ableiten. Es braucht
zusätzlich einen rechtlichen Zukunftsentwurf. Die Zukunft wird
skizziert, indem man Entscheidungsregeln entwickelt, die dann auch
für gleiche Fälle in der zukünftigen Gerichtspraxis gelten werden.
Zum Beispiel: Regeln, wie Gesetze zu interpretieren sind oder wie
der Fall abstrahiert werden kann. Es gilt, Beschränkungen zu
erfinden, die in Zukunft bindend sein werden. Man mutmaßt in der
Gegenwart über eine zukünftige Gegenwart. Auf diese Weise schließt
sich das Kommunikationssystem Recht zeitlich. Die Entscheidung des
Gerichts konstruiert eine Verbindung von Vergangenheit und Zukunft,
für die es so in der Realität keine Entsprechung gibt. Die Zukunft
wird auch von anderen, unabsehbaren Entscheidungen mitgeprägt
werden. Wenn die heute prognostizierte Zukunft eintritt, wird sie
eine andere sein als die Prognose vermuten ließ. Die
Gerichtsentscheidung konstruiert eine Eigenzeitlichkeit des Falls,
eine zweite Zeit. Zeit wird als Differenz gehandhabt: Sie ist die
Konstruktion eines Beobachters. Jede Beobachtung, die in der
Kommunikation zum Ausdruck bringt, muss mit anderen Beobachtungen
synchronisiert werden. Dabei handelt es sich zwangsläufig um eine
Auswahl von Unterscheidungen und Bezeichnungen. Nur das, was
zugrunde gelegt wird, ist anschlussfähig für andere
Kommunikationen. Bei der rechtlichen Entscheidungsfindung erfüllt
die Rekonstruktion der verschiedenen Perspektiven des Streitfalls
die Funktion, sich auf die streitenden Parteien und auf die
Vergangenheit zu beziehen. Das Erfinden von Entscheidungsregeln
(„Richterrecht“), die in gleichen Fällen wiederverwendet werden
können, erfüllt dagegen die Funktion, sich auf die Zukunft zu
beziehen und gesellschaftliche Erwartungen an das Recht zu
stabilisieren. In der Sachdimension fällt auf, dass Gerichte sich
selbst darin überwachen, ob ihre Entscheidungen auch konsistent
sind. Dies geschieht durch Beobachtung zweiter Ordnung. Gerichte
beobachten Rechtsentscheidungen (Rechtsprechung, Gesetzgebung und
Verträge), welche ebenfalls zuvor Rechtsentscheidungen beobachtet
hatten. All dies geschieht durch Interpretation von Texten.
Gerichte interpretieren Rechtsentscheidungen allerdings anders als
Politik und Wirtschaft. Gesetzgeber und Vertragspartner müssen
nicht konsistent zwischen rechtmäßigen und nicht rechtmäßigen
Interessen unterscheiden. Gesetze und Verträge dienen politischen
bzw. wirtschaftlichen Zwecken. Wie ein Gericht das Gesetz oder den
Vertrag im Streitfall beurteilen würde, können Politik und
Wirtschaft nur antizipieren. Gerichte belegen dagegen durch
Argumentation, dass ihre Entscheidungen rechtlich konsistent sind.
Vollständiger Text auf www.luhmaniac.de

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