Beschreibung

vor 17 Jahren
Die Entstehung eines frühen Säugerembryos aus je einer Ei- und
Samenzelle ist ein zell- und molekularbiologisch bedeutsamer
Abschnitt des Fortpflanzungsgeschehens und steht wegen der Fülle
möglicher biotechnologischer und therapeutischer Anwendungen vor
allem in den Bereichen Zelltherapie und Reproduktionsmedizin im
Brennpunkt des wissenschaftlichen Interesses. Dieser Abschnitt
ereignet sich auf der zellulären Ebene und lässt sich als
gameto-embryonaler Übergang zusammenfassen. Ausgehend von der
Auffassung, dass die zeitlich unumkehrbare Generationenabfolge in
ihrer Gesamtheit als ein kontinuierlicher Fluss von
Zeichenprozessen (Semiosen) angesehen werden kann, stellt sich die
Frage, ob der gameto-embryonale Übergang als semiotisches Geschehen
interpretierbar ist. Um diese These zu überprüfen, werden zunächst
die Grundlagen der Semiotik, die Entwicklung und das Konzept der
Biosemiotik, das allgemeine Modell der Semiose nach KRAMPEN und der
aktuelle Stand der naturwissenschaftlichen Forschung zum
gameto-embryonalen Übergang dargestellt und die hierbei
beschriebenen Strukturen und Prozesse diesem allgemeinen Modell
eines semiotischen Prozesses zugeordnet. Demnach nimmt die Oozyte
als Interpret durch einen semiotischen Kanal das Spermium als
Zeichenvehikel wahr und das rezipierte Zeichen wird in Form des
männlichen Vorkerns im oozytären Organismus repräsentiert. Dieses
Ereignis markiert den Subjektwechsel von der reifen Oozyte zur
Zygote; der zelluläre Organismus der Zygote entspricht wegen seiner
maternalen Herkunft im Wesentlichen dem der Oozyte und wirkt als
Interpretant. Dieser stellt über die Repräsentation des Objektes im
Interpreten – die DNA-Sequenz – gemäß dem genetischen Kode eine
Verbindung zu den Genprodukten her, die als das Objekt der
Zeichenrelation anzusehen sind. Noch während der Integration
paternaler Anteile in das zu bildende embryonale Genom und dessen
Aktivierung beginnt mit den Furchungsteilungen die Entwicklung des
neu entstandenen Menschen. Die methodenkritische Beurteilung
ergibt, dass sich die vorgenommene Interpretation als
standardisiertes Verfahren zur Anwendung semiotischer Begriffe in
der Biologie eignet und dass der gameto-embryonale Übergang als
Zeichenprozess beschrieben werden kann. Daraus folgen Implikationen
für verschiede medizinische und philosophische Fragestellungen.
Besonders die Reprogrammierung im Rahmen der Konstitution und
Aktivierung des embryonalen Genoms, die nicht auf der genetischen
Ebene, sondern epi-genetisch erfolgt, offenbart die Notwendigkeit
eines Subjektes, das seine Umgebung aktiv interpretiert. Die
semiotische Analyse zeigt, dass der zelluläre Organismus der Oozyte
den Informationsgehalt des paternalen Vorkerns durch den Prozess
des „Empfangens“ im Rahmen der epigenetischen Reprogrammierung
aktiv verändert. Nicht das Genom bestimmt die Entwicklung des neuen
Organismus, sondern die Interpretation des Genoms durch ein
zelluläres Subjekt. Konstruktivistische Grundannahmen sind damit
bereits auf dieser Ebene des Lebendigen erkennbar. Die semiotische
Interpretation des gameto-embryonalen Übergangs eröffnet ein
Verständnis für die Generationenabfolge als Zeichenfluss und lässt
damit den einzelnen Menschen als Bindeglied zwischen seinen Eltern
und zwischen zwei aufeinander folgenden Generationen erscheinen.
Menschliches Leben ist – in immer wiederkehrender Folge – demnach
nicht lediglich das Produkt biologischer Abläufe, sondern zugleich
das Er-Zeugnis und damit das Zeichen für eine bestimmte,
vorausgegangene Paarbeziehung in der menschlichen Sozialwelt.
Dieses umfassendere Verständnis menschlichen Lebens nähert sich
unserer lebensweltlichen Erfahrung an, begründet eine Sicht des
einzelnen Menschen als bio-psycho-soziales Subjekt und fördert
damit eine Heilkunde, die sich an den ganzheitlichen Bedürfnissen
des Menschen auszurichten hat.

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