Expositions- und Gefährdungsabschätzung in der Bevölkerung von Bad Münder nach dem Eisenbahnunfall vom 09.09.2002

Expositions- und Gefährdungsabschätzung in der Bevölkerung von Bad Münder nach dem Eisenbahnunfall vom 09.09.2002

Beschreibung

vor 18 Jahren
Am 09.09.2002 abends kollidierten im Bahnhof der Stadt Bad Münder
zwei Güterzüge. Bei dem anschließenden sechsstündigen Brand geriet
auch ein Kesselwagen mit Epichlorhydrin (ECH) in Brand. Potenziell
waren etwa 19.000 Einwohner und ca. 700 Einsatzkräfte gegenüber ECH
und weiteren Brandgasen exponiert. Ziel dieser Studie war es, die
Verteilung der aufgetretenen ge-sundheitlichen Beschwerden und
deren Einflussfaktoren zu untersuchen. Hierzu wurden eine
randomisierte Bevölkerungsstichprobe, alle sich beim zuständigen
Gesund-heitsamt Hameln-Pyrmont als betroffen gemeldete Personen
(Selbstmelder) sowie Einsatzkräfte mittels Fragebogen
angeschrieben. Aussagen für die Allgemeinbevölkerung sind nur aus
dem An-gaben der Stichprobe möglich. Zielgrößen waren akute
brandgasassoziierte Beschwerden (Nasen-, Augen-, Rachen-,
Hautreizung) und unspezifische Unfallbegleiterscheinungen
(Übelkeit, Kopf-schmerz, Nervosität, Schlafstörung) an den 3 Tagen
nach dem Unfall (Expositionsphase). Diese Symptome wurden auch für
eine Kontrollphase (3 Tage vor Ausfüllen des Fragebogens) erhoben,
ferner die Aufenthaltsorte in den ersten 3 Tagen,
soziodemographische Daten, die Lebensqualität und bestehende
Erkrankungen. Zur Expositionsabschätzung diente der
Hauptaufenthaltsort in den ersten 26 Stunden nach dem Unfall. Die
Rücklaufquote in der Stichprobe betrug 63%, die Antworten von 445
Kindern und 1087 Er-wachsenen gingen in die Analyse ein. Bei
Selbstmeldern (158 Kinder, 944 Erwachsene) und Einsatzkräften (342
Erwachsene) lagen die Rücklaufraten höher (bis zu 86%). Die
Stichprobe ist als bedingt repräsentativ anzusehen, da signifikant
weniger Probanden aus dem Norden von Bad Münder geantwortet hatten.
Die Selbstmelder stellten ein hochselektioniertes und
hochsymptoma-tisches Kollektiv dar. In allen Kollektiven waren
Kopfschmerz und Rachenreizung die am häufigsten und Hautreizung und
Übelkeit die am seltensten berichteten Symptome für die
Expositionsphase. Stets lagen die Beschwerdehäufigkeiten und die
Arztebesuche der Selbstmelder und der Einsatzkräfte signifikant und
etwa um Faktor 2 höher als in der Stichprobe. Aus den
Symptomangaben wurde die intraindi-viduelle Differenz zwischen
Expositions- und Kontrollphase gebildet und diese Netto-Prävalenz
in Abhängigkeit des Hauptaufenthaltsortes und weiterer Einflüsse
analysiert. Eine rein deskriptiv / kartographische Auswertung ergab
lediglich Hinweise für geringere Sym-ptomhäufigkeiten in den
Ortschaften nördlich von Bad Münder (Luttringhausen / Nettelrede /
Böbber, Nienstedt, Eimbeckhausen). In den multivariaten
Regressionsanalysen zeigte sich für die Stichprobe (Erwachsene)
eine räumliche Häufung von brandgasassoziierten Symptomen für
Hauptaufenthaltsorte nahe der Unfallstelle (Klein Süntel,
Flegessen, Hachmühlen, Hasperde, Bad Münder südost, - südzentral, -
nordost, -nordwest). Keine räumliche Assoziation fand sich für
Un-fallbegleiterscheinungen, ebenso wenig für die Unfallbeschwerden
der Selbstmelder und der Kol-lektive der Kinder. Für die
Einsatzkräfte stieg das Risiko brandgasassoziierter Beschwerden mit
der Einsatzdauer am Unfallort an. Als weitere Prädiktoren für das
Auftreten von Symptomen erga-ben sich das (weibliche) Geschlecht,
bestehende allergisch / asthmatische Vorerkrankungen (v.a. für die
Kinder) und eine erniedrigte Lebensqualität. Nach diesen Ergebnisen
waren die nahe der Unfallstelle gelegenen Ortsteile pozentiell
höher durch Brandgase belastet. Inwieweit diese Belastungen durch
ECH, dessen Folgeprodukte oder Brandga-se verursacht wurden, kann
nicht geklärt werden, ebenso wenig, ob die selbst berichteten
Sym-ptome auf eine erhöhte Exposition oder eine erhöhte
psychosoziale Wahrnehmung zurückzuführen sind. Weitere Aufschlüsse
hierüber können möglicherweise die Ergebnisse des
Humanbiomonito-rings liefern.

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