Follow the Rechtsstaat Folge 37

Follow the Rechtsstaat Folge 37

Dieter Grimm: Wirkungsgeschichte des Grundgesetzes, wegweisende Entscheidungen des BVerfG, Richterwahl, Sondervoten
55 Minuten

Beschreibung

vor 9 Monaten
Der Ex-Verfassungsrichter und Hochschullehrer Dieter Grimm spricht
mit Niko Härting über die Wirkungsgeschichte des Grundgesetzes,
über wegweisende Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfG), die Richterwahl und die Bedeutung von Sondervoten. Dieter
Grimm war von 1987 bis 1999 Richter am BVerfG und gehörte dem
Ersten Senat an. In dem Gespräch mit Niko Härting geht es zunächst
um seinen Werdegang mit Stationen in Frankfurt/Main, Bielefeld,
Karlsruhe und Berlin. Als „Permanent Fellow“ wirkt Dieter Grimm
seit mehr als 20 Jahren am Wissenschaftskolleg zu Berlin. 2022
erschien Grimms Buch „Die Historiker und die Verfassung – ein
Beitrag zur Wirkungsgeschichte des Grundgesetzes“
(https://www.chbeck.de/grimm-historiker-verfassung/product/33343352),
das im Mittelpunkt des Gesprächs steht. Die „Wirkungsgeschichte“
ist für Grimm das „Reich dazwischen“, zwischen Rechtswissenschaft
und Geschichte, von Zeithistorikern nur wenig erkundet.
Zeithistoriker interessieren sich meist nur für die unmittelbaren
Folgen wegweisender BVerfG-Entscheidungen („Wer hat verloren? Wer
hat gewonnen?“, nicht jedoch für deren Fernwirkungen. Grimm und
Härting sprechen über das KPD-Verbot aus den 1950er-Jahren, eine
BVerfG-Entscheidung, deren Fernwirkungen Grímm für eher
übersichtlich hält. Umso bedeutsamer das Lüth-Urteil, das weit über
Deutschland hinaus bekannt ist. Durch „Lüth“ erhielten die
Grundrechte „Drittwirkung“ und prägten die Rechtsordnung auch
außerhalb des Verhältnisses „Bürger/Staat“, eine Rechtsordnung, die
in den 1950er-Jahren größtenteils noch aus vordemokratischer Zeit
stammte und zum erheblichen Teil geändert oder doch neu
interpretiert werden musste. Von großer Tragweite war auch das
Elfes-Urteil, das gleichfalls aus den 1950er-Jahren stammt. Die
Geburtsstunde des Verhältnismäßigkeitsprinzips als prägendes
Merkmal des deutschen Verfassungsrechts. Und die Geburtsstunde des
Art. 2 Abs. 1 GG („freie Entfaltung der Persönlichkeit“) als
„Auffang-Grundrecht“, von Dieter Grimm stets kritisch gesehen,
nicht zuletzt in seinem späteren Sondervotum zu „Reiten im Walde“,
in dem er vor einer „Banalisierung von Grundrechten“ warnte. In
Folge 25 von „Follow the Rechtsstaat“ ging es unter anderem um die
Abschiedsrede des Verfassungsrichters Peter M. Huber und dessen
Satz, dass Sondervoten stets als „Niederlage“ wahrgenommen werden,
da sich das Gericht stets um Konsens bemühe. Dieter Grimm sieht
dies etwas anders. Als die Möglichkeit von Sondervoten 1971 neu
eingeführt wurde, gab es Kritik, dass dies der Autorität des
Gerichts schaden könne. Diese Befürchtung hat sich indes nicht
bewahrheitet. Die Möglichkeit von Sondervoten hat sich nach Grimms
Einschätzung als positiv erwiesen, signalisiert sie doch der
unterlegenen Seite Verständnis und Unterstützung. Dieter Grimm
schätzt, dass in seiner Zeit in Karlsruhe nur etwas mehr als 60%
der Entscheidungen einstimmig ergingen. Sondervoten gab es immer
wieder, aber auch Grimm beobachtet, dass von der Möglichkeit eines
Sondervotums heute nur noch sehr selten Gebrauch gemacht wird.
Dieter Grimm und Niko Härting sprechen auch über die Rolle des
BVerfG in den 1970er-Jahren. Damals stand das Gericht stark in der
Kritik, es gab sogar einen nächtlichen Brandanschlag. Man warf
Karlsruhe vor, die Reformpolitik der sozialliberalen Regierung
auszubremsen. Besonders in der Kritik stand die Entscheidung zum
Schwangerschaftsabbruch mit einem berühmten Sondervotum von
Wiltraut Rupp-von Brünneck und Helmut Simon. Die Geburtsstunde
staatlicher Schutzpflichten, die den Staat nach Auffassung der
Richtermehrheit sogar zu strafrechtlich sanktionierten Verboten
verpflichtete. Das Volkszählungsurteil, das dieses Jahr 50 Jahre
alt wird, war für Dieter Grimm eine Art Wendepunkt für das Ansehen
des BVerfG, denn es löste bei Bürgerrechtlern einen „Jubelsturm“
aus, ähnlich wie das kurz darauf folgende Brokdorf-Urteil, das bis
heute das Versammlungsrecht prägt.

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