Urlaub als Inflations-Flucht DRV nicht ganz pessimistisch für 2023
Noch nie war er so wertvoll, wie heute. Nein, nicht der Klosterfrau
Melissengeist, diese gruselige Kräuterplörre einer Nonne, der seit
1925 mit diesem Slogan wirbt. (Auch wenn ein wenig höherer Beistand
ja niemals schadet…) Es bezieht sich auf den Opti...
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vor 3 Jahren
Noch nie war er so wertvoll, wie heute. Nein, nicht der
Klosterfrau Melissengeist, diese gruselige Kräuterplörre einer
Nonne, der seit 1925 mit diesem Slogan wirbt. (Auch wenn ein
wenig höherer Beistand ja niemals schadet…) Es bezieht sich auf
den Optimismus des Präsidenten des Deutschen Reiseverbandes,
Norbert Fiebig. Der honorige Funktionär müsste schon trockene
Lippen haben vom etwas gewollt fröhlichen Pfeifen im dunklen
Wald, wenn er über die prognostizierte Situation der Reisebranche
für das kommende Jahr 2023 redet.
Es ist aber auch wirklich ein Drama. Zwei Jahre Corona mit nur
eingeschränktester Reise-Möglichkeit. Endlich ein
Hoffnungsschimmer Anfang 2022, dass die milde Form der Infektion
wieder Mobilität erlauben würde. Und die Menschen sahen es
genauso. Wie der Korken einer geschüttelten Flasche Sekt sprang
die sprichwörtliche Reiselust der Deutschen in die Freiheit. Im
Sommer wurde Urlaub gemacht, als gäbe es keinen Morgen.
Aber genau das ist die Situation. Es gibt kein unbelastetes
Morgen.
2022 war der Drang nach Sonne und Strand da. Übermächtig. Es
musste quasi gebucht werden. Schließlich war auch das Geld da,
weil zwei Jahre lang die meisten Urlaubsziele de facto nicht oder
nur mit Aufwand und Spassbremse besucht werden konnten.
Dabei dräuten die unheilvoll dunklen Wolken bereits im frühen
Sommer am zuckrigen Urlaubshimmel. Der Krieg gegen die Ukraine
und die immer deutlicher werdende Erkenntnis, es wird verdammt
teuer für alle. Ganz unabhängig vom Mitgefühl für die Leiden des
von Russland überfallenen Volkes und der Sorge, wie sich der
Konflikt geopolitisch ausweiten könnte bis unmittelbar vor den
Gartenzaun.
Mittlerweile ist zumindest das wirtschaftliche
Schreckens-Szenario für 2023 schon viel konkreter. Für Professor
Johannes Beermann aus dem Vorstand der Deutschen Bundesbank wird
2023 mehr als herausfordernd. Wir erleben einen Angriff auf die
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes, der stärker ist,
als zur Zeit der Ölkrise, sagt er. Das ansonsten für die
fleissigen Deutschen fast schon selbstverständliche
Wirtschafts-Wachstum dürfte nächstes Jahr ein Minuszeichen
bekommen, also sprachverdrehend zum Negativ-Wachstum werden.
Zusammen mit einer Inflation, die an der zweistelligen Marke
kratzen wird, der wahr gewordenen Definition einer Rezession und
einem historisch schlechten Konsumklima-Index müsste es ein
wahres Wunder sein, wenn der Tourismus 2023 nur ein blaues Auge
davontrüge.
Grösstes Problem: war Corona noch ein Ereignis von aussen, das
alle unverschuldet traf und entsprechende staatliche
Hilfsprogramme zwingend machte, wird eine Urlaubsverweigerung
mangels finanzieller Spielmöglichkeiten als unternehmerisches
Risiko gewertet werden. Das bedeutet, der Staat muss sich
raushalten. Unterstützung für die Reisebranche wegen schlechter
Buchungslage wird es nicht geben, abseits der
Energiekosten-Hilfen für alle, wie auch immer.
Aber es sind ja nicht nur diese Energie-Mehrausgaben, die jeden
belasten. Die Inflation lässt alles teurer werden. Dazu noch die
Euro-Schwäche gegenüber dem Dollar, die alle Reisen, die auf
Dollarbasis abgerechnet werden – und dazu zählen so gut wie alle
gerade im Winter so wichtigen Fernreisen – bereits per se um 20%
verteuerte.
Das wirft ein weiteres Problemfeld ins Scheinwerfer-Licht.
Anders, als Tourismus-Politiker in ihrer Wahlkreis-Zentrierung
denken, ist Urlaub eben nicht Urlaub in Deutschland. Zweidrittel
aller Reisen gehen ins Ausland. Manche sonst armen Länder
erwirtschaften durch den Tourismus 40 % ihres
Bruttoinlandsproduktes. Unsere Reiselust ist der größte
Entwicklungshelfer der Welt. Bei uns in Deutschland wird man
nicht leiden, wenn man auf den Erst-, oder Zweit-Urlaub mal
verzichten müsste – sorry, liebe Reisebranche – aber in etlichen
Destination bedeuten ausbleibende Reisende schnell Hunger und
Leid.
Es ist wirklich kein schönes Szenario für 2023. Wie gerne würde
man sich wieder an der Zahl 69,5 Milliarden Euro erfreuen, die
die Deutschen vor Corona mit zunehmender Höhe jährlich ausgaben
für das Reisen. Aber von dieser Generosität sind wir momentan
sehr weit entfernt. Die aktuellen Buchungen, die in die Systeme
trudeln, dürften eher von der Sorge getrieben sein, dass Anfang
des kommenden Jahres alles noch teurer wird. Ein vorgezogenes
Frühbuchen für die, die sich Urlaub unabhängig vom strengen Blick
ins Haushaltsbuch leisten können. Und vielleicht auch eine Flucht
aus der Inflationsfalle. Wenn das Ersparte gerade mit ca 10
Prozent jährlich weg gefressen wird, könnte so mancher auf die
Idee kommen, es lieber in Urlaubsträume zu investieren.
Von daher wird es interessant sein, ob die Analyse des Sommers
2022 – mehr Umsatz mit weniger Gästen – wirklich nur darauf
beruht, dass die Reisenden es nach der Zwangspause noch mal so
richtig krachen lassen wollten und sich was gönnten. Es könnte
auch so sein, das wir das Auseinanderklaffen einer sozialen
Schere gerade beobachten. Platt gesagt, Airtours Angebote dürften
resistenter sein, als das, was sich im Alltours Universum
abspielt. Und das dürfte Verwerfungen in der Branche bewirken,
die noch tiefer gehen. Denn, dass Reisen wieder nur ein Privileg
wird für Wohlhabende, wie etwa im 19. Jahrhundert, das sollte
undenkbar sein.
Über all das sprach ich mit dem Präsidenten des DRV, Norbert
Fiebig, am Rande des Kongresses.
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