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10.08.2025
45 Minuten
Es ist sicher keines der üblichen Jahres-Jubiläen, wo man ganz
einfach silbrige gestanzte Papier-Zahlen umkränzt von Ehrenlaub
im Schreibwarenladen kaufen kann. Es ist nur eine aufsteigende
Nummer. 35 Jahre sind West- und Ostdeutschland jetzt wieder
vereinigt. Und, wenn alles so glatt gegangen wäre, wie es die
erste Euphorie versprach zwischen der Mauer-Öffnung und der
Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990, dann wäre es wirklich jedes
Jahr auch außerhalb eines runden Jubiläums ein Datum der
gemeinsamen Deutschland-weiten Freude, und kein etwas krampfiges,
von oben verordnetes Fest in zumindest einem der Bundesländer.
Leider fühlt es sich für viele aber so an, als ob das Fremdeln
zwischen Ost und West noch nie so stark war, wie aktuell. Leider
auch, und das interessiert uns an dieser Stelle ja besonders, im
Tourismus. War man in den frühen 90er Jahren noch voller
Hoffnung, dass all die Neuen Bundesländer mit ihren wirklichen
landschaftlichen Schönheiten und der Weite als Urlaubsdestination
par excellence würden punkten können (vielleicht nicht ganz
freiwillig, da die nicht konkurrenzfähige produzierende Industrie
ja weitgehend abgewickelt wurde), konstatieren heute in vielen
Landstrichen die Touristiker eine gewisse Ernüchterung. Ja klar,
es gibt die nach wie vor beliebte Ostsee-Küste. Die ist ein
Selbstläufer, und brachte sogar die Erfolgs-verwöhnten Bayern in
der Beliebtheitsskala der deutschen Urlaubsdestinationen zur
Schnapp-Atmung. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass abseits der
Leuchtturm-Regionen bereits 20 Kilometer landeinwärts und
entfernt von den wenigen landschaftlichen oder kulturellen
Highlights die Besucher immer noch weitgehend – aus touristischer
Erwartungshaltung heraus – eine Service-Öde empfängt. Da ist viel
Schwung aus der Anfangszeit verloren gegangen, und man hat sich
innerlich wohl damit arrangiert, dass Besucher wenn, dann vor
allem aus der Region kommen, und nicht von weit her. Mehr noch:
Es gibt Landstriche außerhalb der Ballungsräume, die – man muss
es leider klar sagen – mittlerweile Besuchern das Gefühl
vermitteln, rechtsextremes Gedankengut sei salonfähig auf offener
Strasse. So etwas wirkt logischerweise abschreckend auf
Urlauber.
Tourismus im Osten Deutschlands ist also leider nicht die
Erfolgsstory, die man sich erhofft hat. Und damit auch kein
dankbares Objekt für die, die professionell darüber berichten
könnten. Vor allem also Menschen, die – da einheimisch – sich am
besten auskennen vor Ort und wunderbare Geschichten entwickeln
könnten.
Und trotzdem haben die Reisejournalistinnen und Journalisten aus
der früheren DDR in diesem Herbst ein Datum, das sie aus Herzen
feiern wollen. Etwas später als das offizielle Datum, am
Samstag, 29. November 2025 ab 17 Uhr in der Bulgarischen
Botschaft in Berlin, werden die 35 Jahre nach der
Wiedervereinigung wirklich bejubelt: denn so lange existiert dann
auch die Reisejournalisten-Vereinigung CTOUR, die sich aus den
DDR-Berufszwängen mit der Gründung Ende November 1990 befreien
wollte..
Am Anfang war der in Berlin von DDR-Journalist*innen gegründete
weitestgehend regionale Club tatsächlich geradezu ein
Selbstläufer. Endlich Reisefreiheit. Endlich Artikel aus aller
Welt schreiben können, die nicht vor Veröffentlichung mit vielen
„helfenden Hinweisen“ von oben auf Staatslinie gebracht wurden.
Denn Reise zu DDR Zeiten durfte natürlich nicht zu
träumerisch-verführerisch beschrieben werden, um keinen Kontrast
zur Misswirtschaft des eigenen Landes herauszuarbeiten. Da waren
schon „saftig-aromatische Tomaten“ in Bulgarien ein Grund zur
Zensur.
Und auch die westlich dominierte Reise-Industrie war voller
Wohlwollen gegenüber dem neuen Club. Seine Mitglieder brachten
die frohe Kunde der weiten Welt schließlich – selbst permanent
begeistert von der neuen Erfahrung – flächendeckend in die Neuen
Bundesländer, wo man einen unheimlich hohen Reise-Nachholbedarf
hatte. Win-Win.
Ehrenpräsidenten unter sich… (li) Jürgen Drensek, VDRJ,
Produzent von WAS MIT REISEN, (re) Hans-Peter Gaul, CTOUR
Ich bin ja „von der anderen Seite“… Seit vielen Jahrzehnten im
Vorstand der traditionellen bundesweiten Vereinigung der
Deutschen Reisejournalisten (VDRJ), ein Jahrzehnt deren
Vorsitzender und und jetzt Ehrenpräsident. Ich habe natürlich
auch die Konflikte mitbekommen. Gerade am Anfang, als
West-Journalisten sich schon ihren Ost-Kolleginnen gegenüber in
der Berufsauffassung sehr überlegen fühlten. Und nicht selten
ziemlich arrogant mit ihrer Weltgewandtheit kokettierten, die
doch nötig sei, um authentisch berichten zu können. Es waren aus
heutigem zeitlichen Abstand gesehen unnötige Hahnenkämpfe. Jeder
hatte seine medialen Kunden mit ihren individuellen Ansprüchen.
Und vielleicht war es so, dass der West-Leser eher das fein
geschliffene, etwas philosophische Essay über eine wandernde
Selbstfindung in den Bergen goutierte, während der Ost-Konsument
sich mehr über handfeste Service-Ratgeber freute, wie man in
Palma zur Kathedrale kommt und wo es einen günstigen Kaffee gibt…
Der Köder muss schließlich dem Fisch schmecken, und nicht dem
Angler.
Nun, über die Jahrzehnte hinweg hat sich aus dem anfänglichen
Fremdeln zwischen CTOUR und VDRJ ein freundliches Nebeneinander
entwickelt. Den Umständen war es geschuldet. Denn die Goldenen
Jahre im Tourismus und seinem Verhältnis generell gegenüber dem
Journalismus sind vorbei. Zusätzlich zum Druck von Seiten der
Medien, die entweder gar nicht mehr existieren (und damit kein
Ort mehr sind, um journalistische Arbeiten überhaupt zu
veröffentlichen), oder deren Honorarangebote mittlerweile ins
absolut Unanständige abgestürzt sind. Alle Journalisten kämpfen
also mit denselben Problemen. Das schweisst irgendwie zusammen.
Ich, als Ehrenpräsident der „großen“ bundesweit agierenden VDJR,
lebe und arbeite nun in Berlin. Nach wie vor dem Stammsitz von
CTOUR, dessen Mitglieder bis heute weitestgehend aus Berlin und
weit um Berlin herum kommen. So hat sich im Laufe der Jahre ein
vertrauensvolles Verhältnis bei vielen Treffen ergeben. Und nach
wie vor bin ich etwas neidisch, wie gut bei CTOUR der soziale
Aspekt, nämlich das Vereinsleben mit realen Treffen
funktioniert.
Vor allem mit Hans-Peter Gaul, dem Spiritus Rector und
unermüdlichem Organisator aller Aktivitäten von CTOUR hat sich
mit der Zeit eine wirkliche berufliche Freundschaft entwickelt.
Nur durch Zuhören lernt man, Dinge besser einordnen zu können und
Lebensläufe zu würdigen, die aus meiner westlichen Sozialisierung
und beruflichen Prägung zunächst fremd und wenig attraktiv
erschienen.
Und so habe ich mich gefreut, dass Hans-Peter Gaul – mittlerweile
auch Ehrenpräsident – nun zusagte, sich mit mir für den „Was mit
Reisen“ Podcast, das erste Reiseradio in Deutschland, zu treffen
und über die Vergangenheit zu plaudern, aus der heraus dann sein
„Baby“ CTOUR entstehen konnte. Es wurde eine sehr interessante,
journalistische Geschichtsstunde.
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CTOUR
Der Beitrag Reise-Journalismus in der DDR Hans-Peter Gaul über 35 Jahre CTOUR
Entwicklung danach erschien zuerst auf Was mit
Reisen.
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03.07.2025
44 Minuten
Nach dem Sturm im Wasserglas nach der ZDF Insider Doku über die
TUI hoffe ich einfach mal, dass man mir es abnimmt, Insider zu
sein nach über 40 Jahren Reise-Fach-Journalismus – auch, wenn ich
keinen falschen Bart trage oder eine mottige Perücke…
Ich nehme als These bewusst diese eigentlich wirklich
harmlose ZDF Sendung, weil sie aktuell so deutlich macht, wie
Kritikunfähig die Branche geworden ist. OK, wir sind uns einig:
das war kein Pulitzer-Preis-verdächtiger Journalismus. Dazu noch
etwas reisserisch aufgemotzt. Wichtig ist nur: da war bis auf
Nuancen nichts drin, das das Etikett „falsche Anschuldigungen“
rechtfertigen würde. Jeder, der im Tourismus arbeitet, weiss,
dass alle gemachten Vorwürfe im Kern stimmen. Von daher kann sich
eigentlich nur die TUI grämen, dass sie stellvertretend zum
Watschen-August gemacht wurde. Als Marktführer sollte man so
etwas aushalten.
Was aber folgte, vor allem auf der Webseite der fvw, das hat mich
schon umgehauen. Mit welchem Hass auf Medien da teilweise
gekübelt wurde – Lumpenjournalismus, Schmierentheater, Gebühren
Missbrauch, Journalisten-Bestrafung… Selbst die TUI gerierte sich
als beleidigte Leberwurst und raunte etwas von angeblichen
Insidern, die für ihre Aussagen honoriert worden seien. Was
natürlich Quatsch ist, wie das ZDF mittlerweile klargestellt hat.
Und dann gab es im Pressetext der TUI die „richtigen Antworten“ –
die in der Regel aber nichts anderes waren, als PR-Geschwurbel
ohne Fakten-Basis.
Bei der fvw gab es eine Umfrage. Und nur etwas mehr als die
Hälfte der Teilnehmer war der Ansicht, so etwas müsse sich die
Reisebranche gefallen lassen. Die andere Hälfte fand es ganz
unmöglich, obwohl sie fachlich wissen, dass die Vorwürfe nicht
aus der Luft gegriffen waren.
Wie kann es sein, dass das weltweit führende
Kreuzfahrt-Unternehmen Carnival auf eine berechtigte Video-Kritik
von zwei britischen Cruise-Vloggern nicht souverän reagiert mit
dem Eingeständnis, dass ihr Produkt einfach zum Zeitpunkt der
Aufnahmen schlecht war (und sich bei den Kunden entschuldigt)… –
sondern vielmehr lapidar ohne weitere Erläuterung die beiden
Überbringer der schlechten Nachricht fünf Jahre von sämtlichen
Schiffen der gesamten Gruppe verbannen will?!
Mittlerweile merkt man auch bei Carnival, dass man mit dieser
Strafaktion mächtig ins Klo (offenbar eben sehr ungereinigt auf
manchen Schiffen) gegriffen hat, und versucht nach massivem
Protest Schadensbegrenzung. Wie kann es so weit kommen? Der
Versuch eines Rückfalls in finstere Zensur-Zeiten, weil Trump und
Co es schließlich vormachen, wie man mit den „Feinden des Volkes“
umzugehen hat?
Das war mein Ansatz, als mich Michael Buller bat, bei den VIR
Innovationstagen in einem Journalistenpanel den Blick von
außen auf die Branche zu wagen: ist das gerechtfertigt, dass
Touristiker sich benehmen, wie eine hysterische Diva, sobald es
eine negative Kritik gibt? Und warum ist die Branche der
Profi-Gastgeber so unentspannt geworden?
Zusammen mit den beiden Kollegen Tom Nebe von der dpa und
Mauritius Kloft von t-online stelle ich mich den Fragen von Roman
Borch, der unsere Podiumsdiskussion auch gleich für seinen
travelholics Podcast live vor Publikum aufgezeichnet hat.
Um den Podcast zu hören, bitte auf das KOPFHÖRER Symbol oben im
Foto klicken.
Der Beitrag Tourismus mag keine Kritik? Travelholics Podcast mit mir auf den VIR
Innovationstagen 2025 erschien zuerst auf Was mit
Reisen.
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16.02.2025
23 Minuten
https://wasmitreisen.com/wp-content/uploads/2020/03/Reiseradio-mit-Michael-Mueller-final-20230216.mp3
Ein Gespräch mit Michael Müller. Beim Namen allein klingeln jetzt
bei Ihnen vielleicht noch nicht die Erkenntnisse. Aber wenn ich
dazu sage: ich unterhalte mich mit dem Reisebuch-Verleger Michael
Müller, dann ist das sicher ganz anders.
Seit 1977 gibt es seine Reiseführer, die für viele, die
individuell unterwegs sein wollen, so etwas, wie die Backpacker
Bibeln sind. Das erste Büchlein, das Michael Müller über sein
geliebtes Portugal schrieb, wurde noch auf einer
Kugelkopf-Schreibmaschine getippt und hatte selbst gemalte Karten
drin zur Orientierung.
Davon sind die Reiseführer heute, mittlerweile über 250,
natürlich Universen entfernt. Und sie bieten Information und
Inspiration auch für diejenigen, die pauschal an einen Urlaubsort
gelangen. Aber dort mehr entdecken möchten, als die All-Inklusive
Ferienanlage am Strand.
Die Mitglieder der Vereinigung Deutscher Reisejournalisten VDRJ
haben bei Ihrer letzten Hauptversammlung in geheimer Abstimmung
entschieden, Michael Müller für sein Lebenswerk, aber auch für
seine Neugierde, neue digitale Formen für zukunftsfähige
Reiseführer zu entwickeln, den Ehrenpreis für herausragende
Verdienste um den Tourismus anzutragen.
Reisebuch-Verleger Michael Müller (li) mit VDRJ-Ehrenpräsident
Jürgen Drensek – Foto Marina Noble
Bei der Preisverleihung in Erlangen, am Sitz des Verlages, hatte
ich Gelegenheit, mit dem rührigen Verleger dieses Gespräch für
das Reiseradio zu führen.
Bitte mit Klick auf den Player den Reiseradio-Podcast starten
Hintergrund zum Ehrenpreisträger Michael Müller
Laudatio von Marina Noble auf Michael Müller
Der Beitrag Ich muss zuversichtlich bleiben Michael Müller über Zukunft der
Reiseführer erschien zuerst auf Was mit Reisen.
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10.10.2024
21 Minuten
Die beruhigendste Vision für die Reisebranche kam auf dem
Hauptstadt-Kongress des DRV ausgerechnet von Wirtschaftsminister
Robert Habeck. Er sei sich sicher: immer mehr Deutsche würden in
Zukunft reisen. Hört sich erst mal harmlos an. Was man eben so an
Nettigkeiten sagt, wenn man auf einem Branchentreffen
spricht.
Aber mit so einer Aussage müsste der Vize-Kanzler sicher derzeit
bei etlichen anderen Branchen vorsichtig sein. Immer mehr
Menschen werden in Zukunft deutsche Autos kaufen? Eher nein.
Immer mehr Menschen werden in Zukunft hochpräzise, mechanische
deutsche Industriegüter erwerben..? No! Zahnräder und Co haben
den Zenit des Sexy-seins schon längst überschritten… So, wie fast
alles, was in heimischen Fabriken leider zu hohen Preisen
gefertigt werden muss.
Die Wirtschaft der Zukunft wird sich auch in Deutschland immer
mehr verschieben vom Blaumann und dem Schraubenschlüssel, hin zur
Dienstleistung. Und Tourismus ist in Deutschland nun mal die
Dienstleistungs-Branche schlechthin; auch bei der Zahl der
Beschäftigten.
Für Habeck ist das Reisen eine gewünschte politische Kraft. Nicht
nur eine Kraft-Quelle. Ohne Reisen sei eine moderne Welt für ihn
nicht mehr vorstellbar. Das Reisen sei geradezu der Gegenentwurf
zu Krieg, kulturellem Missverständnis und aggressiven
Vorurteilen.
Und doch findet diese organisierte Landverschickung nicht in
einer vor der realen Welt schützenden Blase statt. Die
Reise-Industrie wird seit Jahren extrem gebeutelt durch äußere
Einflüsse. Waffen-Konflikte, Terrorismus, Klima-Katastrophen,
Pandemien und – selbst verursacht – Over-Tourism, der die Freude
vor Ort verdirbt.
Und mehr noch. Sie sieht ihr Geschäftsmodell permanent
missverstanden in der bürokratischen Regulierungswut seitens
Brüssel. Stichwort: Fragwürdige Überarbeitung der
Pauschalreise-Richtlinie, gewollte Ausdehnung des kompletten
Verbraucher-Schutzes auch auf Einzel-Leistungen, hemmende, nicht
effektive Verordnungen und Gebühren-Belastungen, die die
Wettbewerbsfähigkeit angreifen gegenüber Playern aus den
nicht-europäischen Ausland.
Das ist die aktuelle Gemengelage. Ja, man ist selbst erstaunt
darüber, dass die Menschen in einem Maße Urlaub machen, wie man
es sich vor einem Jahr nicht erhoffen wollte angesichts der
prognostizierten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen.
Rahmen-Bedingungen. Der unbedingte Reisewunsch scheint
einfach in der DNA der Deutschen zu liegen.
Aber ist er resilient, wenn die Gesamt-Situation sich weiter eher
negativ entwickelt? Da ist auch Norbert Fiebig, der Präsident des
Deutschen Reise Verbandes, eher vorsichtig zurückhaltend. Mit ihm
unterhielt ich mich am Rande des Kongresses in Berlin.
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Titelbild.
Der Beitrag Pauschal gesagt: gute Reise Interview mit DRV-Präsident Norbert
Fiebig erschien zuerst auf Was mit Reisen.
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23.02.2024
21 Minuten
Ich muss zugeben, ich hatte schon ein mulmiges Gefühl bei der
Vorbereitung dieses Reiseradio-Podcasts. Ein Gespräch mit einem
Kollegen über die empfundene Qualität des Reisejournalismus ist
ja eh eine heikle Angelegenheit. Denn wer ist schon selbst frei
von Fehlern? Aber bei Christoph Ammann, meinem Gesprächspartner
aus der Schweiz, kommt noch ein Faktor hinzu, der geradezu
unglaublich klingt: Christoph verlor 2011 sein Augenlicht, und
ist seitdem ein blinder Reisejournalist. Geht das
überhaupt?
Wie sollen wir für unsere Leser, Hörer oder Zuschauer die Welt
entdecken, als Vor-Reiser, als kompetente Berater und seriöse
Reisebegleiter, wenn wir sie nicht sehen, sondern uns auf unsere
anderen Sinne beschränken müssen?
Für mich als hauptberuflichen Filmer natürlich eine unmögliche
Vorstellung. Eine solche Diagnose hätte bei mir zwangsläufig das
berufliche Ende bedeutet. Aber je mehr ich mich mit der Situation
auseinander setzte – was würde ich denn als schreibender
Journalist tun? – desto mehr Chancen erkannte ich für spannende
Zeilen.
Wir können uns zum Beispiel an Gerüche viel länger und viel
intensiver erinnern, als an jedes Bild. Wie würde ich einen Markt
in Indien mit all seinen Düften und dem Geschnatter drumherum
beschreiben? Und würde das nicht viel intensiver, als das
Formulieren der visuellen Wuseligkeit? Was passiert mit uns an
der Küste, an einem Hafen? Salzluft, Tang, Algen, die Brandung im
Sturm, die das Gesicht kribbeln lässt? Und schnell merkte ich,
dass das, was zunächst als ein Ding der Unmöglichkeit scheint,
als Reisejournalist blind zu sein, auch zu ganz intensiven
Erlebnissen für meine Leser führen könnte.
Mal abgesehen davon, dass Reisejournalismus ja viel mehr Facetten
hat, als „nur“ die Beschreibung einer Destination. So, wie ich in
meinem Reiseradio der Fachjournalist bin in den Gesprächen mit
den Movern & Shakern der Touristik, kann man die touristische
Welt auch wunderbar durch Begegnungen mit Menschen und ihren
Geschichten erzählen.
Also verwandelte sich die Mulmigkeit vor dem Gespräch mit
Christoph, mit meinen Fragen vielleicht mühsam unterdrückte
Wunden aufzureissen, in neugierige Erwartung.
Ehrenpreis-Träger Christoph Ammann im Gespräch mit
VDRJ-Ehrenpräsident Jürgen Drensek (Foto Marina Noble)
Und warum das Gespräch ausgerechnet jetzt, wo die Erblindung doch
bereits 2011 erfolgte? Die Vereinigung Deutscher
Reisejournalisten, VDRJ, deren Ehrenpräsident ich sein darf,
wählt jedes Jahr in einer geheimen Abstimmung eine
Persönlichkeit, der der Columbus Ehrenpreis für herausragende
Leistungen im Tourismus verliehen wird. In der Regel sind es
bedeutende Touristiker*innen, die in den vergangenen Jahrzehnten
Großes geleistet haben für die Reisefreiheit.
Dieses Jahr wollten die Mitglieder der VDRJ aber ein Zeichen
setzen, vor dem Hintergrund des Sterbens so vieler
Print-Reiseredaktionen, dass es eben auch bei allen neuen
Buchungswegen und dem vermeintlich grenzenlosen
Informationsangebot in der Vorbereitung einer Reise wichtiger
ist, denn je, dass die Reisenden verlässliche, professionelle,
journalistisch-fundiierte Einordnungen und Inspirationen erhalten
können. Noch nie war das, angesichts all der Pseudo-Information
und Instagramisierung der Urlaubswelt – aka Schleichwerbung – in
den Sozialen Medien so wertvoll wie heute.
https://wasmitreisen.com/wp-content/uploads/2020/03/Christoph-Ammann-VDRJ-Ehrenpreistraeger-2024-Reiseradio-Podcast.mp3
Um den Podcast mit Christoph Ammann zu hören, bitte hier auf PLAY
klicken Informationen zum Preisträger Christoph Amman:
Begründung der Verleihung des VDRJ Ehrenpreises 2024
Interview von Marina Noble mit dem Preisträger
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Der Beitrag Blind sehend durch die Welt VDRJ-Ehrenpreis an Reise-Journalist
Ammann erschien zuerst auf Was mit Reisen.
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