Jasper Fforde: Early Riser

Jasper Fforde: Early Riser

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Beschreibung

vor 2 Jahren

Kerouacs “On the road” ist unbestreitbar ein Frühlingsroman.
Nicht im meteorologischen Sinne, keine Ahnung ob Jahreszeiten im
Buch genannt werden, und wie soll man das auch rausbekommen,
aber, einen Trip quer durch die US of A im Sommer in Autos noch
ohne Klimaanlage zu machen ist ausgeschlossen! “On the road”
also, spielt im Frühling!


J. R. Tolkien ist in “Herr der Ringe” wiederum ganz klar ein
Herbstautor. Septemberbunte Wälder im Elfen- und Oktobernebelige
Täler im Auenland, dazu diesig-dunkles Mordor im November, das
passt.


Sommerromane gibt es nicht. Nie hat je ein Roman im Sommer
gespielt, denn keiner will das Lesen. Einen Sommerroman im Winter
zu lesen führt zu Depression und Suizid und am Strand im August
ist es ungemütlich genug, um nicht auch noch im Buch selbst von
flimmernder Hitze lesen zu müssen. Sommerroman gibt es nicht.


Winterromane sind wiederum allgegenwärti,g weil therapeutisches
Kassengold. Was bleibt einem im Winter Anderes als zu lesen. Man
kann das Haus nicht verlassen, weil es zu anstrengend ist, für
die paar Meter in die Bar Anoraks und Winterstiefel anzuziehen
und in die Bar in Bademantel und Schlappen gehen, das darf nur
der Dude. Also liest man und was gibt es Kuscheligeres als die
Vorhänge zuzuziehen um das, was man in der Stadt Winter nennt und
doch nur Schlamm und Hundeshit ist zu verbergen und zu ersetzen
mit Mengen und Mengen und Mengen von Schnee. Es kann nicht genug
Schnee sein.


Und genau das liefert Jasper Fforde. Und damit das auch der
letzte Borderline-Depressive am 18.November 2018 versteht, dem
deutschen Erscheinungstermin des hier besprochenen Romans,
übersetzt der Heyne Verlag den geheimnisvollen Titel “Early
Riser”, Frühaufsteher, mit dem “Schlund auf und Rein damit” Titel
“Eiswelt”. Es fehlt nur der Untertitel “Ein Winterroman”. Meine
Güte.


Die Eiswelt ist, wie in vielen Romanen des Walisers Jasper
Fforde, Wales, Anfang des 21. Jahrhunderts, also gerade eben.
Steht die Frage, wie Wales, an der Westküste der Britischen Insel
und mitten in den nordöstlichen Ausläufern des Golfstromes
gelegen, der Schauplatz eines Winterromanes, mit Schnee und
Gestöber sein kann. Nun, es ist nicht genau das Wales, welches
ich noch letztes Jahr von Portishead, the Village, not the Band
aus, mit Blick über den Severn gesehen habe. So unbeeindruckend
das geographische Namedropping in der Rezension, so notwendig ist
es im Roman, denn Early Riser spielt auf realen Schauplätzen in
Wales, aber in einem parallelen Universum, in dem seit
Jahrhunderten Eiszeit herrscht, mit Gletschern bis nach Glasgow
runter, Sommertemperaturen von 32 Grad plus und
Wintertemperaturen von 64 derer minus.


Die Gesellschaft, die sich um einen Winter dieser Strenge
gebildet hat ist eine, die den zweimonatigen Winterschlaf, immer
dann, wenn der Winter am strengsten ist, zur Strategie ihres
Überlebens gemacht hat. Alles ist auf diese zwei Monate
eingestellt. In den Wochen vor der Wintersonnenwende ist Bewegung
verpönt, gehaltvollstes Essen anbefohlen, damit man eine gesunde
Fettheit entwickle, die man in den acht Wochen des Winterschlafes
auch braucht, denn was mit Kindern passiert, die ihren Pudding
nicht aufessen, erzählt in diesem Wales die Nanny jeden Abend
vorm einschlafen. Sie verhungern ganz jämmerlich in ihren Betten.
Oder, fast schlimmer, sie wachen vorzeitig auf und fallen damit
der Gesellschaft zur Last. Oder, seit der Einführung eines den
Winterschlaf fördernden Medikaments, sie wachen frühzeitig als
Gemüse auf und können gerade noch so Sachen wie Tom Jones Songs
auf der Gitarre spielen. Und zwar immer denselben. Und bekommen,
wenn sie nicht genug Kalorien in den Körper kriegen, einen
verdammten Heisshunger auf ihre Mitmenschen.


Von dieser Seltsamkeit ist alles in Wales in “Early Riser”: es
ist ein nicht enden wollender Trip durch ein absurdes Land aus
dem Kopf von Jasper Fforde, aber, und das Wichtigste an jedem
Fantasy, Schrägstrich, Gruselroman, die Seltsamkeit ist immer an
der Grenze zur Plausibilität. Gruselroman, was für ein
bescheuertes deutsches Wort, aber nunja, ist “Eiszeit” für
unseren Kollegen Mikis Wesensbitter, der das Buch in der letzten
Weihnachtssendung kurz vorstellte und von dem er sagte, “Er sei
froh gewesen, dass es zu Ende gewesen sei, er hätte nachts nicht
schlafen können.” Ich beneide Mikis da ein bisschen um seine
Sensibilität, ich als alter Zyniker lasse mir von einem Roman, in
dem ein Pharmakonzern versucht in den Träumen des Protagonisten
rumzufuhrwerken, ein sehr schönes deutsches Wort, nicht im Ansatz
den Schlaf rauben. Weshalb ich mir Fortsetzungen wünsche, ich
möchte mehr Stories aus einer Welt wissen, in der zwar die
Indiebands meiner Jugend im Radio laufen, es aber seltsamerweise
keine Schusswaffen gibt sondern nur Luftdruckwaffen. Eine
Gesellschaft, die sich darauf geeinigt hat, dass man sich im
Winter zwei Monate hinlegt ist sowieso mein Ding, aber, dass es
da immer Outlaws gibt, die sich wach halten und gar nicht
schlafen, macht den Roman interessant und es soll sogar Menschen
geben, die jede Nacht schlafen. Wahnsinn. Diese Outlaws sind, im
Fall der Gruppe der Villains, also ganz platt “die Bösen”
genannt, bei einem Roman von einem Waliser geschrieben und in
Wales spielend - Na? - genau: Engländer, die mit Picknicktisch
und Teekocher im Winter in Museen einbrechen um rare Briefmarken
zu stehlen. Aber, und hier muss ich spoilern, so großartig ist
die Idee, es gibt auch Menschen, die im Winter gar nicht
schlafen, wie im Fall von Aurora, der unser Hauptheld eines
Vormittags begegnet in ihrer Funktion als Sicherheitschefin
besagten bösen Pharmakonzerns. Aurora hat ein halbseitige
Lähmung, sie kann nur mit ihrem rechten Auge sehen und bittet
entsprechend sich in diesem Sichtbereich zu bewegen. Unser
Hauptheld Charlie, genannt Wonky, ist in seinem ersten Jahr als
Mitglied einer Polizeieinheit namens “Winterkonsule”, die,
während alle anderen schlafen dafür sorgen, dass diese das in
Ruhe tun können. Am Abend stellt sich Wonky bei seiner neuen
Chefin vor, Toccata, die die gleiche Behinderung wie Aurora hat,
nur auf der anderen Seite des Gesichtes, sie sieht mit dem Linken
Auge, weshalb die rechte Seite ihres Büros aussieht wie Bombe.
Erst nach der Begegnung bekommt unser Hauptheld kichernd von
einem seiner Kollegen erzählt, dass Toccata und Aurora die
gleiche Person sind, ein sogenannter Halbling, bei dem jeweils
eine Gehirnhälfte einen halben Tag lang schläft, die andere
Tageshälfte dann die andere. Und die sich übrigens abgrundtief
hassen und Fernschach miteinander spielen weil sie nicht wissen,
dass sie die gleiche Person sind. Auf solche Ideen will ich mal
kommen, wenn ich gross bin.


In diesem, hüstel, Winterkaleidoskop spielt eine Story von
Kapitalismuskritik und dem Blick auf unsere Welt, den man nur
erhält, wenn man eine Geschichte in einem Universum ansetzt,
dessen Paramter die exakt nicht zu grosse und nicht zu kleine
Entfernung nach rechts (oder links) verschoben sind, dass man
sich selbst gerade noch ins Buch begeben könnte ohne ratlos zu
sein. Jasper Fforde ist kongenial darin, genau diesen
Drahtseilakt zu schreiben, wir erkennen uns in allem wieder und
wundern uns, wie wir in dieser Gesellschaft leben würden, die so
viel mehr tut zum Überleben als die unsere, und, man kann
vermuten, zu spät, irgendwas hat zu diesen strengen Wintern
schliesslich geführt. Die Fülle an popkulturellen Referenzen
mögen nur britophile Leser wirklich zu schätzen wissen, oder halt
Briten, aber man ahnt immer (und Google ist dein Freund), das die
Welt für jemanden, der Ambrosia Creamed Rice seit seiner Kindheit
zum Frühstück isst, sich dem Eiszeitlichen Wales, seiner Folklore
und seinen existentiellen Problemen noch ein Stück näher fühlen
wird als wir deutschen Leser.


Aber das tut der Sache keinen Abbruch. Wer es sich gerade in
diesem, nach Waliser Verhältnissen milden Wintermonaten, gerne
bequem macht mit einem Buch der Originalitätsstufe “Exzellent”,
findet in Eiswelt oder noch besser im Original mit “Early Riser”
beste Unterhaltung und ich hoffe sehr, nur den Beginn einer
langen Folge von Sequels.


Ich vermute aber, dass sich Netflix schon lange und zu recht in
Verhandlungen befindet, die Nummer zu verfilmen. Man sieht die
verschobenen Gesichter von Haupt- und Nebenhelden vor sich, das
langsame Blinken derer, die nicht in Winterschlaf verfallen und
zwei Monate im Halbschlaf vor sich hindämmern, man hört den
Schneesturm beim Lesen vor dem Fenster, die Luftdruckwaffen mit
Namen von Bami (das kleine Handgerät) bis Schtomper, eher für
Kühe geeignet, vor sich, zusammen mit den mit kleinem Budget gut
umsetzbaren special effects, wenn der Luftdruck kurz den Schnee
zu Regen macht und die -40 Grad Celsius das Wasser augenblicklich
um den Geluftdingsbumsten erfrieren lässt, auf dass sein Kadaver
erst im Frühjahr wieder auftaue. Überhaupt ist das kein
Jugendroman, das Killratio ist ordentlich, aber irgendwie immer
comichaft, zumindestens für Zyniker wie Herrn Falschgold, allen
anderen wünsche ich besten Grusel, egal ob mit Schnee vor dem
Fenster oder am Strand bei 40 Grad - Early Riser, oder wie der
Heyne-Verlag es will “Eiswelt”, ist kein reiner Winterroman, aber
einer der besten seit langem.


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