Molekulargenetische Charakterisierung Kongenitaler Myasthener Syndrome

Molekulargenetische Charakterisierung Kongenitaler Myasthener Syndrome

Beschreibung

vor 21 Jahren
Die kongenitalen myasthenen Syndrome (CMS) bilden klinisch und
pathogenetisch eine heterogene Gruppe von relativ seltenen
hereditären Erkrankungen des Kindesalters. Sie werden durch
unterschiedliche genetische Defekte im Bereich der neuromuskulären
Endplatte verursacht und manifestieren sich mit variabler
Symptomatik, bei der eine ermüdbare Muskelschwäche das
herausragende Kennzeichen ist. Die exakte Klassifizierung eines CMS
ist dabei neben dem wissenschaftlichem Interesse auch von
klinischer Relevanz, da sich aus ihr für die betroffenen Patienten
und ihre Familien unterschiedliche Konsequenzen hinsichtlich
Prognose, Vererbbarkeit und pharmakologischer Therapie ergeben. In
der vorliegenden Arbeit konnten post- und präsynaptische CMS
verursachende genetische Defekte identifiziert werden. Dabei
betreffen die meisten der nachgewiesenen Mutationen, analog zu
anderen Untersuchungen, die epsilon-Untereinheit des nikotinergen
Acetylcholinrezeptors (AChRepsilon). Einige Ergebnisse sind hierbei
von besonderem wissenschaftlichem Interesse: Bei einer 1200bp
großen Mikrodeletion auf dem ACHRepsilon-Gen handelte sich um die
erste chromosomale Deletion, die bei CMS nachgewiesen werden
konnte. Eine zusätzliche Mutation in der Promotorregion des
ACHRepsilon-Gens (epsilon-154G/A) führt bei dem Patienten zur
Manifestation des Krankheitsbilds. Bei einer Mutation an der
Spleißakzeptorstelle von Intron 7 im ACHRepsilon-Gen
(epsilonIVS7-2A/G), die bei insgesamt fünf Patienten aus drei
unabhängigen Familien auftritt, konnte der fehlerhafte
Spleißvorgang durch Analyse des resultierenden Transkripts
aufgezeigt werden: Exon 7 wird, unter Verlust von Exon 8, direkt an
Exon 9 gespleißt, aufgrund einer Leserahmenverschiebung entsteht
ein vorzeitiges Stopcodon. Während die meisten Mutationen im
ACHRepsilon-Gen nur bei einigen wenigen Patienten nachgewiesen
werden, stellt die Mutation epsilon1267delG in der Volksgruppe der
Roma die häufigste Ursache für CMS dar. Die relativ große Anzahl
von Patienten mit dieser Mutation, die untersucht werden konnte,
ermöglichte eine detaillierte Genotyp-Phänotyp-Korrelation.
Zukünftig wird eine direkte Testung auf die Mutation
epsilon1267delG die Diagnosestellung bei Patienten dieser
Volksgruppe deutlich vereinfachen und beschleunigen. Darüber hinaus
sollte diskutiert werden, ob aufgrund der hohen Carrier-Frequenz
für diese Mutation ein Neugeborenen-Screening für die betroffenen
Bevölkerungsgruppen angeboten werden sollte. Bei frühzeitiger
Diagnosestellung können rechtzeitig Therapie- und
Präventionsmaßnahmen eingeleitet werden, und bei entsprechender
Medikation mit Acetylcholinesterase-Hemmern mögliche
Komplikationen, wie Apnoe und plötzlicher Kindstod vermieden
werden. Die Haplotypenanalyse von dieser Patienten mit der Mutation
epsilon1267delG eröffnet neue Erkenntnisse über Ursprung und
Verbreitung des mutierten Alleles in der Romabevölkerung. Es wurde
ein Kernhaplotyp identifiziert, der auch bei Patienten aus Indien
und Pakistan nachgewiesen werden konnte. Das gemeinsame Auftreten
eines solchen Founder-Allels untermauert die, hauptsächlich auf
sprachwissenschaftlichen Vergleichen beruhende These, daß die
Vorfahren der Roma vom indischen Subkontinent stammen. Weitaus
seltener als Mutationen im AChR treten Mutationen auf der
präsynaptischen Seite der neuromuskulären Endplatte bei CMS auf. Im
Gen für Cholin-Acetyltransferase (ChAT) konnte bei drei Patienten
aus zwei unabhängigen Familien eine neue Mutation (CHAT I336T)
homozygot nachgewiesen werden sind. Bei allen CHAT I336T Patienten
wird, zusätzlich zu der myasthenen Symptomatik von einem, für
Mutationen in diesem Gen typischen, gehäuften Auftreten von Apnoen,
berichtet. Insgesamt bietet die molekulargenetische Analyse von CMS
neben der Bedeutung, die sie für den einzelnen Patienten hat, die
Möglichkeit das Verständnis der pathophysiologischen Zusammenhänge
der neuromuskulären Übertragung zu erweitern.

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