„Brief aus Budapest #4“: Der Schatten von 1914 fällt auf Europa | Von Gábor Stier

„Brief aus Budapest #4“: Der Schatten von 1914 fällt auf Europa | Von Gábor Stier

12 Minuten

Beschreibung

vor 3 Tagen

Das Manko der Vernunft: Objektiv benötigen Russland und
Europa einander, doch strategische Interessen von außen haben den
eurasischen Raum gespalten. Der ungarische Publizist Gábor Stier
warnt: Die neue europäische Elite lässt sich zum Gefangenen des
Ukraine-Konflikts machen – und wiederholt damit auf gespenstische
Weise die fatalen Fehler von 1914.


Ein Standpunkt von Gábor Stier – aus dem
Ungarischen übersetzt von Éva Péli.


Die europäische Lage vor dem Ersten Weltkrieg wird oft mit der
paradoxen Formel beschrieben, dass niemand einen Krieg wollte, er
aber unvermeidlich war. In Wahrheit gab es keine so
unüberbrückbaren, unlösbaren Gegensätze zwischen den europäischen
Ländern, die eine Zerstörung des Kontinents gerechtfertigt
hätten. Erst jetzt beginnen wir zu verstehen, was damals auf dem
Spiel stand.


Heute herrscht ein scheinbar unüberbrückbarer Gegensatz zwischen
Russland und Europa. Dies geschieht, obwohl zwischen diesen
beiden Polen des eurasischen Raumes objektiv keine systemischen
wirtschaftlichen oder geopolitischen Konflikte bestehen. Im
Gegenteil: Logisch betrachtet sind sie aufeinander angewiesen.
Wenn sie zusammenarbeiten, stärkt das beide, während sie durch
eine Konfrontation geschwächt werden. Der Export stand nicht in
Konkurrenz zueinander, die Transportlogistik war überschaubar,
und entgegen der aktuellen Kommunikation des europäischen
Mainstreams war die Abhängigkeit offensichtlich gegenseitig.
Russland war ein wichtiger Markt für europäische Produkte und
Investoren, während Europa zum Abnehmer für russisches Öl und Gas
wurde.


Diese pragmatische Beziehung, die bereits zu Sowjetzeiten
funktionierte und während der deutschen Ostpolitik durch den Bau
von Pipelines aufblühte, wurde nach dem Ende des Kalten Krieges
durch einen Boom europäischer Investitionen ergänzt, während
Menschen aus Russland in europäischen Ferienorten Urlaub machten
und Geld ausgaben.


Geopolitische Strategie: Wie die USA Eurasien
spalten


Diese Kooperation war so vorteilhaft, dass die Vereinigten
Staaten jahrzehntelang daran arbeiteten, den eurasischen
geopolitischen Raum zu spalten, um die Verbindung von
europäischer Technologie und Investitionen mit russischen
Ressourcen und Energie zu verhindern.


Denn dies war das strategische Interesse der Vereinigten Staaten.
Wie Halford Mackinder (britischer Geograph, 1861-1947), der die
Erdkugel in ein hierarchisches System konzentrischer Kreise
unterteilte, formulierte: Wer Osteuropa beherrscht, beherrscht
das Herzland (Heartland) – das Gebiet von der Wolga bis zum
Jangtse und vom Himalaya bis zur Arktis; wer das Herzland
beherrscht, beherrscht die Weltinsel, und wer die Weltinsel
beherrscht, beherrscht die Welt.


Er war der Ansicht, dass die Hauptaufgabe der angelsächsischen
Geopolitik darin bestehen müsse, die Bildung einer strategischen
kontinentalen Allianz entlang der „geografischen Achse der
Geschichte“ zu verhindern. Die Strategie der Kräfte des „äußeren
oder insularen Halbmonds“ – USA, Großbritannien und Australien –
müsse daher darin bestehen, so viele Küstengebiete wie möglich
vom Herzland abzutrennen und sie unter den Einfluss der
„insularen Zivilisation“ zu bringen.


...https://apolut.net/brief-aus-budapest-4-der-schatten-von-1914-fallt-auf-europa-von-gabor-stier/


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