Dan Brown - The Secret of Secrets
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Beschreibung
vor 1 Monat
Die Nostalgie ist ein Laster, welchem man sich versagen sollte.
Denn für jedes Vergnügen, was uns im “Damals!!” genommen wurde,
sagen wir: Rauchen in Flugzeugen, gibt es im Heute Ersatz. Hier:
Internet in Flugzeugen! Ja, vorbei sind die Zeiten, in denen man
sich in der Flughafenbuchhandlung eine Packung steuerfreie Lucky
Strikes und einen dicken Dan Brown holte, um den
Transatlantik-Flug zu überstehen. Heute kauft man sich für das
gleiche Geld einen Internetpass und kocht sich über den Wolken
das Hirn weich mit acht Stunden TikTok-Videos-Swipen. Das ist,
zugegeben, deutlich gesundheitsschädigender als eine Schachtel
Luckies (für alle Beteiligten), aber irgendwas ist ja immer.
Dennoch kann ich nicht umhin, einen Verlust wirklich zu
betrauern: den Verlust eines intellektuellen Vergnügens, einer
albernen Freiheit, eines ungefährlichen Spaßes. Nein, Axel,
Polenböller ist falsch. Es geht um die gute alte
Verschwörungstheorie. Noch in den 2000ern habe ich Nächte damit
verbracht, mir auf YouTube wilde Vorträge zu 9/11 anzuschauen.
Tagelang hatten alte weiße Männer in Hobbykellern CNN-Footage
solange zusammengetoastet, bis die Videorealität mit ihrem
Weltbild in Kongruenz war und niemand hat sich einen Kopf
gemacht, ob man beim Abrufen der Kunstwerke von Youtube getrackt
wurde, denn, selbst wenn: Ja, Herr Falschgold kuckt alberne
Amateurvideos, big deal. Aber es war auch eine den Kopf
erwärmende Übung, sich in die zwei, drei Prozent der Leute
reinzuversetzen, die die Filmchen kuckten und sich die Zeit
nahmen, absatzweise Kommentare darunter zu schreiben. “Wieviel
seines Hirns muss man ausschalten, bis 2+2 tatsächlich 5 ist?”,
ist eine faszinierende Frage.
Zwanzig Jahre später sind all diese Videos aus dem
Normalo-Internet getilgt, zu groß ist der Hirnschwund in großen
Teilen der Bevölkerung, sie könnte verunsichert werden, glaubt
der Bürger doch heute wirklich jeden Scheiß und außerdem muss
Platz gemacht werden im Internet für die wirklich manipulativen
Kaliber, damit irgendwann auch der letzte Widerständige fünf
Lichter sieht, statt vier.
Stimmen uns Connaisseure der Kunstart “Verschwörungstheorie”
diese Um- und Zustände traurig, wütend oder, s.o., einfach nur
nostalgisch, so kann das für die professionellen Createure ruinös
werden. Brachte Dan Brown nach seinem ersten
Professor-Langdon-Buch “Illuminati” im Jahr 2000 die
Fortsetzungen noch alle drei bis fünf Jahre heraus, brauchte er
glatte acht für dessen jüngste Geschichte. Sie heißt “The Secrets
of Secrets” und ich habe den Roman tatsächlich gelesen.
Wollen wir doch mal spekulieren: Man kann vermuten, dass Dan
Brown 2017, nach Veröffentlichung von Teil Fünf der Serie
(”Origin”), kurz das Bankkonto gecheckt hat und sich an Teil
Sechs machte. Kurz vor Fertigstellung zwang ihn dann Corona ins
Homeoffice, wie den Rest der Weltbevölkerung. Für einen
Schriftsteller ist das kein Problem, aber seine Zielgruppe, die
Transatlantikfliegenden, brach komplett weg. Bummer. Wie er sich
nun überrascht und leicht gelangweilt durch Facebook klickerte,
wird ihm aufgefallen sein, dass die Menge und Verbreitung seines
Markenzeichens, seines f*****g Spezialgebietes, des Dinges, in
dem doch er die Koryphäe ist: die gemeine Verschwörungstheorie
nämlich, dass diese sich so explosionsartig vergrößerten, dass
vielleicht, so spekulieren wir, jemand zufällig auf genau die
spinnerte Idee gekommen war, die er gerade in Buchform den
Millionen schenken wollte. S**t. Was tun?
Wahrscheinlich (wie gesagt, wir spekulieren hier nur) hat er
nochmal von vorn angefangen und eine Story ersonnen, die in eine
Gedankenlandschaft passt, wie wir sie alle seit dem Jahr 2020
ertragen müssen, eine Landschaft, die man im allgemeinen mit “Es
ist eh alles egal” beschreibt. Weiß ist schwarz, gut ist böse,
und alles ist erlaubt. Und alles ist egal.
Alles? Nun, nicht alles, dachte sich Dan Brown und man muss ihm
zugestehen, der Gedanke ist clever: Egal ist, ob sich die Börse
von der Wirtschaft abkoppelt und deshalb alle ärmer werden; egal
ist, ob sich das Weltklima um 1,5 Grad erhöht, während die USA
Windparks verbieten; egal ist, ob Kinder an Masern sterben, weil
ein Mann mit Wurm im Kopf Gesundheitsminister der reichsten
Nation der Welt ist. Was nicht egal ist, selbst all den
Wahnsinnigen, die an den drei vorbenannten Egalismen schuld sind:
Ob man den s**t selbst noch erlebt. Einfacher: was niemandem egal
ist, ist, dass man früher oder später sterben wird. Und dort
setzt Dan Brown an und das ist brillant.
Das schöne für diese Rezension ist, dass das gerade kein
wirklicher Spoiler war, haut uns der Autor das doch so ziemlich
auf den ersten Seiten vor die Füße. Wir wissen nur noch nicht:
Warum? „Das entwickelt sich!“, wie Manfred Krug sagte, damals,
und zwar gewohnt rasant. Die Story ist, von ein paar Rückblenden
unterbrochen, eine, die sich über gerade mal einen Tag und einen
halben erstreckt. Sie liest sich, wie man das von moderner
Pageturnerware gewohnt ist, wie das Drehbuch für den zu
erwartenden Film, in dem der mittlerweile neunundsechzigjährige
Tom Hanks als Prof. Langdon definitiv ein Bodydouble brauchen
wird, denn nicht nur rennt der Hauptheld mal locker früh halb
sieben über die Karlsbrücke, nein, er rennt auch wieder zurück.
Kurz danach schwimmt er dann, leicht unfreiwillig, in der Moldau.
Im Februar. Zudem hat er sich verliebt, und zwar in seine
ehemalige Professorin, ¡Holla! Wir werden im Kino also extrem
weichgezeichnete GILFs sehen, bis uns der fade to black erlöst.
Das wird hart.
Ein Markenzeichen der Serie ist, dass Dan Brown seinen
Protagonisten jetsetten lässt, wie seine primäre Zielgruppe. Von
Rom, Paris, Florenz geht es diesmal nach, geographisch bewanderte
Leserinnen haben es längst punktgenau verortet, ins goldene Prag,
in die Stadt der hundert Türme. Wie Beate Baum letztens die
Dresdner Neustadt als hyperlokales Setting benutzte, um Morde in
deren Künstlerinnenmilieu aufzuklären, präsentiert Dan Brown uns
auf der ersten Seite des Buches eine Karte der Prager Innenstadt
und gibt den Fremdenführer. Im Schatten von Vyšehrad, Prager Burg
und Veitsdom passieren die üblichen internationalen Intrigen,
muss der Professor sich nur mithilfe seines genialen,
rätsellösenden Kopfes aus brenzlichen Situationen befreien;
Schießereien, Morde, Verfolgungsjagden halten uns am Ball, all
das geschrieben in den mittlerweile üblichen minusklen Kapiteln
von ein paar hundert Worten, über 137 sind es am Ende, auf dass
man sich zwischen diesen Lesesnacks den Gargrad des Kopfinhalts
mit zwei, drei Instareels auf “sehr soft” stellen kann. So soll
das sein in einem Pageturner, so verlangt es der Lektor. Dan
Browns real existierender bekommt übrigens in der Prof. Langdon
Serie nicht zum ersten mal eine prominente Nebenrolle (was ich
wirklich nice finde).
Worauf der ganze Quatsch hinausläuft, ist lange unklar und nicht
des Spoilerns Wert, denn die Story hat mit der
Verschwörungstheorie nicht wirklich viel zu tun, letztere ist
eher Mittel zum Zweck, der Hammer, der das Ding irgendwie passend
machen soll. Was nicht heißt, dass Dan Brown nicht eine wirklich
überraschende Wendung hat zum Schluss, da ist er schon Profi.
Oder eben nicht zum Schluss. Irgendwie war der Lektor schon ein
bisschen happy über seine Prominenz im Buch, so dass er sich
selbst nicht aus den letzten fünfzig Seiten Abspann streichen
wollte, die wir, nachdem schon alles klar war, überstehen müssen.
Aber vielleicht hat Danny auch darauf bestanden, dass das alles
drin bleibt, weil er da nochmal richtig seine Theorien ausbreiten
kann. Denn Dan Brown ist, so weit ich das sehe, der einzige
Erfolgsautor im Genre, der zu seinen absurden “Entdeckungen”
steht und sich nicht dagegen wehrt, wenn Künstler und Werk in
einen Topf geworfen werden. Das alles läuft natürlich unter
“Anregung, den Status Quo zu überdenken” und ähnlichem Schwurbel
(als würden Wissenschaftler das nicht den ganzen f*****g Tag lang
machen), und das ist auch OK und war immer harmlos genug, bis es
das nicht mehr war, siehe oben. Der zu hinterfragende Status Quo,
den er sich in “The Secret of Secrets” herausgesucht hat, ist
dankbarerweise ein recht harmloses Stück Pseudoscience.
Zusammengefasst lautet seine These: “Die Realität ist nicht wie
sie uns erscheint”. No s**t, sherlock. Gefühlt 1/3 aller
TED-Talks in den 2010ern drehte sich genau darum. Dan Brown
zitiert die üblichen Experimente, nach denen wir z.B. deutlich
schneller auf externe Stimuli reagieren, als unser Hirn das
eigentlich leisten kann. Er berichtet von den alten Programmen
der CIA, in denen man “psychics” für das “remote viewing” züchten
wollte, also, ein Medium in Langley verbindet sich mit einem
Medium im Kreml und schon weiß LBJ, was Chruschtschow zum
Frühstück hat. Er schreckt noch nicht mal vor dem in den 80ern
allgegenwärtigen ESP zurück, über das sich schon die brillante TV
Serie “The Americans” lustig gemacht hatte. Die Konsequenz aus
all dem ist, irgendwie, lest den Humbug bitte selbst, dass wir
alle unsterblich sind. Na also!
All das wird ausgebreitet hinter einem Vorwort, welches
behauptet, das alle im Buch erwähnten Experimente real wären. Nur
dass halt die wenigsten davon reproduzierbar sind. Das spielt
aber keine Rolle, so Dan Brown, denn die übergreifende Theorie im
Buch erkläre ganz wundersam, dass all die Experimente gar nicht
nachvollziehbar sein können!
In der Wissenschaft nennt man das einen Zirkelschluss. Ich nenne
es einen unterhaltsamen, mittelspannenden Pageturner zum
Kopfausschalten in schweren, dunklen Zeiten.
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