Markt gegen Mensch | Von Rüdiger Rauls

Markt gegen Mensch | Von Rüdiger Rauls

12 Minuten

Beschreibung

vor 2 Monaten

Frankreich hat einen neuen Premierminister, den fünften
seit 2022. Das beruhigt vielleicht die Märkte, aber nicht die
Menschen im Land. Die sozialen Einschnitte sind nicht vom Tisch.
Aber es geht nicht um die Frage, wer das Land regiert, sondern
was die Märkte daraus machen. 


Ein Standpunkt von Rüdiger Rauls.


Krankenblätter


Frankreich ist nach Deutschland die zweitwichtigste Stütze der
europäischen Wirtschaft. Wenn die französische Wirtschaft hustet,
droht der EU die Schwindsucht, und um Frankreichs
Gesundheitszustand steht es nicht zum besten. Der abgetretene
Premierminister Bayrou legte in seiner Rede zum Misstrauensvotum
die Karten auf den Tisch: „Der Außenhandel sei chronisch
defizitär, die Landwirtschaft nicht länger wettbewerbsfähig.“
(1). Außerdem produziere die französische Wirtschaft im
Verhältnis zu Deutschland zu wenig. Frankreich lebe seit 1974
über seine Verhältnisse und deshalb sei sein Sozialsystem nicht
mehr zu finanzieren.


War von solchen Leute etwas anderes zu erwarten? Von den
Rüstungsausgaben und der Finanzierung der Ukraine, die
zusätzliche Milliarden verschlingen und regelmäßig ohne große
öffentliche Diskussionen erhöht werden, spricht Bayrou nicht,
auch nicht Macron. Verwundert aber reibt man sich die Augen, dass
die Bevölkerung diese Politik zu ihren Lasten nicht mittragen
will. Zwar stehen die Themen Rüstungsausgaben und Finanzierung
der Ukraine bei den derzeitigen Protesten nicht im Vordergrund,
aber die Franzosen wehren sich aktiv gegen die Verschlechterung
ihrer Lebenslage. Das macht mehr Druck bei der Kriegsfinanzierung
als die Appelle deutscher Friedenstauben zur Beendigung des
Krieges. Diese und sogenannte Linke sind nicht in der Lage,
diesen sozialpolitischen Ansatz in Deutschland aufzugreifen.


Aber offensichtlich sind die europäischen Führungskräfte so sehr
verfangen in ihrem Weltbild, das in erster Linie aus einer
Bedrohung durch Russland zu bestehen scheint, dass sie die
innenpolitischen Gefahren nicht so recht glauben, ernst nehmen zu
müssen. Der Krieg und Russland sind weit weg, die Unruhe unter
den Menschen aber bekommen die Regierenden immer öfter vor der
eigenen Haustür zu spüren. Sie beeinträchtigt die Stabilität in
fast allen Staaten der Europäischen Union, was am Zuwachs
sogenannter rechtspopulistischer Bewegungen deutlich wird. In
Frankreich tritt diese Instabilität am deutlichsten zu Tage.
Insofern ist das Land das Fieberthermometer für Europas
politischen Gesundheitszustand, und der Befund lautet:
„Frankreich steckt tief in einer Krise der repräsentativen
Demokratie“ (2).

Damit steht das Land aber nicht alleine. Die politische Mitte
schrumpft, und bei Wahlen wachsen die Kräfte an den Rädern des
Parteienspektrums. Schon einmal war es Macron gelungen, mit
seiner Bewegung „La Republique en Marche“ vor seiner ersten
Präsidentschaft die Kräfte der Mitte aus dem Koma zu holen. Es
sieht nicht danach aus, dass ihm das noch einmal gelingt. Seine
Visionen von damals, mit denen er den Leuten Sand in die Augen
gestreut hatte, haben sich verbraucht. So stellte denn der neue
Premierminister Lecornu bei seiner Ernennung fest, „dass die
Kluft zwischen der Politik und den Erwartungen der Bürger ein
besorgniserregendes Ausmaß angenommen habe“ (3).


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