135 — Friedrich Hayek und die Beschränktheit der menschlichen Vernunft. Ein Gespräch mit Nickolas Emrich

135 — Friedrich Hayek und die Beschränktheit der menschlichen Vernunft. Ein Gespräch mit Nickolas Emrich

1 Stunde 20 Minuten

Beschreibung

vor 2 Monaten

Der Titel der heutigen Episode ist: Friedrich Hayek und die
Beschränktheit der menschlichen Vernunft.  Ich bin erst vor
relativ kurzer Zeit in einem konkreteren Sinne auf Hayek
aufmerksam geworden. Was mich sofort fasziniert hat – auch bei
seinen frühen Schriften – ist sein ungeheures analytisches
Talent, die interdisziplinäre Vorgehensweise und die Fähigkeit
des systemischen Denkens. Sehr früh beschreibt und analysiert er
komplexe Sachverhalte in einer Weise, wie sie heute, 50–100 Jahre
später, immer noch hochgradig zeitgemäß und relevant ist.
Insofern hat mich also zunächst der systemische, dann der
politische und zuletzt der ökonomische Denker inspiriert.  


In dieser Episode wird es daher um wesentliche Aspekte Hayeks
Denken gehen. Aspekte, die für die heutige Zeit von enormer
Bedeutung sind: Wo steckt Wissen in einer Gesellschaft? Wie
können wir mit komplexen Entscheidungen, die in differenzierten
Gesellschaften (oder Organisationen) notwendig sind, umgehen,
wenn zentrale Planung scheitert? Was bedeuten Freiheit und
Sozialstaat in einer Zeit, in der beides in westlichen Nationen
vor dem Scheitern steht?  


Es freut mich ganz besonders, dass ich für diese Episode Nickolas
Emrich begrüßen darf.   Nickolas Emrich ist
stellvertretender Vorsitzender der deutschen Hayek-Gesellschaft
mit einem vielseitigen Lebensweg. Er ist Jurist, Bestsellerautor,
Ex-Polizist und Unternehmer. Bei Radio Teddy moderierte er eine
Sendung über Computerspiele für Kinder. Außerdem hat er bereits
acht Bücher veröffentlicht. Sein aktuelles Werk „Gier nach
Privilegien“ hat es sogar auf die Spiegel-Bestsellerliste
geschafft.  


Wir beginnen das Gespräch mit der Frage: Was ist die
Hayek-Gesellschaft?  


»Für Freiheit und Eigenverantwortung, vor allem auch für
wirtschaftliche Eigenverantwortung, treten wir ein.«  


Wie kann es sein, dass so vieles, was Hayek vor ca. 70 Jahren
geschrieben hat, sich heute noch so zeitgemäß liest?  


»Der Zustand der Welt ist fast nicht erklärbar, wo doch dieses
Wissen vorliegt.«  


»Das Faszinierende an ihm ist das Übergreifende.«  


Was hat es mit der Freiheit auf sich? Welche Rolle spielt sie für
Hayek, und wie verändert sich unser Verständnis davon über die
Zeit? Was ist die österreichische Schule der Ökonomie? Welchen
Einfluss hatte Ludwig von Mises?  


Hayek, aber auch andere wesentliche Gelehrte der Zeit, z. B. Karl
Popper, hatten eine große Breite im Denken, was bei vielen
Intellektuellen der heutigen Zeit leider verloren gegangen ist.
Ist Hayek folglich vielleicht sogar in seiner Rolle als
Systemdenker wesentlicher als in seiner Rolle als Ökonom? Das
Übertragen von Erkenntnissen und Einsichten aus einer Disziplin
in eine andere erweist sich in vielen Fällen als sehr fruchtbar.
 


Seine Skepsis gegenüber großen Utopien eint ihn mit Zeitgenossen
wie Karl Popper.   Wo sieht er das Wissen und die Rolle des
Einzelnen, des Individuums, beziehungsweise der Summe der
Individuen im Vergleich zu Experten?  


»Unlike the position that exists in the physical sciences, in
economics and other disciplines that deal with essentially
complex phenomena, the aspects of the events to be accounted for
about which we can get quantitative data are necessarily limited
and may not include the important ones«, Zitat aus der
Nobelpreis-Rede von Hayek.  


Wir diskutieren dann die Frage, wie es mit gelenkten Prozessen im
Gegensatz zu verteilt-entschiedenen Prozessen aussieht.  


»Aus einem gelenkten Prozess kann nichts Größeres entstehen, als
der lenkende Geist voraussehen kann.«  


Das regelnde System ist ein Modell des Systems, das es zu regeln
versucht – dies haben auch die Kybernetiker der 1960er Jahre
erkannt.  


Wo steckt eigentlich das Wissen der Welt? In der Wissenschaft?
Oder ist dies vielleicht nur ein kleiner Teil des Wissens, das
für unsere Welt von so entscheidender Bedeutung ist?  


»Es ist viel einfacher, Macht als Wissen zu aggregieren«, Thomas
Sowell.  


Was versteht dann Hayek unter dem Markt? Wie passt das in diese
systemische Betrachtung der Welt? Sind Märkte gar etwas
»Natürliches«?  


Aber überschätzen wir möglicherweise die Rolle von Regierungen
ohnehin? Jedenfalls in einem positiven Sinne?


»The role played by governments is greatly exaggerated in
historical accounts because we necessarily know so much more
about what organized government did than about what the
spontaneous coordination of individual efforts accomplished.«
 


Was ist nun die Rolle von Märkten und vor allem auch von Preisen?
Preise sind, und das wird sehr häufig in der öffentlichen
Diskussion übersehen, ein Kommunikationsmittel, das wesentliche
Informationen vermittelt. Was bedeutet dies konkret?  


Können Märkte eine emanzipierende Funktion haben? Sind sie
demokratisch? Ist die Demokratie hingegen die »Belohnung
unlauterer Sonderinteressen«?  


Was sollen wir aber in realpolitischen Situationen machen, wo
sich bestimmte (staatliche) Akteure nicht korrekt verhalten und
Wirtschaft als Machtmittel einsetzen?  


»Wir sind noch an einem Punkt, wo der Wohlstand ausreicht, um
diese Wucherungen (der überbordenden Regulierungen) zu ertragen,
aber wo die Last zunehmend schwerer wird.«  


Jede planerische Top-down-Intervention hat Seiteneffekte,
Seiteneffekte, die oftmals das Gegenteil des Erwünschten
erreichen. Der Planer begibt sich auch immer in die Rolle einer
Person, die behauptet, besser zu wissen als alle anderen, wie
diese zu leben haben. Aber es gibt auch die andere Seite:  


»Dieser Wunsch nach Autorität ist leider vorhanden.«  


Haben wir die Perspektive verloren? So liest man heute von
»Soziologen« etwa solche Aussagen:  


»Wir sprechen von Familienunternehmern – woanders nennt man sie
Oligarchen«, Martyna Linartas.  


Wer hat aber in den vergangenen Jahrzehnten den Wohlstand in
Deutschland geschaffen?   »Man lernt ja früh, wie ein
geplantes System funktioniert – nämlich die Schule.« Was wir
weniger lernen, ist, was es bedeutet, in komplexen Systemen, also
etwa in der Wirtschaft, zu agieren.  


Und damit sind wir wieder bei einer fundamentalen systemischen
Frage: Wie verteilen wir Risiko in einer Gesellschaft? Was ist
dabei die Rolle des Sozialstaates? Was passiert, wenn die
Mehrheit der Menschen in einer Gesellschaft immer weniger Risiko
selbst trägt, sondern dieses de facto delegiert? Entsteht damit
in Wahrheit nicht nur eine Scheinsicherheit und ein systemisch
viel größeres Risiko?  


Was hat es mit dem Survivorship Bias zu tun? Warum sollte man
sich darüber bewusst sein, bevor man Unternehmer wie Bezos oder
Musk beurteilt?  


»Man guckt viel zu wenig auf Ergebnisse – darum ist man jetzt
auch so schockiert, was in Argentinien passiert. Man versucht,
sich auf Ideen zu versteifen und in der Theorie Schlachten zu
schlagen, aber das Entscheidende ist ja, ob Dinge funktionieren.«
 


Verändert sich die Perspektive, wenn man längere Zeiträume des
Erfolgs von Unternehmen betrachtet? Wer heute top ist, ist morgen
wahrscheinlich nicht mehr relevant – jedenfalls in einer
funktionierenden Marktwirtschaft. Kann man Märkte mit
Naturgesetzen vergleichen, oder ist das zu weit hergeholt? Als
Beispiel nenne ich die führende Reporterkamera Graflex (deren
Name mir im Gespräch nicht eingefallen ist).  


Das Sterben von Unternehmen ist Teil einer gesunden Wirtschaft.
Aber wie ist es zu interpretieren, wenn der Staat mit dem Geld
aller Bürger Unternehmen vor dem Konkurs rettet – oft aus
vermeintlich guten Gründen?  


Was ist der Zusammenhang zwischen dem Wikipedia-Projekt und
Hayek?  


Zum Abschluss: Was sollte nun der Staat eigentlich leisten, und
wie können wir dort wieder hinkommen? Um das Zitat von Nils Hesse
aus der früheren Episode aufzugreifen: Brauchen wir einen
ordoliberalen Unkrautstecher oder eher die Mileische Kettensäge?
 


Welche Freiheitsbegriffe spielen dabei eine Rolle?  


»Das Recht des einen ist immer die Pflicht des Anderen.«  


Grundrechte galten in der Vergangenheit in der Regel als
Abwehrrechte gegen den Staat; Verfassungen dienen dazu, die
Rechte des Staates zu begrenzen – wo stehen wir hier in der
heutigen Interpretation? Ist der Sozialstaat eher ein
Asozialstaat?  


Hayek hat unzählige Bücher und Artikel verfasst, aber eine
Kernaussage könnte man herauskristallisieren: Das Wissen um die
Beschränktheit der menschlichen Vernunft. Jedes gesellschaftliche
System muss eine Antwort auf diese Herausforderung haben.  


»Die verhängnisvolle Anmaßung ist eben die Anmaßung, mehr zu
wissen als die Summe aller anderen.«  


Müssen wir in vielen europäischen Staaten erst so absteigen und
über Jahrzehnte leiden wie die Argentinier, bis wirkungsvolle
Reformen denkbar werden, oder schaffen wir es vorher umzusteuern?


»Solange das Problem nicht verstanden wird, wird es weiter bergab
gehen.«  


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Die Wissensgesellschaft in der Krise


Referenzen


Andere Episoden


Episode 131: Wot Se Fack, Deutschland? Ein Gespräch mit Vince
Ebert

Episode 130: Populismus und (Ordo)liberalismus, ein Gespräch
mit Nils Hesse

Episode 129: Rules, A Conversation with Prof. Lorraine Daston

Episode 128: Aufbruch in die Moderne — Der Mann, der die Welt
erfindet!

Episode 125: Ist Fortschritt möglich? Ideen als Widergänger
über Generationen

Episode 117: Der humpelnde Staat, ein Gespräch mit Prof.
Christoph Kletzer

Episode 114: Liberty in Our Lifetime 2: Conversations with
Lauren Razavi, Grant Romundt and Peter Young

Episode 113: Liberty in Our Lifetime 1: Conversations with
Massimo Mazzone, Vera Kichanova and Tatiana Butanka

Episode 109: Was ist Komplexität? Ein Gespräch mit Dr. Marco
Wehr

Episode 108: Freie Privatstädte Teil 2, ein Gespräch mit
Titus Gebel

Episode 107: How to Organise Complex Societies? A
Conversation with Johan Norberg

Episode 89: The Myth of Left and Right, a Conversation with
Prof. Hyrum Lewis

Episode 80: Wissen, Expertise und Prognose, eine Reflexion



Nickolas Emrich


Nickolas Emrich in der Hayek Gesellschaft

LinkedIn

Nickolas Emrich, Gier nach Privilegien, Finanzbuch Verlag
(2024)



Fachliche Referenzen


Drei ausgewählte Bücher von Friedrich Hayek:

Friedrich Hayek, Nobelpreisrede, The Pretence of
Knowledge (1974)

Friedrich Hayek, Der Weg zur Knechtschaft (1944)

Friedrich Hayek, The Fatal Conceit: The Errors of
Socialsm (1988)



Friedrich Hayek, The Use of Knowledge in Society, The
American Economic Review, Vol. 35, No. 4. (Sep., 1945)

Martyna Linartas, »Wir sprechen von Familienunternehmern –
woanders nennt man sie Oligarchen«, Tagesspiegel (2025)

Graflex Camera

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