Kalter Krieg in den USA

Kalter Krieg in den USA

10 Minuten
Podcast
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Analysis on politics, society and our changing world. In German and English.

Beschreibung

vor 2 Monaten

Liebe Leserinnen und Leser,


eigentlich müsste ich den Titel dieses Newsletters gleich wieder
revidieren. Der echte Kalte Krieg, also der zwischen den USA und
der Sowjetunion, führte am Ende nicht zu einem Krieg. Das, was
ich als kalten Krieg bezeichne, also das, was wir gerade in
unseren Gesellschaften in den USA und in Europa erleben, könnte
allerdings zu einem Krieg mit Waffen führen.


Lassen Sie mich gleich zum Punkt kommen.


Am Mittwoch ist in den USA ein rechts-konservativer Aktivist auf
offener Bühne erschossen worden. Charlie Kirk war bekannt für
seine provokanten Thesen, er war allerdings auch bekannt dafür,
dass er das Gespräch, die Diskussion und die Auseinandersetzung
mit Menschen gesucht hat. Ob er wirklich ein „Held der
Meinungsfreiheit“ war, darüber kann jeder für sich zu einem
Urteil kommen.


Ich will in diesem Newsletter einen Schritt weitergehen und
weniger die emotionale Schiene bedienen, sondern versuchen zu
analysieren, was nun in den USA passieren kann.


Dieser Artikel enthält deswegen die Bezeichnung „Kalter Krieg“,
weil wir uns bereits am Ende (und nicht am Anfang) einer verbalen
und auch physischen Aufrüstung verschiedenster Lager befinden.
Man könnte es auch so formulieren: Der kalte Krieg in den USA
liegt eigentlich schon hinter uns. Was wir jetzt sehen ist
bereits der Griff zur Waffe. Wir sehen, wie aus Worten Taten
folgen. Wir sehen, wie die enthemmte Wut und der Hass aus dem
Internet in unser physisches Leben schwappt. In Deutschland und
in Europa drohen ähnliche Entwicklungen.


Ich will Ihnen deswegen einige der Reaktionen zeigen, die ich in
den sozialen Medien gesehen habe, um zu verdeutlichen, dass die
Radikalisierung von allen Seiten rapide voranschreitet.
Rechtsradikale und Linksradikale werden weiter aufrüsten. Ein
Bürgerkrieg ist deswegen nicht mehr ausgeschlossen, weil das Land
sich in Richtung eines „fragile states“ entwickelt. Was genau das
bedeutet und warum das nicht nur meine subjektive Meinung ist,
das will ich später im Text erklären.


Musk: „kämpfen oder sterben“


Ein X-Account hatte einige der ersten Reaktionen aus der eher
rechten (bis rechtsradikalen) Bubble nach dem Anschlag auf
Charlie Kirk gesammelt.


Die meisten dieser Accounts haben eine große Reichweite. Allein
die Personen, die ich hier unten zitiere, haben zusammen knapp
235 Millionen Follower. Einige der Aussagen waren:


* Libs of TikTok: „DAS IST KRIEG“


* Elon Musk: „Wenn sie uns nicht in Frieden lassen, dann
ist unsere Wahl kämpfen oder sterben“


* Gunther Eagleman: „Sie haben den Krieg
erklärt.“


* Joey Mannarino: „Die Demokratische Partei muss als
inländische Terrororganisation eingestuft und deren Mitglieder
entsprechend behandelt werden.“


* Brian Eastwood: „Ich bin bereit für den
Bürgerkrieg.“


Die allermeisten dieser Accounts rufen ganz offen zum Bürgerkrieg
auf. Dabei wissen sie zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht, wer
das Attentat ausgeübt hat.


Von der „anderen“ Seite, der eher linken Bubble, hört man
ebenfalls besorgniserregende Töne. Hier wird der Tod von Charlie
Kirk teilweise gefeiert. Kirk, ein ausgesprochener Befürworter
des Second Amendment (Recht auf Besitz und Tragen von Waffen),
wird mit seinen eigenen Zitaten konfrontiert. Es ist Häme und
Zynismus zu beobachten.


Eher in der Minderheit sind wiederum die, die versuchen zu
de-eskalieren. So schrieb z.B. der ehemalige US-Präsident Joe
Biden: „Für diese Art von Gewalt ist in unserem Land kein
Platz. Sie muss jetzt ein Ende haben. Jill und ich beten für
Charlie Kirks Familie und seine Angehörigen.“


Der Atlantic analysiert die aktuelle Situation u.a. so:


Einige rechte Aktivisten fordern die Trump-Regierung auf, gegen
linke Organisationen vorzugehen – mit anderen Worten, Kirks Tod
als Vorwand für politische Repressionen zu nutzen, was genau das
ist, was eine autoritäre Regierung tun würde.


Niemand sollte angesichts des Mordes an Charlie Kirk etwas
anderes empfinden als Entsetzen und Schrecken. Und niemand sollte
den Mord an einem Mann, der für sein Eintreten für die
Meinungsfreiheit bekannt war, dazu nutzen, andere oder sich
selbst davon abzuhalten, die Wahrheit über die gefährliche Lage,
in der wir uns befinden, auszusprechen.


Was sind „Group Grievances“?


Ich beschreibe diese Dynamik nicht aus sensationalistischer
Sicht. Ich beschreibe die Lage, weil ich tatsächlich Parallelen
sehen kann zwischen den USA und der Dynamik in Ländern, die einen
Bürgerkrieg erlebt haben.


Ich will das aber ganz präzise erklären und natürlich auch
verdeutlichen, dass es große Unterschiede gibt zwischen den USA
und Ländern, die sich tatsächlich in einem Bürgerkrieg befinden
oder einen hinter sich haben (wie z.B. Syrien). Die Parallelen,
die es gibt, sind allerdings interessant.


Der entscheidende Begriff in diesem Kontext sind die
sogenannten „Group Grievances“, die das deutsche Wörterbuch als
„Gruppenbeschwerden“ übersetzt. Das ist allerdings keine gute
Übersetzung.


Sucht man bei Google nach dem Begriff, dann landet man schnell
beim sogenannten Fragile States Index, den ich in diesem
Newsletter in der Vergangenheit schonmal thematisiert habe. Der
Index listet (fast) alle Länder dieser Welt nach „Fragilität“ -
also letztlich Stabilität - auf. Im Jahr 2024 war z.B. Somalia
auf Platz 1 (am fragilsten) und Norwegen auf Platz 179 (am
wenigsten fragil).


Für dieses Ranking gibt es wiederum ganz verschiedene Kriterien.
Eines davon sind die Group Grievances, die so erklärt werden:


Der Indikator konzentriert sich auf Spaltungen und Brüche
zwischen verschiedenen Gruppen in der Gesellschaft – insbesondere
Spaltungen aufgrund sozialer oder politischer Merkmale – und
deren Rolle beim Zugang zu Dienstleistungen oder Ressourcen sowie
bei der Einbeziehung in den politischen Prozess.


Gruppenkonflikte können auch eine historische Komponente haben,
wenn benachteiligte Gemeinschaften auf Ungerechtigkeiten der
Vergangenheit verweisen, die manchmal Jahrhunderte zurückliegen
und die Rolle dieser Gruppe in der Gesellschaft sowie ihre
Beziehungen zu anderen Gruppen beeinflussen und prägen. Diese
Geschichte kann wiederum durch Muster tatsächlicher oder
wahrgenommener Gräueltaten oder Verbrechen geprägt sein, die
offenbar straffrei gegen Gemeinschaftsgruppen begangen wurden.


Gruppen können sich auch benachteiligt fühlen, weil ihnen die
Autonomie, Selbstbestimmung oder politische Unabhängigkeit
verweigert wird, auf die sie ihrer Meinung nach Anspruch haben.


Liest man diese Bezeichnung, dann könnte man vieles davon
tatsächlich auf die USA anwenden. Hinzu kommt, dass die USA ein
enorm großes Problem mit Waffengewalt haben.


Wie ich hier schonmal geschrieben habe - und ich zitiere aus
einem Artikel vom 27. Mai 2025:


Vor 18 Jahren, also im Jahr 2007 (kurz vor der Finanzkrise),
lagen die USA auf Platz 159 auf dem Index und waren umgeben von
Ländern wie Italien oder Frankreich. Die USA galten - zu diesem
Zeitpunkt - als weniger fragil als Deutschland, das wiederum
höher auf der Liste (also fragiler) angesiedelt war (auf Platz
153).


Im Jahr 2024 lagen die USA wiederum auf Platz 141. Ein
Unterschied von genau 18 Plätzen. Im Schnitt büßten die USA somit
seit 2007 jedes Jahr einen Platz ein und bewegten sich in
Richtung zunehmender Fragilität. Im Jahr 2024 galten Argentinien,
Chile und Qatar als weniger fragil, als die Vereinigten Staaten
von Amerika.


(…)


Ein Indiz [warum das so ist] findet sich im Fragile States Index
von 2023. Hier wird erklärt, dass sich die Cohesion Indicators
(Indikatoren für gesellschaftlichen Zusammenhalt) in den meisten
demokratischen Ländern zwischen 2007 und 2020 stark
verschlechtert haben.


Innerhalb dieser Gruppe demokratischer Nationen haben die USA mit
Abstand die schlechtesten Werte. Das Interessante an der Sache:
Die Zahlen lassen sich nur zum Teil auf politische Faktoren
zurückführen. Was die USA zunehmend zu einem fragilen Staat
werden lässt sind Massenschießereien und Amokläufe (z.B. in
Schulen).


Wir haben in den USA also eine Mischung aus zwei ganz konkreten
Dingen: Den Group Grievances und den Schießereien. Uns bestätigen
Forschung und Experten (die sich eigentlich eher mit Ländern wie
dem Sudan oder Syrien beschäftigen), dass sich die USA in eine
gefährliche Richtung bewegen und sich das sogar anhand von Zahlen
und Daten belegen lässt.


Das muss keineswegs bedeuten, dass in den USA ein Bürgerkrieg
bevorsteht und man sollte diesen auch nicht herbeireden,
allerdings sollte man die Realität auch nicht ignorieren.


Das Pendel der Gewalt


Group Grievances können dann noch weiter verstärkt werden, wenn
die Gruppe, die gerade an der Macht ist, z.B. mit einer gewissen
Brutalität gegen ehemalige und aktuelle Widersacher vorgeht.


Auch hier gibt es Parallelen zu Ländern wie Syrien. So hat sich
z.B. Donald Trump dazu entschieden, gegen seine Kritiker
vorzugehen. Man könnte das teilweise sogar als Rachefeldzug
bezeichnen. Trump nutzt die Macht seines Amtes, um sich zu
rächen.


Das kann wiederum dazu führen, dass die Demokraten - sollten sie
irgendwann wieder an der Macht sein - ähnlich vorgehen werden.


Mit anderen Worten: Hier entsteht ein teuflischer Kreis und ein
Pendel, das wie wild immer von der einen Seite zur anderen
schwingt, je nachdem, wer gerade an der Macht ist. Bestraft wird
immer die Seite, die unterlegen ist. Die wiederum wehrt sich -
z.B. mit Gewalt.


Ein Ende dieser Spirale kann nur dann gelingen, wenn eine Seite
(am besten die Seite, die gerade an der Macht ist) sich
versöhnlich zeigt. In den USA ist allerdings gerade genau das
Gegenteil der Fall.


Philipp Sandmann


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