Kazuo Ishiguro: Klara und die Sonne

Kazuo Ishiguro: Klara und die Sonne

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vor 3 Monaten

Kürzlich stolperte ich über diese Liste mit "Fünf Must-Read
Büchern" und diesmal ging es um "Science Fiction, empfohlen von
Wissenschaftlern". Nerd, der ich bin, hatte ich vier davon schon
gelesen und irgendetwas bewog mich dazu, mich der Lobpreisungen
der Anne Findeisen zu erinnern und, obwohl bisher enttäuscht,
sagte ich mir, gehen wir also nochmal in einen Kazuo Ishiguro
rein, ich meine, der Mann ist Literaturnobelpreisträger. Der Name
des empfohlenen Werkes: "Klara und die Sonne".


Wie es sich (für mich) gehört, ohne das Lesen von Klappentexten,
Einführungen oder gar Rezensionen, wusste ich nicht im Ansatz,
worum es geht, doch mit ein bisschen Detektei war bald klar,
"KF"s, wie die zunächst hauptsächlich handelnden Personen genannt
werden, sind keine solche - es sind Künstliche Freunde, in einem
Spezialgeschäft zum Kauf angebotene Androiden, gedacht als
Begleiter für die Kinder reicher, wohlangesehener, berufstätiger
Menschen.


Wir verstehen, das Konzept der KFs muss eingeführt werden, wir
lernen zwei Exemplare kennen, die eine etwas dumm und
desinteressiert, die andere, Klara die künftige Hauptheldin,
hyperaufmerksam und ungewöhnlich intelligent, wir sehen die Welt
durch ihre Augen, ein enger Straßenausschnitt, ein Hochhaus, eine
Baumaschine; aber die vierte Beschreibung des beschränkten
Ausschnittes einer Straßenszenerie aus der Sicht der künstlich
freundlichen Schaufensterpuppen ist nicht interessanter als die
dritte. Wann geht's nun endlich los?


Schlussendlich, ein paar dutzend Seiten im Buch, wird KF Klara
gekauft, von der Mutter von Josie und es kommt leicht Fahrt in
die Geschichte und damit wir hier nicht ins Spoilertrauma
geraten, lassen wir diese im Buch geschehen und nicht in der
Rezension und kommen zur viel, viel interessanteren Frage:


Ist Herr Falschgold ein Zoni aus dem literarischen Hinterland?


Man muss nicht jeden Literaturnobelpreisträger kennen und schon
gar nicht jedes Preisträger Biografie studieren, aber man kann
schon wissen, dass nicht jeder Schriftsteller mit einem
japanischen Namen aus Japan kommt, point in case, Kazuo Ishiguro.
Der wuchs in England auf und schreibt schon immer auf Englisch,
was die Frage des Herrn FG nach der Ursache der seltsam
schlechten Übersetzung des Romans aus dem Japanischen zunächst in
eine herrlich peinliche Richtung führte. Das diskutierte er
gottlob mit sich selbst und seinen verschiedenen Suchmaschinen-
und AI-Chatbot-Abonnements, die ihm, wie sich das für derlei
Geräte in 2025, wie für die KFs im Buch, gehört, zunächst in
allen seinen Meinungen und Vorurteilen bestätigten: Ja, sagte
Claude, im Japanischen gibt man Kleidungsstücken gerne einmal
Eigenschaften wie "hochgestellt", was ja eher den Träger
charakterisiert und das ist zweifellos schwer übersetzbar, ergo,
so die KI, ein "hochgestellter Anzug" sollte nicht so genannt
werden! Dass es im Deutschen die durchaus gebräuchliche
Bezeichnung "vornehm", zum Beispiel bei einem Kostüm gibt, kam
weder der LLM noch dem Rezensenten in den Sinn, das hätte ja die
Grundannahme in Frage gestellt.


Was nichts an der Tatsache ändert, dass ich mit der deutschen
Übersetzung, vermeintlich aus dem Japanischen, überhaupt nicht zu
Rande gekommen bin. Ja, ich schob es auf die Inkompatibilität des
Japanischen zu westlichen Sprachen und hatte mich aufgrund dieser
Annahme bewusst entschlossen, die deutsche Übersetzung zu lesen -
warum soll man ein Buch sprachlich zweimal verschieben, einmal
von der Übersetzerin und ein zweites Mal im Kopf? Aber so
unlesbar war das Werk, dass ich denn doch mal die englische
Version holte, um zu schauen, ob dort besser gearbeitet wurde und
stoße dann auf die offensichtliche Information, dass "Barbara
Schaden[..] den Roman "Klara und die Sonne" von Kazuo Ishiguro
aus der englischen Sprache ins Deutsche übersetzt…" hat.


Ok, da wird vieles klarer, denn das starre
Subjekt-Prädikat-Objekt des Englischen und die generelle
Abneigung dem Schachtelsatz gegenüber machen das vermeintlich
japaneske Stakkato der Sätze erklärbarer und wenn man die dann
genauso fantasielos und ohne Rücksicht auf Wortwiederholungen ins
Deutsche prügelt, kommt das raus, was der Leser der deutschen
Übersetzung von "Klara und die Sonne" durchleiden muss: Starre,
unnatürliche Formulierungen, die grammatikalisch sicher richtig
sind, aber so im Deutschen nicht gesprochen werden. Denn Kazuo
Ishiguro schreibt ein seltsames Englisch. Zumindest in "Klara und
die Sonne". Er scheut die Wiederholung nicht, er schreibt der
Sonne ein Geschlecht zu, was im Englischen möglich, aber höchst
ungewöhnlich ist (und für deutsche Ohren umso mehr, als dass
diese im Englischen männlich beartikelt wird). Es werden
angesprochene Personen im Satz in die dritte Person gesetzt, es
werden ausgedachte Eigennamen eingeführt und bleiben unerklärt.


Nachdem es mir ein paar Tage auf der Zunge lag und im Hinterkopf
hin- und herschepperte, kam ich dann drauf, an welches Buch mich
das Ganze erinnert: An das letztens hier besprochene
"Narrenschiff" von Christoph Hein. Ok, "recency bias" heißt das
in der Fachsprache, es gibt sicher bessere Beispiele, aber die
Beschreibungen der Welt von Klara und ihrer Sonne sind für mich
als, vielleicht hinterwäldlerischen Zoni, so steif und
formalistisch, so unverständlich wie für einen Wessi die
Nomenklatura, die Begriffe, die Namen in der DDR. Und während ich
bei Christoph Hein die "Kunstsprache" SED-Deutsch verteidigt
habe, oder wenigstens zu "Kunst" erklärt, tu ich mich hier
schwer. Ja, Kazuo Ishiguro will uns eine Welt nahebringen, in der
künstliche Helfer genetisch verbesserte Kinder in einer streng
hierarchischen Gesellschaft betreuen und dass diese künstlichen
Helfer nicht den größten intellektuellen Spielraum und -willen
haben, will vermittelt sein. Es ist ein wenig wie die Erzählung
einer Welt aus der Sicht und mit der Sprache eines Kindes. Kann
man machen, aber mir verdirbt das den Lesegenuss.


Wie angedeutet, besonders unverständlich im zweifachen Sinne sind
die Eigennamen. Da gibt es Bürogebäude, Baumaschinen,
Universitäten, die ausgedacht sind, aber real sein könnten, so
real, dass man sie kurz googelt und merkt, dass Ishiguro das auch
getan und englisch klingende Namen solange variiert hat, bis er
keine Ergebnisse mehr gefunden hat. Ok, kann man machen. Aber
dann sollte man doch irgendeinen Hinweis hinterlassen, was diese
"Atlas Brookings” Uni darstellen soll, in die ein Nebenheld
aufgenommen werden möchte: ist es eher Oxford oder Berkeley, Yale
oder Stanford. Genau die gleiche Frage stellt sich, wenn ein
Gebäude zehnmal im Buch erwähnt wird, sodass man als Leser denken
muss, dass das irgendwie wichtig wäre. Aber nichts wird erklärt,
kein Kontext nirgendwo.


Ich habe am Ende sogar gecheckt, ob "Klara und die Sonne"
vielleicht Teil einer Buchreihe ist, wo man voraussetzen kann,
dass die Leserin weiß, was die Eigennamen bedeuten. Nein, ist es
nicht, es wird einfach nicht erklärt und man liest als Leser
immer ahnungsloser durch einen Roman, der keinen Sinn ergibt. Das
betrifft nicht nur Eigennamen. Auch die Verben "gehoben" und
"ungehoben" ("lifted/unlifted" im Englischen) als Adjektiv für
Kinder, bleiben bis weit nach der Hälfte des Romans unerklärt,
was eine künstlerische Entscheidung ist, nur halt keine gute -
speziell, wenn man das dann in einer Übersetzung liest und davon
ausgehen muss, dass hier Sinn verloren gegangen ist.


Dazu kommen fragwürdige Entscheidungen im Setting: Jede Fiktion
braucht ein klein wenig Übersehen von Lücken in Konzeption oder
Handlung, aber ein KI-gesteuerter Android in der Zukunft, der ein
Telefon als solches nicht erkennt und es Rechteck nennt, ist ein
bisschen viel verlangt. Mütter, Kinder, Väter schauen in ihre
Rechtecke, Gartentore sind Bilderrahmen, harmlose Baumaschinen
die Ursache globaler Umweltverschmutzung und so wird dann der Weg
bereitet, dass der solarbetriebene Android die Sonne für einen
Gott hält, dem es, wenn man ihm nur genug Opfer bringt, ein
Leichtes ist, ein todsterbenskrankes Kind zu retten (sorry für
den Spoiler). Klingt als Elevatorpitch irgendwie stimmig, nach
350 Seiten weiß man dann - leider nur als dieser.


Dabei wäre das Ganze zu retten gewesen, die Story ist eine
hervorragende Basis für philosophische Betrachtungen. Nicht nur
über Künstliche Intelligenz und deren Servilität und dem
Nach-dem-Mund-reden. Wie wir (viel zu spät) lernen, sind alle
"gehobenen" Kinder genetisch verbessert, warum nimmt der Autor
diesen Handlungsstrang nicht auf? Und es dienen in der Buchwelt
Androiden nicht nur der Kinderbetreuung, sondern haben auch viele
Menschen arbeitslos gemacht (wir lernen das buchstäblich in einem
Nebensatz und hören nie wieder davon). Und man kann und muss über
die Normalisierung unser aller Interaktionen mit künstlichen
Intelligenzen sprechen, siehe oben, was, zugegeben, im Jahr 2020
noch kein etabliertes Phänomen war, aber, Kazuo Ishiguro schreibt
hier Science Fiction, wie toll wäre es gewesen, wäre er darauf
gekommen!


All das passiert nicht, die Sprache ist anstrengend, die Story
nicht inspiriert, der Tiefgang, er fehlt. Was uns leider zu einem
harten Urteil führt: Man muss "Klara und die Sonne" weder wegen
der Story noch der Sprache lesen und auch die philosophischen
Ideen muss die Leserin leider in sich selbst finden und das geht
einfacher draußen, unter der realen Sonne, solange sie noch
scheint, als in ein Buch versunken, welches keine dieser Ideen
aufnimmt.


Sehr schade.


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