Kein anti-russisches Abkommen | Von Sabiene Jahn
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vor 3 Monaten
Die Fehleinschätzung des Westens im Südkaukasus
In den Hauptstädten des Westens klang es in den letzten
Tagen wie ein diplomatisches Freudenfest. „Neue Ära im
Südkaukasus“, titelten Analysten und Kommentatoren. Aus
Washington und Brüssel drangen Botschaften des Triumphes, als sei
eine geopolitische Zäsur gelungen. Die Tinte unter dem von den
USA vermittelten Friedensabkommen zwischen Armenien und
Aserbaidschan war kaum getrocknet, da überschlugen sich Politiker
und große Medien in Lobeshymnen. Was als „historischer
Durchbruch“ inszeniert wird, ist bei näherem Hinsehen vor allem
eines: eine Fehlinterpretation.
Ein Standpunkt von Sabiene Jahn.
Diese kritische Einordnung stammt nicht allein von Prof. Pascal
Lottaz, Politikwissenschaftler aus der Schweiz, sondern ebenso
von seinem Co-Autor Lasha Kasradze, einem georgischen Analysten,
der im Podcast Neutrality Studies bereits mehrfach mit Lottaz
über geopolitische Balancepolitik diskutiert hat.
In seiner jetzigen Form ist das Abkommen nichts weiter als eine
Absichtserklärung – und dazu noch eine ausgesprochen vage.
Mediennarrativ und Vertragsrealität klaffen weit auseinander:
Während westliche Schlagzeilen von einem „strategischen
Ausschluss Russlands“ sprachen, findet sich im Originaltext kein
einziger Satz, der Russland explizit erwähnt – geschweige denn
ausschließt. Stattdessen heißt es:
„Die Parteien erkennen die Souveränität, territoriale
Integrität, Unverletzlichkeit der internationalen Grenzen und
politische Unabhängigkeit des jeweils anderen an und bestätigen,
dass keine territorialen Ansprüche bestehen und künftig keine
erhoben werden“ (Art. I–II, Peace Agreement, MFA Azerbaijan).
Der in manchen Medien gefeierte „99-Jahre-Pachtvertrag“ für eine
Autobahn- und Bahntrasse im Zangezur-Korridor? Er steht nicht im
Text. Weder Zeitrahmen noch Eigentumsfrage sind dort geregelt.
Der Vertrag beschränkt sich darauf, „eine Verkehrsverbindung
zwischen dem aserbaidschanischen Festland und der Enklave
Nachitschewan herzustellen“ (sinngemäß aus Art. X, Peace
Agreement) – ohne Präzisierung, wer baut, wer zahlt oder wer
dauerhaft kontrolliert. Die „99 Jahre“ sind eine reine
Hinzufügung aus dem medialen Raum, ohne vertragliche Grundlage.
Bemerkenswert ist dagegen eine Passage, die Armenien
verpflichtet,
„mit den Vereinigten Staaten von Amerika und einvernehmlich
bestimmten Dritten […] einen Rahmen für das ‚Trump Route for
International Peace and Prosperity‘-Projekt (TRIPP) festzulegen“
(Art. X).
Hier liegt der entscheidende Unterschied zwischen westlicher
Interpretation und Vertragstext: In Kommentaren wurde oft der
Eindruck erweckt, die USA hätten sich alleinige Deutungshoheit
gesichert. Tatsächlich steht im Abkommen die explizite Offenheit
für „bestimmte Dritte“ – und das können in der Praxis auch
Russland oder China sein.
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