Chimamanda Ngozi Adichie: Dream Count

Chimamanda Ngozi Adichie: Dream Count

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Beschreibung

vor 4 Monaten

“Dream Count” ist - auch im Deutschen - der Titel des neuen
Romans von Chimamanda Ngozi Adichie, die hierzulande spätestens
mit dem preisgekrönten “Americanah” auf der literarischen
Landkarte in die oberste Liga aufstieg. In den Folgejahren wurden
vorrangig Essays und Manifeste bekannt, großartig hier: We should
all be Feminists.


Nun also “Dream Count”, in ihren Worten: “ein Buch über Mütter
und Töchter, kein Buch über Männer, aber ein Buch für Männer”.


Die grobe Struktur des Buches bilden die aus 4 Perspektiven
erzählten Leben, Rückblicke, Haltungen und Ereignisse, die sich
teilweise überlappen, die von den 4 Protagonistinnen selbst
geschildert werden. Dies sind: Die vorrangig in den USA lebende
Reiseschriftstellerin Chiamaka, die aus einem reichen Elternhaus
kommt und vom Arbeitgeber auch schon mal aufgefordert wird, sich
Reiseziele mit “mehr Relevanz” zu suchen, wie z. B. den Sudan.
Ihre beste Freundin ist Zikora, Anwältin in D.C.,
alleinerziehende Mutter. Dazu kommt Omelogor, Chia(maka)s
Cousine, eine Bankerin, die mit der Verschleierung von Korruption
reich geworden ist und von ihrer Familie zu Kindern gedrängt
wird. Alle 3 kommen aus nigerianischen Igbo-Familien.


Kadiatou ist Chias Haushälterin aus Guinea und als nicht legale
Migrantin in den USA ganz anderen Herausforderungen ausgesetzt.


Zeitlicher Startpunkt des Romans ist der Beginn der Corona-Zeit
mit all ihren Unsicherheiten, Unwägbarkeiten, Nichtwissen.
Chiamaka beginnt, ihre Ex-Freunde zu googlen und sich zu
erinnern. Als alte Neugierde schaute ich andere Rezensionen zum
Buch an und fand, dass sich eine Kritik daran richtete, dass sich
angeblich zu viele Handlungs- und Reflexionsstränge an den
Männern in den Leben der Protagonistinnen orientieren. Ha! Wie
soll das denn sonst im Patriarchat funktionieren? Frauen
reflektieren und blenden dabei die Männer aus, obwohl Macht und
Herrschaft und auch Gewalt ohne schwer denkbar ist und die
romantische Liebe zu einem Mann das Maß aller Dinge ist? Na ja.
Nur weil Romane mit männlichen Protagonisten sehr gut ohne Frauen
oder Frauen nur als Statistinnen auskamen und kommen und diese
alte Norm den Literaturbetrieb noch vor wenigen Jahren maßgeblich
prägte, heißt das ja nicht, dass weibliche Schriftstellerinnen
und Protagonistinnen das spiegelnd wiederholen müssen. Zumal ein
Teil ihres Leids nicht durch andere Frauen geschaffen wird.


Was in den Handlungen des Romans verhandelt wird, ist die Rolle
finanzieller Unabhängigkeit, nicht nur im Hinblick auf die
Verhältnisse der Protagonistinnen, sondern auch für
Lebensentscheidungen. So wird Omelogor bei einem Abendessen mit
Freundinnen gefragt: “Hättest du dich mehr um Männer bemüht, wenn
du kein Geld gehabt hättest?” Diese Frage impliziert - nicht zu
Unrecht - dass Machtverhältnisse Einfluss auf Entscheidungen für
bestimmte Wege an Wendepunkten im Leben haben. Omelogor hat
jedoch eine andere Antwort: Geld ist eine Rüstung, aber es ist
eine poröse: es gestattet Anreize der potenten Droge der
Unabhängigkeit, es gewährt Zeit und Alternativen.


Sie findet einen Weg, andere Frauen zu unterstützen, in dem sie
Robina-Hood-mäßig armen Frauen Geld schenkt. Dabei erklärt sie
ihnen, dass sie nichts zurück möchte, aber als Dank nur
akzeptieren kann, wenn die Beschenkte anderen Frauen helfen wird,
sobald sie es kann. Praktizierte Solidarität, die mehr
Solidarität gebären wird.


Später entscheidet sich Omelogor, im Internet Blogeinträge für
Männer zu schreiben, die sich vordergründig mit Pornographie,
aber eben auch Begehren, Macht, Klasse und Respekt beschäftigen.
Dabei beginnen ihre - teilweise witzigen, oft scharfzüngigen und
meist auch traurigen Ansprachen immer freundlich und stets
erinnert sie die Angesprochenen daran, dass sie Männer mag und
auf deren Seite steht. Der Umgang mit Kritik wird ja zunehmend in
härterer Abwehrhaltung geübt, Deflektieren statt Anhören und
Reflektieren ist die Norm.


Auf jeden Fall bekommen neben den üblichen Verdächtigen auch
linke Liberale wieder ihr Fett weg. Sei es der simple Umstand,
dass sie große Probleme in ihren Denkblasen bekommen, weil
schwarze Frauen ihnen mit erkennbarem Reichtum begegnen, so dass
sie zwischen der Ablehnung von Rassismus und dem Ablehnen von
finanziellen Reichtum ins Schwimmen kommen. Chimamanda Ngozi
Adichie beschreibt sie als selbstgerecht, als nicht denkend, in
starren Mustern gefangen. Sei es die Frage nach der Unterstützung
beim Kinderaufziehen, also: ist es ok, andere Frauen dafür zu
bezahlen, dabei zu helfen, und die Bezahlte finanziell schlechter
gestellt ist, sieht sie es nicht als Ausbeutung, sondern schreibt
- Zitat: “es haben immer Frauen geholfen. Früher waren es
Verwandte, und wenn es heute eine jamaikanische Nanny ist, die
mit einem Teil des Geldes in Kingston ein Haus für ihre Eltern
baut: so what!” - Zitatende. Im Kontext der Universität, wo diese
Auseinandersetzung stattfindet, wird sie aufgefordert, doch
“sachlich zu bleiben”.


Es gibt viele weitere dieser Beispiele, die unsere Überzeugungen
und das, was wir vielleicht gelernt haben, in Frage stellen.
Gemeinheit und Empathielosigkeit der Linken, die sich als
Solidarität tarnt und Neid verdeckt, sind nichts, was nicht
wenigstens laut kritisiert gehört.


Einen Kontrapunkt der Erzählströme bildet die Protagonistin
Kadiatou. Sie ist - gut erkennbar, an Nafissatou Diallo
angelehnt, die 2011 in einem Hotelzimmer in New York vom
damaligen Notenbankchef Dominik Strauss-Kahn versucht wurde zu
vergewaltigen. Im Verlauf des damaligen Verfahrens verlor
Strauss-Kahn seinen Job. Nafissatou Diallo verstrickte sich in
Widersprüche über ihre Fluchtgeschichte, es wurde dann keine
Anklage von der Staatsanwaltschaft erhoben. In einer regelrechten
Schlammschlacht überboten sich damals die Blätter, ob es ihr nur
um Geld ginge, sie einfach eine rachsüchtige Prostituierte wäre
oder darum, den mächtigen Mann zu beschädigen. Die Entscheidung
ihrer literarischen Entsprechung Kadiatou über das gerichtliche
Verfahren gibt ihr Würde und Integrität zurück. Für uns eine
harsche Erinnerung, wie solche Vorwürfe vor noch nicht allzu
langer Zeit behandelt wurden.


In Selbstreflektionen und Gesprächen werden die von uns zunächst
angenommenen Geschichte immer wieder korrigiert und zurecht
gerückt. Die Ereignisse ändern sich je nach der Wahrnehmung der
jeweiligen Protagonistin, die sich erinnert. Diese sind mittelalt
(Mitte vierzig), haben also Erfahrungen und ihre Naivität
verloren. Neben den gesellschaftlichen Erwartungen der jeweiligen
Milieus spielen die (weiblichen) Vorfahren eine starke Rolle,
also z. B. Tanten mit ihren Erwartungen, ihren Vorgaben, die sie
erfüllt haben möchten. Neben den verschiedenen Klassen und ihrem
Verhältnis untereinander sind ihre Begegnungen und Erlebnisse mit
der westlichen Gesellschaft, oft London, oft die USA treibend für
den Fortlauf der Ereignisse.


Was die Lektüre erschwerte: der Beginn des Romans scheint lang,
etwas zu lang geraten. Nichtdestotrotz: klare Leseempfehlung,
gönnt euch!


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