Im Gespräch mit ... Stefan Weber

Im Gespräch mit ... Stefan Weber

1 Stunde 59 Minuten

Beschreibung

vor 5 Monaten

Vielleicht ist die Psychologie des Copy Pasters eine der größten
Leerstellen unserer heutigen Zeit – hat man es hier doch mit
einem Spezimen zu tun, das erst um die Jahrtausendwende, dann
allerdings höchst massiv in Erscheinung getreten ist. Haben
frühere Zeiten dieses Wesen, je nachdem unter das Werther-Syndrom
oder den Bovarysmus zu subsumieren versucht, als eine Form, den
eigenen „Roman zu leben“ , scheint das Design der eigenen
Identität nun zur Lebensaufgabe geworden zu sein. Fällt einem
dazu nur wenig ein, kann man sich mit einem Mausklick die
Lebensleistung eines oder mehrerer anderer Menschen einverleiben.
Ein solcher Schachzug ist umso attraktiver, als die akademischen
Titel, ebenso wie der Nimbus des Autors eine gewisse soziale
Reputation versprechen. Schon aus diesem Grund haben mich die
Enthüllungen des Plagiatsjägers Stefan Weber stets interessiert.
Dass sie ins Zentrum zahlloser politischer Skandale geführt haben
(einfach deswegen, weil die Frage des Plagiats die charakterliche
Integrität von Menschen berührt, die sich in der Öffentlichkeit
zu moralischen Instanzen aufgeschwungen haben), ist bemerkenswert
genug; sehr viel rätselhafter aber ist die zugrundeliegende
Frage, nämlich, was Menschen dazu bewegt, sich mit falschen
Federn zu schmücken, ja, was sie dazu verleitet, noch die
intimsten Empfindungen, die eigenen Tränen z.B., zu plagiieren.
So besehen stellt der Copy Paster beinahe so etwas wie ein
unerforschtes Wesen dar, ja, könnte man ihm nachgerade den Slogan
der Anonymus-Hacker zuschreiben:


We are Anonymous. We are Legion. We do not forgive. We do not
forget. Expect us.


Tatsächlich sind die Plagiatsfälle, die Stefan Weber der
Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat, unterdessen Legion. Das
beginnt mit dem Fall Karl-Theodor zu Guttenbergs 2011 – und setzt
sich fort: Johannes Hahn, Norbert Lammert, Diana Kinnert,
Matthias Döpfner, Annalena Baerbock – um nur die prominentesten
Plagiatoren zu nennen. Interessanter jedoch als der trübe
Umstand, dass die Identitätsfälschung zu einem Gesellschaftsspiel
geworden ist, ist die Frage, was die zugrundeliegenden sozialen
Faktoren sind – mehr noch, warum selbst Institutionen, die (wie
die Universität) das höchste Interesse an der Integrität ihrer
Forschung haben sollten, hier ein, nein mehr noch, alle beiden
Augen zudrücken.


Stefan Weber ist habilitierter Kommunikationswissenschaftler.
Dass er zum berühmt-berüchtigten Plagiatsjäger wurde, ist der
Tatsache geschuldet, dass seine eigene Doktorarbeit gleich ein
dreifaches Plagiat erlebte – und somit auf höchst persönliche
Weise auf diese Thematik gestoßen wurde. Unterdessen hat er die
„Plagiatsjagd“ zur Lebensaufgabe gemacht – immer mit dem Blick
darauf, dass das Problem der akademischen Integrität eine Frage
ist, die in den Zeiten von ChatGPT das Fundament der heutigen
Wissensproduktion affiziert.


Von Stefan Weben sind (u.a.) erschienen:


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