126 — Schwarz gekleidet im dunklen Kohlekeller. Ein Gespräch mit Axel Bojanowski

126 — Schwarz gekleidet im dunklen Kohlekeller. Ein Gespräch mit Axel Bojanowski

1 Stunde 19 Minuten

Beschreibung

vor 5 Monaten

Das ist ein Gespräch, das mir sehr viel Spaß gemacht. Axel
Bojanowski und ich haben gleich zu Beginn der virtuellen Session
losgelegt und diskutiert, bis ich dann den Notstopp ziehen musste
— schließlich sollte das eine Podcast-Folge werden und nicht nur
eine höchst interessante Diskussion unter vier Augen.


Der Titel dieser Folge ist vielleicht kurios, aber mir ist das
Zitat von Karl Popper aus den 1980er Jahren eingefallen:


»Wissenschaft ist, wenn man schwarz gekleidet in einem dunklen
Kohlenkeller nach einer schwarzen Katze sucht, von der man gar
nicht weiß, ob sie existiert.«


Davon leiten sich alle möglichen Folgen ab, unter anderem, dass
Wissenschaft immer von Annahmen geprägt ist. Sie ist auch mit zum
Teil großer Unsicherheit verbunden. Viel Bescheidenheit und
Selbstkritik wären in der Interpretation und Darstellung
notwendig.


Davon ist in der heutigen Welt nicht viel zu finden. Besonders
nicht Bescheidenheit und kritische, kluge Reflexion als Fundament
unserer politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen, eher
aktivistische Grabenkämpfe, die mehr mit dem Circus Maximus als
mit Expertenwesen zu tun haben. 


Wir behandeln folglich in dieser Episode Qualitätsprobleme in der
Wissenschaft, Aktivismus, die Rolle von Journalisten und Medien,
Anreizsysteme, welche Themen in der Wissenschaft überhaupt
diskutiert werden und von wem. Außerdem, welchen Schaden wir
anrichten, wenn wir nicht mehr in der Lage sind, in kritischen
Zeiten Ideen klug zu reflektieren und was wir mit unseren Kindern
und Jugendlichen machen, wenn wir sie ständig mit apokalyptischen
Visionen konfrontieren.


Wo sind wir also falsch abgebogen? Was können wir alle tun, damit
wir ein positives Bild der Zukunft entwickeln können und wir
wieder darüber sprechen, wie wir Fortschritt erzielen können und
nicht nur ständig im defätistisch/apokalyptischen Denken stecken
bleiben.


Ich sollte an dieser Stelle nicht vergessen, meinen Gast
vorzustellen, auch wenn ihn die meisten sicher schon kennen: Axel
Bojanowski diplomierte an der Universität Kiel über
Klimaforschung. Seit 1997 arbeitet er als
Wissenschaftsjournalist, u. a. für "Die Zeit", "Nature
Geoscience", "Geo", "Stern" und der "Süddeutschen Zeitung". Er
war Redakteur beim "Spiegel" , dann Chefredakteur bei "Bild der
Wissenschaft" und "Natur". Seit August 2020 ist er Chefreporter
für Wissenschaft bei "WELT". Bojanowski hat fünf Sachbücher
verfasst. Der Berufsverband Deutscher Geowissenschaftler hat ihn
2024 für seine publizistischen Leistungen ausgezeichnet.


Aus meiner persönlichen Sicht ist Axel Bojanowski einer der
besten Wissenschaftsjournalisten, die ich kenne. Gerade im
deutschsprachigen Raum würden wir viel mehr Journalisten seiner
Güte dringend benötigen. Er hat auch zwei wichtige und sehr
zugängliche Bücher geschrieben, deren Themen natürlich in diesem
Gespräch auch thematisiert werden.


Wir beginnen mit der Frage, wie die Qualität wissenschaftlicher
Aussagen zu beurteilen ist. Wird es immer schwieriger zu
erkennen, was ernsthafte Wissenschaft und was irrelevant, falsch
oder Ideologie oder Aktivismus ist?


»Science und Nature sind mittlerweile journalistische Produkte.
Letztlich gelten sie als die wichtigsten Impact-Magazine für die
Wissenschaft, aber eigentlich funktionieren sie nach den Gesetzen
von Massenmedien.« 


Es wird so getan, als ob es vollkommen klar wäre, wie man den
Klimawandel begrenzt. Es wird nicht verstanden oder aufgegriffen,
dass es sich um komplexe Zielkonflikte handelt.


»The time for debate has ended.« Marcia Nutt


Funktionieren journalistische Medien heute immer stärker so, dass
es um persönliche Absicherung geht, indem man Nachrichten
publiziert, von denen man annimmt, dass sie dem aktuellen
Zeitgeist entsprechen und somit sozial erwünscht sind? 


»Wenn man Artikel dieser Art bringt, hat man nichts zu
befürchten.«


Welche Geschichten erzählen wir uns als Gesellschaft und unseren
Kindern und Jugendlichen?


»Es handelt von weitgehend ignorierten Sensationen der jüngeren
Menschheitsgeschichte der letzten 200 Jahre, also von der
Industrialisierung und ihren Folgen, die die Welt besser gemacht
haben, als die meisten Leute ahnen. Diese Geschichten werden kaum
erzählt.«


Erleben wir aktuell ein Multiorganversagen der wesentlichen
Strukturen und Institutionen, die unsere moderne Zivilisation
bisher ermöglicht haben?


»Covid war sozusagen Klimadebatte im Schnelldurchlauf.«


Sollten in einer Krise nicht verschiedene kluge Ideen
unterschiedlicher Art diskutiert und abgewogen werden?


»Es wurde ganz schnell verlangt, sich einem Lager zuzuordnen.
Wenn man das nicht eindeutig selbst tut, dann wird man in ein
Lager eingeordnet.«


Was ist der Zusammenhang von Risiko, Unsicherheit und welche
Entscheidungen folgen aus wissenschaftlicher Erkenntnis?


»Man hat bei Covid wie beim Klima hohe Risiken mit mit großen
Unsicherheiten verbunden.[…]  Dann wird aber so getan als ob
es eindeutig wäre und man im Grunde ganz klare Fakten aus der
Wissenschaft bekäme und Handlungsanweisungen — was nie der Fall
ist. Aus wissenschaftlichen Fakten folgen keine
Handlungensanweisngen. Nie.«


Gibt es tatsächlich immer nur die eine richtige Antwort auf ein
Problem, follow the science — alternativlos?


»Es gibt wahnsinnig viele Möglichkeiten, auf dieses Problem zu
reagieren [Klima, Covid|. Es ist letztlich eine Wertefrage.«


Finden wir immer wieder dieselbe Lagerbildung vor, die aber aus
anderen »Quellen« gespeist ist, etwa Technologieoptimisten vs.
-pessimisten, Liberale vs. Etatisten, und dergleichen? Das ist
sehr ungünstig, denn: 


»Wissenschaft ist nun mal der beste Erkenntnisprozess, den wir
haben. […] Um Wissenschaft richtig zu verstehen, müsste man aber
Unsicherheiten immer klar mitkommunizieren.«


Ist es besser, eine falsche Karte oder gar keine Karte zu haben,
wenn man eine Wanderung unternimmt?


»Es geht auf diesen Ebenen [wissenschaftliche Prozesse] immer
auch um Macht, das darf man nicht vergessen. Wenn man es
versäumt, sich auf die Seite zu schlagen, die den Ton angibt,
dann verliert man an Einfluss.«


Im Journalismus wurde jede Form der Differenzierung sofort
bekämpft. Wie kann man aber als Gesellschaft unter solchen
Bedingungen bei komplexen Herausforderungen klug entscheiden?


Wissenschaft und Journalismus sollten aber beide Prozesse der
Wahrheitsfindung sein. Betonung liegt dabei auf »Prozess« — was
bedeutet dies für die praktische Umsetzung?


Werden Opportunismus und Feigheit, seine eigene Meinung zum
Ausdruck zu bringen, zur größten Bedrohung unserer Gesellschaft?


»Journalisten sind vor allem feige.«


Wie sollten wir mit Unsicherheiten umgehen?


»Die Unsicherheiten aber, und das ist ein wichtiger Punkt, können
gerade nicht beruhigen. Es sind die Unsicherheiten, ein Problem
an sich.«


Gibt es nur umstrittene und irrelevante Wissenschafter? 


Falsche Prognosen und Aussagen in der Öffentlichkeit haben für
opportunistische Wissenschafter auch fast nur positive Seiten und
werden in der Praxis kaum bestraft. Sie können dieselben falschen
Ideen über Jahrzehnte breit publik machen und werden auch noch
belohnt — weil sie ja vermeintlich auf der »richtigen« Seite
stehen.


Die grundlegende Frage dahinter scheint zu sein: Welche
Geschichten erzählt sich eine Gesellschaft, von welchen wird sie
geleitet, welche sind konstitutiv für ihre Kultur und wie können
wir diese ändern, um damit wieder einen positiven Blick auf die
Zukunft zu bekommen?


Nadelöhre der Wissenschaft


Die Universitäten haben sich, wie auch die Medien, immer weiter
homogenisiert — von Vielfalt leider keine Spur. 


»Das Milieu verstärkt sich selbst.«


Was bedeutet das, etwa am Beispiel der Attributionsforschung? Was
bedeutet dies für große politische Projekte, wie die deutsche
Energiewende, die nicht nur im großen Maßstab gescheitert ist,
sondern auch Deutschland schwer beschädigt hat. Wer trägt dafür
nun die Verantwortung? Und die Medien stimmen alle das gleiche
Lied an, ohne kritisch zu hinterfragen — warum eigentlich?


»Man guckt gar nicht mehr, was stimmt, sondern: Was schreiben die
anderen?«


Warum ist es so schwer bei Klimafragen, die Fakten korrekt
darzustellen? Aktuell wird von Politik und Aktivisten ständig
betont, dass es viele Hitzetote gäbe. Es wird nicht erwähnt, dass
es zehnmal so viele Kältetote gibt:


»Across the 854 urban areas in Europe, we estimated an annual
excess of 203 620 deaths attributed to cold and 20 173 attributed
to heat.«, Pierre Masselot et al


Diese einseitige Propaganda wird überall in der Gesellschaft
verbreitet, auch an den Schulen:


»Papa, wenn der Meeresspiegel steigt, sterben wir?!«


Was richten wir mit unseren Kindern an?


»Der Erfolg der menschlichen Zivilisation beruht darauf, dass man
sich von der Natur unabhängig gemacht hat und dass man die Natur
auch für sich genutzt hat. […] Diese Geschichten des Fortschritts
sind wichtig zu verstehen; gerade für Kinder!«


Wir leben nicht, wir sterben in Harmonie mit der Natur:


»Have you heard people say that humans used to live in balance
with nature? […] There was a balance. It wasn’t because humans
lived in balance with nature. Humans died in balance with nature.
It was utterly brutal and tragic.«, Hans Rosling


Erst seit rund 100 Jahren können wir davon sprechen, dass
Menschen ansatzweise in modernem Lebensstandard leben.


»Wir zogen in die Stadt zu einem alten Ehepaar in eine kleine
Kammer, wo in einem Bett das Ehepaar, im andern meine Mutter und
ich schliefen. Ich wurde in einer Werkstätte aufgenommen, wo ich
Tücher häkeln lernte; bei zwölfstündiger fleißiger Arbeit
verdiente ich 20 bis 25 Kreuzer im Tage. Wenn ich noch Arbeit für
die Nacht nach Hause mitnahm, so wurden es einige Kreuzer mehr.
Wenn ich frühmorgens um 6 Uhr in die Arbeit laufen mußte, dann
schliefen andere Kinder meines Alters [ca. 11 Jahre] noch.«


»Es war ein kalter strenger Winter und in unsre Kammer konnten
Wind und Schnee ungehindert hinein. Wenn wir morgens die Tür
öffneten, so mußten wir erst das angefrorene Eis zerhacken, um
hinaus zu können, denn der Eintritt in die Kammer war direkt vom
Hof und wir hatten nur eine einfache Glastür. Heizen konnten wir
daheim nicht, das wäre Verschwendung gewesen, so trieb ich mich
auf der Straße, in den Kirchen und auf dem Friedhof herum.«,
Adelheid Popp ca. 1890


Ist der Mensch das Krebsgeschwür des Planeten? Was passiert, wenn
wir über Jahrzehnte solche Narrative in Schulen, Universitäten
und Medien verbreiten? Wird der Fortschritt paradoxerweise von
denen bekämpft, die fortgeschritten sind? Welches eigenartige und
ethisch fragwürdige Signal senden wir da an den Rest der Welt?


»Elend bedarf keiner Erklärung. Das ist der Normalfall. Wohlstand
bedarf der Erklärung.«


Wir scheinen aber in einer Zeit zu leben, wo Wohlstand, zumindest
für einige, so normal geworden ist, dass man jedes Gefühl für die
realen Prozesse der Welt verlernt hat und ignoriert. Wo man
selbst die vermeintlich wichtigsten eigenen Ziele obskuren
Ideologien opfert:


»Zu Zeiten, wo der Klimawandel angeblich das größte Problem ist,
schaltet man klimafreundliche Kernkraftwerke ab.«


Warum findet die Diskussion komplexer Phänomene so gespalten und
so feindselig und gleichzeitig so pseudo-elitär statt?


Wie das gut gemeinte Definieren von simplistischen Indikatoren
das Gegenteil des gewünschten Ziels erreichen kann. Aus einem
Indikator wird ein Götz, dem bedingungslos in den Untergang
gefolgt wird. Klimaschutz nur mit Wind und Sonne ist eine
Irreführung deutscher Aktivisten und gedankenloser Politik. Oder
ist es vielmehr eine bait and switch Strategie? Man lockt mit dem
einen, tauscht es dann aber durch eine andere Sache aus? Man
lockt mit Klimawandel, möchte aber tatsächlich eine radikale
politische Wende erzielen?


Der Gipfel der Ideologie: ein Giga-Projekt wie die »Energiewende«
ganz bewusst ohne Kostenkontrolle? Ein Bürger stellt eine
Anfrage:


»Zunächst dürfen wir anmerken, dass die Bundesregierung keine
Gesamtkostenrechnung zur Energiewende unternimmt.«, Frage den
Staat (2023)


Damit bleibt noch eine grundlegende Frage: Wer soll, oder
genauer, wer kann eigentlich die Verantwortung für die komplexen
Entscheidungen der heutigen Zeit tragen? Soll eine Expertokratie
die Welt retten, oder sind es letztens nur die Menschen selbst,
die diese Verantwortung tragen müssen?


Referenzen


Andere Episoden


Episode 125: Ist Fortschritt möglich? Ideen als Widergänger
über Generationen

Episode 120: All In: Energie, Wohlstand und die Zukunft der
Welt: Ein Gespräch mit Prof. Franz Josef Radermacher

Episode 118: Science and Decision Making under Uncertainty, A
Conversation with Prof. John Ioannidis

Episode 116: Science and Politics, A Conversation with Prof.
Jessica Weinkle

Episode 112: Nullius in Verba — oder: Der Müll der
Wissenschaft

Episode 109: Was ist Komplexität? Ein Gespräch mit Dr. Marco
Wehr

Episode 107: How to Organise Complex Societies? A
Conversation with Johan Norberg

Episode 106: Wissenschaft als Ersatzreligion? Ein Gespräch
mit  Manfred Glauninger

Episode 96: Ist der heutigen Welt nur mehr mit Komödie
beizukommen? Ein Gespräch mit Vince Ebert

Episode 94: Systemisches Denken und gesellschaftliche
Verwundbarkeit, ein Gespräch mit Herbert Saurugg

Episode 93: Covid. Die unerklärliche Stille nach dem Sturm.
Ein Gespräch mit Jan David Zimmermann

Episode 91: Die Heidi-Klum-Universität, ein Gespräch mit
Prof. Ehrmann und Prof. Sommer

Episode 86: Climate Uncertainty and Risk, a conversation with
Dr. Judith Curry

Episode 80: Wissen, Expertise und Prognose, eine Reflexion

Episode 76: Existentielle Risiken

Episode 74: Apocalype Always



Axel Bojanowski


Axel Bojanowski, Was Sie schon immer übers Klima wissen
wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten: Der Klimawandel
zwischen Lobbygruppen und Wissenschaft, Westend (2024)

Axel Bojanowski, 33 erstaunliche Lichtblicke, die zeigen,
warum die Welt viel besser ist, als wir denken, Westend (2025)

Homepage Axel Bojanowski

Substack

Die Welt

Twitter/X

LinkedIn



Fachliche Referenzen


Marcia McNutt, The beyond-two-degree inferno, Science
Editorial (2015)

Patrick Brown, Do Climate Attribution Studies Tell the Full
Story? (2025)

Roger Pielke Jr., What the media won't tell you about ...
hurricanes (2022)

Roger Pielke Jr., Making Sense of Trends in Disaster Losses
(2022)

Roger Pielke Jr., What the media won't tell you about . . .
Drought in Western and Central Europe (2022)

Rob Henderson, 'Luxury beliefs' are latest status symbol for
rich Americans (2019)

Bernd Stegemann, Die Klima-Gouvernanten und ihre unartigen
Zöglinge (2025)

Steven Koonin, Unsettled: What Climate Science Tells Us, What
It Doesn’t, and Why It Matters, BenBella Books (2021)

Hart aber Fair (Sonja Flaßpöhler) (2021)

Pierre Masselot et al, Excess mortality attributed to heat
and cold; 854 cities in Europe, Lancet Planet Health (2023)

Hans Rosling, Factfulness, Sceptre (2018)

Adelheid Popp, Jugendgeschichte einer Arbeiterin (1909)

Axel Bojanowski, Scheuklappen der Klimaforschung (2024)

Frag den Staat: Kosten der Energiewende von 2000 bis 2022
(2023)

Kommentare (0)

Lade Inhalte...

Abonnenten

15
15