Lächel doch mal!
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Beschreibung
vor 8 Monaten
"Ich liebe jede Farbe, Hauptsache sie ist schwarz."
"Pop will eat itself!"
"Wer vergisst, tötet auch ein zweites Mal!"
Sprüche wie diese, in ihren unterschiedlichen Graden von
Nihilismus, standen in meiner Teenagerzeit an unseren Wänden.
Ganz normaler Gruftistuff. Weder wir Wandmaler noch das
angestrebte Publikum - Kumpels, Eltern, Funktionäre - nahmen den
Quatsch sonderlich ernst. Wenn man es sehr hoch hängen will, war
es eine Form der Rebellion, ein Auflehnen gegen eine Gesellschaft
(die DDR), mit deren Zielen man vielleicht noch halbwegs
übereinstimmte - Sozialismus, warum nicht? - deren Methoden man
aber ablehnte, speziell so Sachen, wie Leute ohne Rechtsgrundlage
wegzusperren und s**t.
Gerade weil die Kluft zwischen der postulierten und der gelebten
Moral so tief war, fühlten wir weniger das Bedürfnis, gegen "das
System" zu kämpfen; wir machten unser Ding parallel zu ihm, im
Zweifel in leichter Opposition, aus der tiefen Überzeugung
heraus, dass das alles eh nicht mehr so lange geht; zu bankrott,
zu ausgehöhlt, zu bigott war die Gesellschaft.
Was seinerzeit an Wänden stand, strahlt Dir heute auf Insta,
TikTok oder, gottbehüte, X, the everything app, durch die
Rezeptoren direkt ins Brain. Das ändert an der Tatsache nichts,
dass das angestrahlte Publikum - Kumpels, Eltern, Funktionäre -
den Quatsch auch heute nicht sonderlich ernst nehmen. Dabei steht
im Unterschied zum plakativen Spruch damals, in den Posts heute,
je nach Bubble, manchmal Fundamentales, klug Analysiertes gar.
Aber da das gefährlich sein kann für die aktuellen Machthaber,
benutzen diese die Kraft des Algorithmus, die Nachrichtenzone mit
"Scheiße zu fluten". Damit sich das nur milde politisch
interessierte Publikum nicht durch intelligente Kritik
radikalisiert, werden Videos priorisiert, möglichst harmlose -
Affen, Kinder, Katzen - und nur zu Wahlkampfzeiten pusht man
vielleicht mal die eine oder andere Greueltat der aktuell größten
Feinde des Establishments. Das alles ist gut untersucht und in
Kurz- und Langform dokumentiert.
Wenn man das Ganze als Wettstreit von Ideen betrachtet, von mir
aus sogar "Ideologien" oder "Wertesystemen", kann man dieses Game
durchaus interessiert finden, auch wenn die Protagonisten mit dem
eigenen Leben spielen. Schon immer gab es den Wettstreit um die
richtige Idee, den richtigen Weg zu leben und bei aller
Verzweiflung ob des aktuellen Niveaus des Diskurses bringen 3
Millionen Posts immer noch weniger Menschen um, als 3 Millionen
Kugeln. Früher wurde der Battle auf dem Schlachtfeld der Ideen
als ein Kampf zwischen Progressiven und Konservativen betrachtet
und als wertvoll angesehen, denn eine Gesellschaft, die zu
schnell voranschreitet, lässt zu viele der Langsameren auf der
Strecke; verharrt jedoch die Gesellschaft in Angst vor der
Zukunft, droht sie zu explodieren, weil die Klugen und Wilden
keinen Bock auf Langeweile und zähe Muffigkeit haben.
Aber entspricht die Beschreibung "Vorwärts gegen Rückwärts" noch
der Realität? Kämpfen hier zwei Moralitäten gegeneinander und die
eine, aktuell die Konservative, liegt gerade vorn, weil den
meisten Leuten der S**t um sie herum zu schnell geht, sie nicht
mehr mitkommen?
Wenn wir lesen (müssen), was der angeblich reichste F****r auf
dem Planeten so sagt, ist man eher verwirrt
:
Für Nicht-Nerds: Wir Menschen sind nur die Starthilfe für eine
digitale Superintelligenz, meint die menschliche Superintelligenz
Elon Musk. Nun muss eine Meinung weder fundiert, durchdacht oder
auch nur klug sein, um sich zu verbreiten, siehe
"Coronaschutzimpfung machen 5G", siehe "Ausländer sind
Schmarotzer" und ähnlicher Dünnschiss, den man im
Erzgebirgsvorland so glaubt.
Die Idee einer Singularität, einer Superintelligenz, in der wir
Menschen bestenfalls aufgehen, wenn wir nicht einfach nur ihr
Treibstoff sind, weil, zu dumm, stammt in etwa aus der Zeit, als
ich die eingangs erwähnten Sprüche mit schwarzem Filzer an die
Rauhfasertapete über meinem Bett malte. Dachte William Gibson
Ende der Achtziger Jahre aus heutiger Sicht noch "konventionell"
(Stecker in den Kopf), beschreibt 1995 Neal Stephenson in
"Diamond Age" einen Almanach für Kinder, der dem ChatGPT-Abo, mit
dem Schüler heute ihre Lehrer bescheißen, verdammt ähnlich ist.
1998 schrieb Ray Kurzweil dann den Urtext "The Age of Spiritual
Machines: When Computers Exceed Human Intelligence", und legte
dar, wie wir uns alle zusammenschalten und inmitten von Computern
leben werden. Nur ein Jahr später vollendeten die
Wachowski-Geschwister den Weg von Gibsons "Computer für alle" zu
"Alle für den Computer" mit der Matrix-Trilogie und ihrer Vision
für die Biobatterie Mensch. Alles hübsche Geschichten über
Superintelligenzen und Singularitäten, je nach persönlichem
Geschmack hoffnungsvoll oder schreckensnihilistisch - aber auf
keinen Fall real.
Musks Spruch aber, dass wir Biopeople nur der Samen für eine
digitale Intelligenz seien, ist, so dumm er ist, ernst gemeint
und der Menschenfeind hat die Mittel und den Einfluss auf den mit
Abstand dümmsten Präsidenten der Welt (Honni war ein Einstein
dagegen), wenn schon nicht dieses Ziel zu erreichen, auf dem Weg
dahin aber ordentlich Geschirr zu zerbrechen, die Weltwirtschaft
z.B. oder den mehr schlecht als recht haltenden Weltfrieden.
Irgendwie macht da die eigene Neigung zum zynischen Spruch, den
manchmal nur ich lustig finde oder die provokante Spielerei mit
dem Nihilismus, zu der ich auch 40 Jahre später noch neige, nicht
mehr den allergrößten Spaß. Milliardäre machen einem aber auch
alles kaputt. Duh.
Aber so schnell lasse ich mich nicht aus der Rolle der milden
Opposition drängen und praktiziere nunmehr Antinihilismus. Nicht
oft, es fällt mir nicht zu, zu lange trage ich schwarz, bin zu
introvertiert, zu fremd ist mir der Mensch, aber wenn es gegen
Elon Musk geht, reiße ich mich zusammen. Zu pessimistisch sind
die meisten Menschen um mich herum, da spielt es kaum eine Rolle,
ob ihr Tribe bei Wahlen gerade verloren hat oder gewonnen. Denn
so ansteckend wie ausländerfeindlicher AfD-Scheiß,
Anti-Woke-Quatsch und AI-Slop sind, muss man wissen: alles, was
beim Menschen durch irgendeine Körperöffnung rein geht und dann
im Kopf ankommt, kann anstecken - sogar Freundlichkeit! Ich habe
es jahrzehntelang nicht geglaubt. Jetzt ist es fast die letzte
Hoffnung.
Also mach ich das jetzt! Ich geh rein! Ich f*****g lächle
Menschen an.
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