"Alles ist warten"
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vor 9 Monaten
„Sie fragen, ob ihre Verse gut sind. [...] Gehen Sie in sich.
Erforschen Sie den Grund, der Sie schreiben heißt; prüfen Sie, ob
er in der tiefsten Stelle Ihres Herzens seine Wurzeln ausstreckt,
gestehen Sie sich ein, ob Sie sterben müssten, wenn es Ihnen
versagt würde zu schreiben. Dieses vor allem: fragen Sie sich in
der stillsten Stunde der Nacht: muss ich schreiben? Graben Sie in
sich nach einer tiefen Antwort. Und wenn diese zustimmend lauten
sollte, wenn Sie mit einem starken und einfachen ˃Ich muss˂
dieser ernsten Frage begegnen dürfen, dann bauen Sie ihr Leben
nach dieser Notwendigkeit; Ihr Leben bis hinein in seine
gleichgültigste und geringste Stunde muss ein Zeichen und Zeugnis
werden diesem Drange.“ (Briefe an einen jungen Dichter, S. 6/7)
Dieses Zitat, das einem Briefwechsel zwischen dem Offizier Franz
Xaver Kappus und Rainer Maria Rilke entstammt, und in Briefe an
einen jungen Dichter erschienen ist, erscheint mir gleichfalls
als Ausdruck Rilkes' eigenem Drang zum Schreiben. Ihm zur Feier –
denn in diesem Jahr wäre er 150 Jahre alt geworden – sind gleich
zwei neue Biografien erschienen und auch ich möchte dies zum
Anlass nehmen, mich wieder intensiver der Lyrik im Allgemeinen
und seiner Gedichte im Speziellen zu widmen. Während meines nun
schon einige Jahre zurückliegenden Studiums hatte ich die
großartige Gelegenheit, ein Seminar über Rilke zu besuchen. Im
Zuge dessen verfasste ich eine 7-seitige Gedichtinterpretation,
die ich den Leserinnen und Lesern an dieser Stelle erspare, nicht
aber das Gedicht, um das es ging. Das Gedicht „Die Liebende“, von
Rainer Maria Rilke, entstand im Jahr 1907 in Paris und wurde 1908
in „Der neuen Gedichte anderer Teil“ veröffentlicht, fand aber in
der Forschungs- und Sekundärliteratur kaum Erwähnung. Es soll an
dieser Stelle den Beginn meines persönlichen Rilke Jahres
markieren, in dessen Verlauf ich unter anderem auf weitere meiner
persönlichen Lieblingsgedichte Rilkes aufmerksam machen, mich
auch mit seiner Person noch einmal intensiver befassen und in
diesem Kontext natürlich auch weitere Lektüreempfehlungen
aussprechen möchte.
Die Liebende
Das ist mein Fenster. Eben bin ich so sanft erwacht. Ich dachte,
ich würde schweben. Bis wohin reicht mein Leben, und wo beginnt
die Nacht? Ich könnte meinen, alles wäre noch Ich ringsum;
durchsichtig wie eines Kristalles Tiefe, verdunkelt, stumm. Ich
könnte auch noch die Sterne fassen in mir; so groß scheint mir
mein Herz; so gerne ließ es ihn wieder los den ich vielleicht zu
lieben, vielleicht zu halten begann. Fremd, wie niebeschrieben
sieht mich mein Schicksal an. Was bin ich unter diese
Unendlichkeit gelegt, duftend wie eine Wiese, hin und her bewegt,
rufend zugleich und bange, daß einer den Ruf vernimmt, und zum
Untergange in einem Andern bestimmt.
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