Dummheit - Vom berechnenden Gebrauch der Intelligenz

Dummheit - Vom berechnenden Gebrauch der Intelligenz

1 Stunde 8 Minuten

Beschreibung

vor 41 Jahren

Auszug aus dem zugehörigen Artikel in MSZ 12-85 beim
GegenStandpunkt-Verlag (zum Artikel):


Sofern in der bürgerlichen Gesellschaft einmal die Rede von ihr
ist, dann geht es gegen die Individuen, an denen sie einer
entdeckt haben will. Sie gilt als Defekt, den man anderen, aber
auch sich selbst bescheinigen kann. Von ihrer Schläue überzeugte
Zeitgenossen halten sich viel darauf zugute, daß sie genau
abzuwägen wissen, unter welchen Umständen sie sich und anderen
ihre Diagnose offenbaren. Das hat etwas mit der Endgültigkeit der
Diagnose zu tun. Wen man der Dummheit zeiht, den hat man
abgeschrieben: Er ist untauglich, sei es für seine eigenen
Anliegen, sei es für Dienste, die andere von ihm erwarten. Die
Auseinandersetzung mit so einem Menschen lohnt nicht,
Besserungsversuche durch Kritik bzw. Hilfe müssen scheitern - und
zwar wegen des festgestellten Defekts. Ob als resignierende
Selbstbezichtigung oder als Vorwurf ausgesprochen - der Befund
"Dummheit" ist ein sehr radikaler. Er verdankt sich der
Auffassung, daß es den Dummen an einer Fähigkeit mangeln würde,
über die die Gescheiten verfügen. Die Fähigkeit heißt
Intelligenz, und die Frage nach ihrem Vorhandensein oder Fehlen
ist elitär.


I


Daraus, daß sich Kinder wie Erwachsene des öfteren vertun, wenn
sie sich Gedanken über etwas machen und diese mitteilen, geht
erst einmal gar nicht hervor, daß ihnen etwas fehlt, was denen
eignet, die ihre Fehler bemerkt haben. Die Kritik beruht vielmehr
darauf, daß sie derselben Tätigkeit entspringt wie die
kritisierte Geistesleistung. Nur wenn sich gar nicht erst die
Mühe gemacht wird, den Irrtum verkehrter Gedanken auszumachen,
tritt an die Stelle des Versuchs, sie richtigzustellen und als
Verstoß gegen das Denken, das sie nun einmal sind, festzuhalten,
der gemeine und inhaltslose Befund, ihr Urheber sei des Denkens
nicht mächtig. Das Versagen beim Begreifen einer Sache wird dann
zur Folge einer Eigenschaft, die ihre Wirkung getan hat und einen
guten Grund dafür hergibt, die mit dieser Eigenschaft
geschlagenen Behinderten sachgerecht zu verachten.


Dieses Ergebnis, zu dem sich Leute auf allen Stufen der
gesellschaftlichen Hierarchie immer wieder hinarbeiten, zeugt
nicht nur davon, daß die Dummheit eine weitverbreitete Sache ist.
Die bescheuerte Sortierung, die da an Herren wie Knechten
gleichermaßen vorgenommen wird, beweist auch die gänzlich un-
theoretische Herkunft des Dummheitsbefunds. Offenbar fühlen sich
ziemlich viele Leute dazu berufen, zwischen sich und anderen
einen Vergleich vorzunehmen und diesen in Form eines
Intelligenztests zu veranstalten. Dabei geht es ihnen wie den
psychologischen Erfindern gleichnamiger Experimente keineswegs
darum, zu erfahren, was Intelligenz ist - sondern jenseits davon
um die spannende Frage, wem sie zuzugestehen sei. Interessant
scheint den Entdeckungsreisenden in Sachen "Dummheit" weniger der
Unsinn zu sein, der um sie herum so vertreten wird; sie schauen
lieber auf die Voraussetzungen, die andere nun einmal mitbringen
müssen, um ihnen gewachsen zu sein oder es ihnen recht zu machen.
Und die Voraussetzungen dafür verwechseln sie sehr selbstbewußt
mit dem Vorhandensein von Geist - von einem "Gut", über das
wirklich jedermann verfügt, wenngleich ein ziemlich
unterschiedlicher Gebrauch davon gemacht zu werden pflegt.


II


Der Maßstab, welcher auf dem Markt der Meinungen und Ideen so
zielstrebig angelegt wird, um jedermann vom Kanzler bis zum
Arbeitskollegen in eine Skala des geistigen Leistungsvermögens
einzuordnen, sichtet die Tauglichkeit. Die Vertreter von banalem
wie höherem Ideengut werden daraufhin begutachtet, ob ihre
Auffassungen geeignet sind für die Erledigung der ihnen
zufallenden Aufgaben und das Zurechtkommen mit ihnen. Geprüft
werden nicht Gedanken, sondern ihr Verhältnis zum Erfolg, was gar
nicht so einfach ist......


Gliederung des Vortrages:


Teil 1: Dummheit: Kein Mangel an Verstand, sondern sein falscher
Gebrauch


Teil 2-4: Anwendung des Prinzips in Wissenschaft, Sport und
Kultur


Teil 5: Vom Klassencharakter einer klassenübergreifenden Unart

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